Dieselbe Insel, dasselbe Hotel, derselbe Trainingsplatz: Mit dem zweiten Trainingslager auf Mallorca wollten der Hamburger SV und Trainer Merlin Polzin eine ähnlich gute Atmosphäre beschwören, wie im Kurz-Camp beim letzten Besuch in dem Urlaubs-Paradies im April – auf den wenige Wochen später der Aufstieg in die Bundesliga folgte.

Doch die Eindrücke von vor Ort und nach dem 0:2 im letzten Härtetest gegen RCD Mallorca zeigen: Die Ausgangslage ist jetzt eine völlig andere. Und der HSV ist anderthalb ­Wochen vor dem Erstliga-Start noch ziemlich unfertig. Bereits in den vergangenen Testspielen gegen hochkarätige Gegner – bei insgesamt 2:12 Toren –hatte das Team nicht überzeugt. „Natürlich haben wir gehofft, dass wir weiter sind“, sagte Trainer Merlin Polzin nach der neuerlichen Pleite gegen den spanischen Erstligisten. Auch zuvor schon hatten die Hamburger gegen gute Gegner nur Niederlagen verdauen müssen.

Der 34 Jahre alte Polzin hatte stets betont, bewusst Qualitäts-Mannschaften als Testgegner auszusuchen. Die Spiele sollten seiner Mannschaft vor allem die Schwächen aufzeigen. Das Ziel wurde in jedem Fall erreicht. „Es ist schwer vorauszusagen, wann die Findungsphase abgeschlossen ist“, sagte Hamburgs Sport-Vorstand Stefan Kuntz im Gespräch mit der „Sport Bild“. Und das aus mehreren Gründen.

Der Kader: Mit Rechtsverteidiger Giorgi Gocholeishvili (Schachtjor Donezk) kund Innenverteidiger Warmed Omari (Stade Rennes) kamen bis Anfang August zwar noch die erhofften Abwehr-Verstärkungen, nachdem bereits im Juni Jordan Torunarigha (KAA Gent) für die Defensive verpflichtet worden war. Doch gerade Omari braucht noch Zeit, bis er 90 Minuten auf Top-Niveau spielen kann.

Das Team der Saison 2025/26 hat dabei nur wenig mit dem der Aufstiegssaison zu tun. Zahlreiche Helden wollten oder mussten wechseln, beispielsweise Ludovit Reis (FC Brügge) oder 22-Tore-Mann Davie Selke (Basaksehir FK).

Polzin und Kuntz werben bei HSV-Fans für Realitätssinn

Andere Akteure wie Noch-Kapitän Sebastian Schonlau spielen keine Rolle mehr, der jahrelang unumstrittene Robert Glatzel zumindest eine kleinere. Glatzels Sturm-Kollege Ransford Königsdörffer würde gern den nächsten Schritt in seiner Karriere machen, muss aber aktuell die Enttäuschung über den geplatzten Transfer zu OGC Nizza verdauen.

Der Entscheidung zum großen Umbruch lagen die Analyse und die Erkenntnis des Trainer-Teams um Polzin zugrunde, dass es mit der Art und Weise sowie den Fähigkeiten der meisten Aufstiegs-Heroen des HSV eine Etage höher nicht reicht.

Gesucht werden noch ein Innenverteidiger und ein kreativer Mittelfeldmann. Es wären dann die Zugänge Nummer neun und zehn beim XXL-Umbruch, der wohl erst am 1. September, wenn das Transferfenster schließt, abgeschlossen wäre.

Polzin und Kuntz werben besonders bei den Fans für Realitätssinn. Illusorische Vorstellungen wie in der Zeit vor dem Abstieg 2018 wollen sie vermeiden. Mindestens Platz 15 ist das Ziel – und natürlich der Einzug in die nächste Runde des DFB-Pokals gegen den Oberligisten FK Pirmasens am Samstag (13.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT).

Die Spielphilosophie: Statt auf dominanten Ballbesitz-Fußball setzt Polzin auf eine kompakte Defensive, teilweise aggressives Pressing und schnelles Umschalten. Eine notwendige Idee, die aber nicht nur die Zugänge, sondern auch die Aufstiegshelden neu verinnerlichen müssen. Was sich bisher als problematisch erwies. In den Testspielen gegen starke Gegner zeigte sich die Abwehr nur zeitweise sattelfest, das Mittelfeld hatte Probleme mit dem Ball – und die Stürmer waren zu ungefährlich.

Die Bilanz: In den fünf Tests gegen ansprechende Gegner gab es nur Pleiten: 0:1 gegen den FC Kopenhagen, 1:2 gegen Sturm Graz, 0:4 gegen Olympique Lyon, 1:5 gegen den SC Freiburg und zuletzt die Niederlage auf Mallorca. Nach dieser monierte Sportboss Kuntz gleich mehrere Aspekte wie Einwürfe oder Einstellung – und machte das mit einem Wutausbruch im Kabinengang auch den Trainern klar.

Die Hierarchie: Wichtige Führungsspieler sind weg (Reis, Selke, Mickel), andere sind keine unumstrittenen Stammspieler mehr (Schonlau, Meffert, Glatzel, Heuer Fernandes). Problem: Auch eine Stammelf hat sich kaum gefunden. Aber nur, wer seinen Platz sicher hat, hat auch genug Autorität im Team.

„Am Anfang kommt Hierarchie durch Leistung zustande, dann über das Sich-Einbringen abseits des Platzes“, sagt Sportvorstand Kuntz: „Bei dem Thema ist alles noch frisch, und man kann noch nicht zu viel erwarten. Die Frage ist auch: Wie bringen sich Spieler selbst ein, auch wenn es mal nicht läuft?“ Auch deswegen zögerte Polzin die Bestimmung eines Kapitäns und des Mannschaftsrats viel länger hinaus als die Liga-Konkurrenz.

Das Einspielen: Polzin setzt auf die sogenannte „Power of Friendship“ auf bestimmten Positionen. Gemeint ist das blinde Verständnis und die Chemie untereinander, zum Beispiel zwischen Außenverteidiger und Außenstürmer auf der gleichen Seite.

Um die hinzubekommen, stellte er Rechtsaußen Zugang Rayan Philippe in den ersten Testspielen bewusst vor den damals angedachten Rechtsverteidiger William Mikelbrencis. Doch jetzt ist mit Gocholeishvili der neue erste Rechts­verteidiger gerade erst gekommen – und die „Power of Friendship“ noch in weiter Ferne. Und das ist nicht der einzige Fall dieser Art.

„Nach der Analyse war klar, dass wir einen größeren Umbruch einleiten und es unsere Aufgabe wird, alle auf das gleiche Level zu bringen. Aber das ist ja nach Transferphasen für viele Klubs die Herausforderung“, sagt Kuntz. Und weiter: „Der Umbruch geht nicht von heute auf morgen, die Zwischenziele für den Start ergeben sich auch aus kurzfristigen Gegebenheiten.“

Und so könnte das harte Startprogramm Sorgen machen. Es geht nach Gladbach (24.8.), zum Heim-Stadtderby gegen St. Pauli (29.8.) und dann nach der Länderspielpause zu Rekordmeister Bayern (13.9.). Der Tipp von Fußball-Experte Lothar Matthäus: „Der HSV muss in die Relegation, bleibt aber drin in der Bundesliga.“

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