Der BVB scheitert an seinen Sollbruchstellen
Die Aufarbeitung ging nicht ohne Schuldzuweisungen vonstatten – und sie begann bereits an Ort und Stelle. Serhou Guirassy saß am Mittelkreis auf dem mit Konfetti übersäten Rasen, Rami Bensebaini stand neben ihm und redete gestenreich auf den Stürmer ein. „Sie haben Französisch gesprochen“, verriet Borussia Dortmunds Trainer Niko Kovac, der ebenfalls in Hörweite war und der Sprache mächtig ist, später.
Es ging bei der erregten Unterredung um die Frage, wer das Gegentor in der 89. Minute, welches den BVB um den Sieg beim FC St. Pauli gebracht hatte, hätte verhindern können. Denn am Ende hieß es für die Dortmunder beim Saisonauftakt nur 3:3 – obwohl sie nach ihrer 3:1-Führung doch schon wie der sichere Sieger ausgesehen hatten.
Wer war also der Schuldige? Guirassy, der den Torschützen Eric Smith partout nicht attackieren wollte, oder Bensebaini, der einen Schritt auf den Hamburger hätte zugehen können, um ihm die Schussbahn zuzustellen. „Das haben die beiden ausdiskutiert“, sagte Kovac und kündigte dann für den Tag danach selbst eine umfangreiche Analyse der Ursachen an, warum die Punkte doch noch verspielt wurden. „Das werden wir ihnen morgen zeigen“, erklärte er an die Adresse seiner Spieler.
Es gab viel zu besprechen bei der Videoanalyse am Sonntag – nicht nur für das Fehlverhalten in der Schlussphase, sondern für gleich eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten.
Rückfall in vergessen geglaubte Laissez-faire-Zeiten
„Wir waren über 90 Minuten nicht so konzentriert, wie ich mir das vorstelle. Wir haben aus unseren Qualitätsspielern zwar das Maximum herausgeholt, was den Torabschluss angeht, aber wir haben den Kampf nicht so angenommen, wie wir ihn hätten annehmen müssen“, sagte Kovac. Er war dabei äußerlich gefasst, aber innerlich angefressen – denn gerade dieses scheinbar längst überwunden geglaubte Laissez-faire war es, dass den BVB um die zwei Punkte gebracht hatte. Der Spirit, den Kovac im letzten Viertel der vergangenen Saison in der Mannschaft entfacht hatte und der sie dann doch noch in die Champions League führte, hat in der Sommerpause offenbar doch gelitten.
Das war an mehr als nur der hektischen Schlussphase, die der BVB nach der Roten Karte gegen Filippo Mane in Unterzahl bestreiten musste, festzumachen. Auffällig ist allerdings auch: Bereits in der vergangenen Saison war dies häufiger passiert. 2024/25 sahen Dortmunder dreimal Rot und dreimal Gelb/Rot. Auch das ist ein Problem. „Wir müssen endlich mal lernen, uns nicht so oft selbst zu schwächen“, sagte Julian Brandt.
Dem Kovac-Team fehlte schon von Beginn die Klarheit, die Passgenauigkeit, um das Spiel zu dominieren. Was noch schwerer wog: Abstimmungsprobleme in der Defensive sorgten dafür, dass die Gastgeber zu einer Reihe von guten Chancen kamen. Auch das 1:1 (50.), als Daniel Svensson den Ball leichtfertig gegen Daniel Sinani vertändelte, der dann Andréas Hountondji bedienen konnte, war fahrlässig begünstigt worden. Schon danach hätte es um den BVB geschehen sein können: Denn euphorisiert durch den Ausgleich wurde St. Pauli deutlich stärker, war nun sogar spielbestimmend.
