Darja, die Gold-Sammlerin
So elegant, so anmutig und so artistisch sich Darja Varfolomeev im Rampenlicht der Weltmeisterschaften von Rio de Janeiro bewegte, so sehr verzauberte sie erneut das Publikum. Und so dringend braucht ihr Körper nun eine Auszeit. Die 18-Jährige verlässt die Titelkämpfe der Rhythmischen Sportgymnastik mit fünf Goldmedaillen und, wie sie sagt, „mit einer großen, riesigen Erleichterung. Ich bin glücklich, dass ich am Ende noch mal meine ganze Kraft gesammelt und die Band-Übung perfekt geturnt habe.“
Gewiss, Varfolomeev ging nach ihren fünf WM-Titeln 2023, als sie mit 16 Jahren Atemberaubendes vollbracht und sich in die Geschichtsbücher eingetragen hatte, sowie dem Olympiasieg 2024 als Favoritin in diese Meisterschaften. Nach herausfordernden Monaten waren ihre Erfolge von Rio aber alles andere als ein Selbstläufer. Davon zeugten nicht zuletzt die Tränen ihrer Trainerin Yuliya Raskina nach der Band-Übung. Varfolomeev hat in Rio eindrucksvoll bewiesen: Sie ist und bleibt die Königin der Gymnastik – und damit auch das perfekte Werbegesicht für die Weltmeisterschaften im kommenden Jahr in Deutschland.
Nicht minder wichtig für die Titelkämpfe vom 12. bis 16. August 2026 in der Frankfurter Festhalle: Varfolomeev ist hierzulande keine Einzelkämpferin. Sie sticht heraus, ist eine Klasse für sich, aber die deutsche Mannschaft muss sich international nicht verstecken – das haben auch die Weltmeisterschaften gezeigt.
Ein Patzer bringt sie nicht raus – „nach vorne denken“
Denn eine von Varfolomeevs Goldmedaillen gewann sie mit dem Team im Mannschafts-Mehrkampf, für den die Qualifikationsleistungen zusammengezählt werden. Die anderen Titel holte sie alleine: erst am Freitag im prestigeträchtigen und olympischen Mehrkampf, dann zum Abschluss am Sonntagabend in den Einzelfinals mit dem Ball, den Keulen und dem Band.
„Ich bin sehr dankbar – meinem Trainerteam und den Zuschauern, die wirklich verrückt waren, sehr laut, sehr großartig“, sagte die 18-Jährige aus Schmiden in Baden-Württemberg dem SWR. „Es war eine wunderschöne Atmosphäre, mich pusht das, mich motiviert das, wenn sie mich anfeuern.“
Nur mit dem Reifen blieb Deutschlands „Sportlerin des Jahres“ nach einem Fehler als Fünfte ohne Edelmetall: Varfolomeev geriet bei einer Pirouette aus dem Gleichgewicht und musste sich mit den Händen abstützen. Dafür gewann ihre Vereinskollegin Anastasia Simakova bei ihrer WM-Premiere überraschend Bronze in diesem Wettbewerb.
Zeit, sich über die verpasste Medaille und den Patzer zu ärgern, blieb Varfolomeev nicht: Es war das erste Einzelfinale, die anderen drei folgten erst noch. „Man muss nicht nach hinten denken, sondern nach vorn“, gab sie anschließend die Devise aus – schaffte dies bravourös und sicherte sich die drei WM-Titel. Auch bei den Siegerehrungen lief am Sonntag alles glatt: Nachdem zwei Tage zuvor bei Varfolomeevs Mehrkampftitel versehentlich die georgische Hymne abgespielt worden war, erklang dieses Mal die deutsche.
„Es war eine unglaubliche WM“, bilanzierte Varfolomeev. „Ich bin total glücklich über meine Erfolge und habe es hier sehr genossen, wie sehr uns die Zuschauer gefeiert haben.“
Erst Urlaub, dann neue Motivation: „Mein Körper ist müde“
Für die 18-Jährige bedeutet der WM-Erfolg auch die Belohnung am Ende eines herausfordernden Jahres. Denn zuletzt war viel los gewesen im Leben der jungen Frau, die mit 13 für den Sport aus Sibirien nach Deutschland, die Heimat ihrer Großeltern, gekommen war: Zusätzlich zu den 36 Trainingsstunden pro Woche stand täglich die Schule auf dem Programm, dazu machte sie den Führerschein.
