„Es ist Freitagabend. Ich habe noch keine Ahnung, dass ich mich umbringen will“
Am 18. August erscheint „Mensch Fußballstar“ (18 Euro, 264 Seiten, Meyer & Meyer Verlag). In Gesprächen mit Autor Andreas Böni haben Ottmar Hitzfeld, Marcel Reif, Fifa-Boss Gianni Infantino, Lothar Matthäus und Reiner Calmund offen wie noch nie über Tabu-Themen erzählt. WELT zeigt vorab exklusiv Auszüge. Heute: Ex-Schiedsrichter Babak Rafati enthüllt Details zu seinem Suizidversuch vor 14 Jahren.
„Ich bin Babak Rafati. Ich war Bundesliga-Schiedsrichter. Ich konnte nicht mehr mit dem Druck umgehen und versuchte, mir das Leben zu nehmen.
Es ist der 19. November 2011, als ein ganzes Stadion auf mich wartet. Köln gegen Mainz heißt die Bundesliga-Partie an jenem Samstagnachmittag, die ich mit damals 41 Jahren leiten soll. Doch das Spiel wird nicht angepfiffen werden. Auf der Anzeigetafel im Stadion wird eingeblendet: ,Aus wichtigen Gründen muss die Partie leider abgesagt werden. Wir bitten um Verständnis.‘
Ich komme nicht ins Stadion. Ich bin gefangen in einer tiefen Depression. Gezeichnet vom Druck des Lebens habe ich versucht, mich in der Badewanne eines Hotels umzubringen.
Eine Fratze, ein hässlicher Krieger. Irgendwann Filmriss
Rückblende. Es ist Freitagabend, als ich im Kölner Hyatt einchecke. Ich habe zu jenem Zeitpunkt noch keine Ahnung, dass ich mich umbringen will. Ich weiß nur, dass es mir beschissen geht – was keiner meiner Schiedsrichter-Assistenten bemerkt, als sie zusammen essen gehen. Ich versuche, es zu überspielen und mir nichts anmerken zu lassen.
Doch sobald die Zimmertüre hinter mir geschlossen ist, beginnt der Horror. Ich schwitze, bekomme Angstzustände, Versagensangst. Das Bett ist klitschnass, ich frage mich immer wieder: ,Warum werde ich so gemobbt?‘ Sätze meines Schiri-Chefs schießen durch meinen Kopf: ,Das Geschäft verbrennt Leute! Alle dürfen Fehler machen, nur du nicht, Babak!‘
Die Digitaluhr am Fernseher blinkt, blaues Licht. Um 5:30 Uhr morgens will ich nur noch weg.
Ich checke aus, nehme ein Taxi Richtung Bahnhof. Es geht mir durch den Kopf: ,Ich steige da in den Zug, fahre bis Hamm und werfe mich vor den nächsten Zug.‘ 11,50 Euro kostet die Fahrt zum Bahnhof. Der Fahrer fragt, ob ich eine Quittung will. Doch dann überlege ich, was ich meinem Chef sagen soll. Ich finde keine Antwort und sage dann dem Taxifahrer, er solle mich wieder ins Hotel bringen.
Ich checke wieder ein, gleiches Zimmer. Und sofort wieder die gleichen Gedanken. Ich gehe zum Fenster, will rausspringen, aus dem fünften Stock. Doch ich stelle fest, dass man es nur auf schräg stellen kann. Ich überlege, in den Rhein nahe dem Hotel zu springen, denke dann aber: ,Es ist schon zu hell, da werde ich gerettet.‘
Am Horizont sehe ich den Rohbau eines Hochhauses. Ich denke daran, in die Apotheke zu fahren, Tabletten zu holen und runterzuspringen. Ich habe aber Angst, in die Stadt zu gehen und erkannt zu werden. Ich bleibe im Hotelzimmer, gehe zur Minibar, sehe 13, 14 kleine Flaschen. Ich kippe sie alle weg. Ich schlucke 100 Baldrian-Tabletten hinterher. Die habe ich am Tag zuvor am Bahnhof gekauft, um mich zu beruhigen. Ich merke, wie schwer ich werde, das Herz rast, der Puls rast, aber es geht mir zu wenig schnell.
Irgendwann schaue ich in den Spiegel neben mir. Sehe ein Bild von mir, das ich nie wieder sehen möchte, eine Fratze, ein hässlicher Krieger. (...) Irgendwann ist dann plötzlich Filmriss, ich bin ohnmächtig.
Meine Assistenten schlagen Alarm, weil ich nicht erscheine. Die Sanitäter und die Polizei finden mich daraufhin ohnmächtig in der Badewanne.
Im Krankenhaus rettet man mir das Leben. Das Spiel Köln gegen Mainz wird abgesagt.
Zweiter Suizidversuch: Frau lässt mich in die psychiatrische Klinik einweisen
Meine Frau wird von zwei Polizeibeamten informiert. Sie kommen zu ihr und sagen, sie müssten etwas mitteilen. Sie hat bis heute ein Trauma. Sie reist dann mit ihrer Mutter nach Köln ins Krankenhaus, wo sie mich fest umarmt, und wir beide weinen. Ich heule durchgehend wie ein kleines Kind.
Körperlich bin ich schwach, ich habe viel Blut verloren. Aber ich bin außer Lebensgefahr. Ich bekomme meinen Vater ans Telefon, mein Papa weint, als er meine Stimme hört. Ich stammle immer wieder Entschuldigungen, er macht mir keine Vorwürfe. Und ich darf am Tag danach nach Hause. Weil ich den Psychologen dort anschwindle.
Meine Frau fährt, ich sitze mit meiner Schwiegermutter hinten. Als wir 70, 80 Stundenkilometer drauf haben, versuche ich die Tür aufzureißen und rauszuspringen. Meine Schwiegermutter hält mich zurück und meine Frau bremst.
Der Schock sitzt tief, letztendlich fahren wir zum Hotel, wo meine Frau meine Tasche holt. Sie sperrt meine Schwiegermutter und mich ins Auto, ich schreie, ich tobe. Meine Frau lässt mich in die psychiatrische Klinik einweisen.
Meine Frau und die Therapie sind meine Sechser im Lotto
Sechs verschiedene Gutachter diagnostizieren eine tiefe Depression, und man bringt mich per Krankentransport nach Hannover in meine Heimat, in eine Klinik. Meine Frau traut sich nicht mehr zu, mich nach meinem zweiten Suizidversuch hinzubringen.
Die zweite Therapie heilt mich. Es ist mein Sechser im Lotto. Mein zweiter, mein erster ist meine Frau, die bedingungslos zu mir hält. Dabei, so betone ich, kann eine Partnerin bei Depressionen nicht helfen.
Dass ich mich wieder umbringen will, das kann ich ausschließen: Das sagt auch mein Therapeut. Ich weiß heute, dass ich bescheuert war. Das Leben ist zu schön, um sich selbst zu zerstören.“
In einer seelischen Krise? Hier bekommen Sie umgehend Hilfe. Wenn Sie depressiv sind oder an Suizid denken: Holen Sie sich bitte Unterstützung. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar: 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22. Die Beraterinnen und Berater helfen Ihnen, Auswege aus schwierigen Situationen aufzuzeigen. Im Notfall wenden Sie sich bitte an die Feuerwehr (112) oder den Polizei-Notruf (110).
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