Dem BVB entglitt das Spiel
Noch bedenklicher war jedoch, dass es auch nach den Toren zum 2:1 (Waldemar Anton/67.) und 3:1 (Julian Brandt/74.) nicht gelang, Ruhe in die hektische Partie zu bringen. Das Gegenteil trat ein: Das Spiel entglitt völlig – weil Mane die Nerven verlor. Dem Italiener, der sein Bundesligadebüt gab, unterlief ein verhängnisvoller Stellungsfehler, den er durch sein Halten gegen Abdoulie Ceesay zu korrigieren hoffte. Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck zeigte ihm nach VAR-Eingriff Rot und erkannte auf Strafstoß gegen Dortmund. Mit dem 2:3 durch Sinani (86.) brachen dann alle Dämme: Das Millerntor wurde zu einem Hexenkessel, die Dortmunder gingen unter – sodass sich das Unentschieden für sie wie eine Niederlage anfühlte.
Das galt besonders für Mane. „Natürlich ist er geknickt, er sieht sich in der Mitschuld“, sagte Kovac und stellte sich vor den tragischen Helden. „Aber er allein war es nicht, wir waren alle nicht so gut, um drei Punkte mitzunehmen“, so der 53-Jährige, der derzeit eine Vielzahl von Baustellen zu bearbeiten hat.
Dortmund fehlen wichtige Abwehrspieler
Der BVB scheiterte an seinen Sollbruchstellen. Da ist vor allem ein personeller Engpass, der wohl auch am Samstag gewissen Einfluss hatte. Mane beispielsweise spielte nur, weil mit Nico Schlotterbeck, Emre Can und Niklas Süle gleich drei erfahrene Defensivspezialisten verletzt sind. So unfair es wäre, Mane für den Punkteverlust verantwortlich zu machen – die Instabilität der Abwehr ist in dieser Besetzung unverkennbar.
Es fehlen derzeit aber auch im kreativen Bereich Alternativen. So ließ Kovac Brandt, der das Offensivspiel sichtlich belebte, am Samstag erst zur zweiten Halbzeit spielen – auch, weil er sonst keine Möglichkeit gehabt hatte, einen Impuls von außen zu setzen. „Wir brauchen ja auch die Unterstützung von der Bank, wenn es nicht läuft. Und wir haben zurzeit nicht die Unterschiedspieler, die wir noch einwechseln können“, sagte der Coach.
Der BVB verspricht, für Abhilfe zu sorgen – und die ist gerade vor dem Hintergrund der extrem kurzen Saisonvorbereitung wegen der Klub-WM auch nötig. Die Spieler sind noch weit von der Frische und Verfassung entfernt, die Kovac vorschwebt.
BVB will noch Spieler verpflichten
„Ich kann sagen, dass wir in Gesprächen sind“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl im Interview mit Sky. Der BVB werde „noch etwas machen“. Tatsächlich wurden in den vergangenen Tagen die Bemühungen um eine feste Verpflichtung von Carney Chukwumueka (21) noch einmal intensiviert. Der offensive Mittelfeldspieler, der bereits in der Rückrunde vom FC Chelsea ausgeliehen war, soll eine Sockelablöse von etwa 20 Millionen Euro kosten. Zudem könnte mit Aaron Anselmino (20) noch ein Innenverteidigertalent ebenfalls von Chelsea ausgeliehen werden. Möglicherweise werden die Deals bereits am Montag unter Dach und Fach gebracht werden. Zudem war es Kehl gelungen, durch den Verkauf von Giovanni Reyna an Borussia Mönchengladbach ein wenig mehr Budget freizumachen,
Die eingebüßten zwei Punkte bringen die nahenden Verstärkungen zwar nicht mehr zurück – doch sie stärken das Fundament, auf dem Kovac aufbauen kann. Mit der über weite Strecken auffällig unkonzentrierten Gesamtleistung in Hamburg hatten die Personalprobleme allerdings nur am Rande zu tun. „Wenn wir als BVB unseren Anspruch geltend machen wollen, dürfen wir solch ein Spiel einfach nicht mehr hergeben“, so der Trainer – und meinte damit: egal in welcher Besetzung.
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