Vor den Olympischen Spielen von Paris hatte sie sich in der Schule eine Auszeit genommen, um sich bestmöglich vorzubereiten. Nun hat sie ihren Realschulabschluss nachgeholt. „Das gemeinsam mit dem Sport perfekt zu machen, war sehr schwierig. Aber ich habe es am Ende mit einem guten Durchschnitt und einer Belobigung beendet“, erzählt sie – und möchte weitermachen mit der Schule, um später studieren zu können. Allerdings nicht sofort.
Nach insgesamt zwölf Übungen bei der WM in Rio steht erst einmal die Regeneration im Vordergrund – physisch und mental. „Mein Körper ist müde und freut sich auf zwei Wochen Urlaub“, sagt sie und bleibt dafür direkt in der Ferne. „Ich freue mich auf Brasilien, bin gespannt, was ich alles sehen werde. Und dann bin ich motiviert für die nächsten Ziele.“
Und diese sind ganz klar die Weltmeisterschaften 2026 im eigenen Land. Deshalb wird ihre volle Konzentration dem Sport gelten. „Ich nehme mir noch mal ein Jahr Pause von der Schule – auch wegen der WM in Frankfurt“, sagt sie. Zunächst aber abschalten und Urlaub machen in jenem Land, in dem sie gerade ihr Ausnahmekönnen bewiesen hat.
Varfolomeev: „Ich war immer ein mutiges Kind“
Die Titelkämpfe in einem Jahr in Frankfurt dürften ein Zuschauermagnet werden – dank Varfolomeev, die der Sportart hierzulande zu nie dagewesenem Glanz verholfen hat. Das einzige Mal, dass eine Deutsche in dieser Sportart vor 2024 auf dem Olympiapodest stand, war schließlich lange her gewesen: 1984 gewann Regina Weber, Mutter von Fußball-Nationalspieler Leroy Sané, Bronze.
Wöchentlich erhält Varfolomeev mittlerweile rund 200 Briefe mit Autogrammwünschen und Fanpost. Auch drei neue Sponsoren kamen durch den Olympiasieg von Paris hinzu.
Es sind nicht nur ihre beeindruckenden Leistungen, die Varfolomeev herausstechen lassen. Nicht nur die für den normalen Menschen unglaublichen Schwierigkeiten, die sie so leicht aussehen lässt. Das alleine ist einzigartig und hätte sie womöglich schon bei der Wahl zur „Sportlerin des Jahres 2024“ an die Spitze gebracht. Hinzu kommt, wie sie schon in jungen Jahren den Erwartungs- und Leistungsdruck schultert. Und wie sie an die Dinge herangeht: mit Spaß, aber auch mit eiserner Disziplin. Dieser unbedingte Wille, dieses harte Arbeiten für den Traum – gepaart mit Leidenschaft.
Isabell Sawade, Teamchefin des Nationalteams der Rhythmischen Sportgymnastinnen, erinnert sich gut an den Sommer 2018, als sie Varfolomeev beim Probetraining beobachtete. „Dass sich Darja so entwickelt, habe ich damals nicht geahnt“, sagte sie im WELT-Gespräch. „Denn ihren unermüdlichen Arbeitswillen und ihre Willenskraft sieht man anfangs natürlich nicht, sondern einfach nur die körperlichen Voraussetzungen – und die waren gut. Aber die sind bei mehreren hier gut.“
Gut aber reicht Varfolomeev nicht. Sie holt gemeinsam mit dem Trainerteam aus ihrem Talent, aus ihren guten Voraussetzungen alles heraus. „Ich glaube, ich war immer ein mutiges Kind, weil meine Eltern mir das vorgelebt haben“, sagt sie. „Sie haben mir beigebracht, ich soll mir Ziele im Leben stecken. Und dann versuche ich auch, bis zum Ende zu kämpfen und sie zu erreichen.“
Nicht, dass sie immer alles erreicht habe, was sie verfolgt hat, ergänzt die 18-Jährige. „Aber daraus lernt man ja.“
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