So offen wurde im Fußball noch nie über Tabu-Themen wie Homosexualität, Tod, Depressionen und Suizid gesprochen. Am 18. August erscheint das Buch „Mensch Fußballstar“ (18 Euro, 264 Seiten, Meyer & Meyer Verlag) von Andreas Böni (Chefredakteur beim Schweizer TV-Sender Blue und früher u.a. SPORT-BILD-Reporter).

WELT zeigt vorab Auszüge. Dieses Mal: Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld beschreibt, wie ein Burn-out sein Leben verändert hat.

„Bei mir als Trainer von Borussia Dortmund und Bayern München war es mehrmals so, dass ich als Mensch fast nicht mehr konnte und fast zusammengebrochen wäre. Weil der Beruf als Fußballer neben viel Geld, das man ja auch gerne nimmt, auch sehr viel Verantwortung und noch mehr Druck mit sich bringt. Dass man vor Millionen Zuschauern funktioniert, Leistung bringt und die Erwartungen von Fans und Öffentlichkeit erfüllt.

Es ist 1994, als wir mit Dortmund ins Trainingslager fliegen sollen. Ich erleide einen Hexenschuss und bekomme Kortison. Allerdings wird mir zu viel davon verabreicht, sodass sich mein Darm entzündet und dann eine Ausstülpung platzt.

Ich schwebe in Lebensgefahr und man muss mir den Bauch aufschneiden. Ich bin lange in kritischem Zustand auf der Intensivstation. Und ja, es fehlt wenig und ich wäre gestorben.

„Du bist im Hamsterrad gefangen“

Es ist ein erstes Signal meines Körpers. Das Problem als Fußballtrainer ist, dass dein Innen- und dein Außenbild bisweilen weit auseinanderklaffen. In der Öffentlichkeit kannst und willst du keine Schwäche zeigen. Du frisst vieles in dich hinein.

Gleichzeitig sendet dir dein Körper Signale, dass du so nicht weitermachen kannst. Du ignorierst sie. Weil du denkst: Es ist unmöglich, dass ich jetzt mal drei, vier Wochen nichts mache und mich einfach nur erhole. Du bist im Hamsterrad gefangen.

Als Trainer musst du immer der starke Mann sein, darfst nie Schwäche zeigen. Damals, vor dem Jahr 2004, verlor ich langsam und kontinuierlich die Kraft: Ich schaffe es nicht mehr abzuschalten. (...)

Gleichzeitig will mich der Deutsche Fußball-Bund als Nationaltrainer holen. Drei Tage lang liege ich fast nur im Bett und grüble. Es ist brutal. Auf der einen Seite ist das Angebot als deutscher Nationaltrainer verlockend.

„Grausam, wenn du plötzlich keine Kraft mehr hast“

Auf der anderen Seite weiß ich, dass ich keine Kraft habe. Ich hätte am liebsten nur die Decke über den Kopf gezogen und weitergeschlafen. Ich bekomme Rückenschmerzen und Schlafprobleme. Es ist grausam, wenn du plötzlich keine Kraft mehr hast.

Mein Schlüsselerlebnis habe ich dabei im Auto. Ich habe plötzlich ganz schlimme Platzangst. Ich bekomme Atemnot, alles wird eng, ein furchtbares Gefühl. Erst durch das Runterkurbeln der Scheiben wird es besser. Da realisiere ich: Ich brauche Hilfe. Ich brauche einen Psychiater. Dieser verschreibt mir Tabletten, Antidepressiva. Sie helfen mir, mich zu beruhigen.

Aber für mich ist klar, dass ich das Angebot als deutscher Nationaltrainer ablehne. Für einen neuen Job musst du ausgeruht sein. Und ganz ehrlich: Zu jenem Zeitpunkt will ich nie mehr Trainer sein.

Ich ziehe mich eineinhalb Jahre nach Engelberg in die Schweizer Berge zurück. Erst fast drei Jahre später bin ich wieder so richtig bereit zu arbeiten. Seither habe ich übrigens auch das Handy lautlos gestellt. Früher dachte ich immer: Jede Nachricht ist wichtig, ich muss Tag und Nacht erreichbar sein. Das war der größte Fehler.

„Spürte früh, dass der Aktienhandel auf Uli Reiz ausübte“

2007 ruft dann Uli Hoeneß an. Ich solle nochmals den FC Bayern übernehmen. Ich tue es, auch aus menschlichen Gründen. Ganz ehrlich: Wäre es nicht Uli gewesen, hätte ich es nicht gemacht. Mit Uli verbindet mich ein Vertrauensverhältnis.

So spürte ich zum Beispiel schon früher, dass der Aktienhandel auf Uli einen gewissen Reiz ausübte. Wenn ich mit ihm essen bin oder im Trainingslager sitze, war der Pager sein ständiger Begleiter. Er hat ihn immer wieder rausgeholt, zum Telefon gegriffen und jemandem gesagt: ,Verkauf 1.000!‘ Oder: ,Kauf 1.000!‘ Er ist auch mal um fünf Uhr aufgestanden, weil da die Börse in Tokio öffnete.

Es hat unsere Freundschaft sicherlich auch gestärkt, dass ich ihn während seines Gefängnisaufenthalts wegen Steuerhinterziehung dann in Landsberg besucht habe. Ich wollte ihm damals als Mensch meine Dankbarkeit ausdrücken.

Es ist schon komisch: Am Anfang musst du dein Auto abgeben, dann wirst du durch die Gänge geführt. Dann surren und klicken die Türen, es gibt diese Schleusen. Das geht unter die Haut. Uli war dünner, weil er um die 25 Kilo abgenommen hat im Gefängnis. Und nachdenklich. Ich freue mich, dass es ihm heute wieder besser geht.“

In einer seelischen Krise? Hier bekommen Sie umgehend Hilfe. Wenn Sie depressiv sind oder an Suizid denken: Holen Sie sich bitte Unterstützung. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar: 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22. Die Beraterinnen und Berater helfen Ihnen, Auswege aus schwierigen Situationen aufzuzeigen. Im Notfall wenden Sie sich bitte an die Feuerwehr (112) oder den Polizei-Notruf (110).

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