Trainer schaut hilflos zu: Der Zerfall einer Supermannschaft
Bayer Leverkusen verliert den nächsten Schlüsselspieler: Mit Granit Xhaka verabschiedet sich das Herz des Werkself-Mittelfelds. Vor allem in der Meistersaison war der Schweizer unverzichtbar. Seinem neuen Coach gefällt der Wechsel nicht. Es blieben viele Fragezeichen.
Erik ten Hag hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt. Aber all die Versuche, den nächsten Transferangriff auf seine Mannschaft abzuwehren, liefen ins Nichts. Mit dem Schweizer Mittelfeldstrategen Granit Xhaka verliert Bayer Leverkusen den nächsten Helden für die Ewigkeit. Er wechselt zurück in die Premier League, er geht zum AFC Sunderland.
"Granit Xhaka war nach seiner Verpflichtung vor zwei Jahren ein prägender Spieler jener Leverkusener Mannschaft, die 2024 das Double aus Deutscher Meisterschaft und DFB-Pokal gewinnen konnte", sagt Leverkusens Geschäftsführer Sport Simon Rolfes. Dem "akuten Wechselwunsch" des Profis zu entsprechen, sei die beste Lösung gewesen.
In der historischen Meistersaison 2023/24 war Xhaka Chef im Zentrum. Die eiskalt lenkende Verbindung zwischen Jonathan Tah, dem Abwehrboss (jetzt FC Bayern), und Florian Wirtz (jetzt FC Liverpool), dem mitreißenden und nicht zu bremsenden Spielmacher. Nun sind sie alle weg.
Und nicht nur sie: Auch der pfeilschnelle Jeremie Frimpong hat sich eine neue Herausforderung gesucht. Auch er spielt beim FC Liverpool. Überstrahlt wird der spektakuläre Zerfall der Supermannschaft aber vom Abgang des Stadtheiligen Xabi Alonso. Der spanische Gentleman hatte seine Zelte abgebrochen, weil der Ruf aus der Heimat so verlockend war. Real Madrid wollte den Ex-Spieler unbedingt zurückhaben, um mit ihm in eine neue Ära zu starten. In die Ära nach Carlo Ancelotti, der seine legendäre Augenbraue nun in Brasilien lüftet.
"Werden nicht noch mehr Spieler abgeben, das geht nicht"
Xabi Alonso war in Leverkusen die Figur, an der alles hing. Hätte er noch ein Jahr weitergemacht, womöglich wäre die Transformation der Werkself weniger gigantisch ausgefallen. Deutlich über 200 Millionen Euro hat der Verein als Schmerzensgeld für den Helden-Exodus bekommen, über 100 Millionen wurden bereits reinvestiert. Man kann sich in der Bundesliga kaum erinnern, dass ein Spitzenklub einen solchen Kraftakt stemmen musste. Und so bleiben viele Fragezeichen. Zum Unmut von ten Hag. "Dieser Klub hat schon drei wichtige Spieler abgegeben. Wir werden nicht noch mehr Spieler abgeben, das geht nicht. Das würde die Struktur und auch die Kultur des Kaders vernachlässigen", sagte der Niederländer noch vor ein paar Tagen, als die Gerüchte um Xhaka immer heißer geworden waren.
Sein Abgang wirft dabei durchaus Fragen auf. Lieber sicher sehr gut bezahlter Abstiegskampf in England als Champions League mit Leverkusen - das wirkt reichlich seltsam. Anders als Wirtz, Frimpong, Tah und Xabi Alonso kann Xhaka nur schwerlich sportlich reizvolle Argumente als Grund für seine Entscheidung vorbringen. Zuvor hieß es laut eines Berichts des Pay-TV-Senders Sky, der Schweizer hätte sich bereits mit dem saudischen Klub Neom SC über einen Wechsel geeinigt. Was muss Xhaka so die Laune verdorben haben, dass er den Klub, mit dem er zum Helden wurde, auf Gedeih und Verderb verlassen will? Fürchtet er den sportlichen Totalabsturz?
Nun durfte ten Hag sich am Sonntag ein letztes Mal vergewissern, wie schwerwiegend der Verlust des 32-Jährigen ist. Bayer Leverkusen trat zum Testspiel im Bochumer Ruhrstadion an. Der VfL startet bereits am Samstag in die neue Zweitliga-Saison. Leverkusen hat in der Vorbereitung noch ein bisschen mehr Zeit. Und auch wenn Bayer mit 2:0 gewann, sich damit für die peinliche 1:5-Abreibung im Trainingslager gegen eine Nachwuchsmannschaft, gegen die U20 von Flamengo, rehabilitierte, so waren die Probleme gegen den Zweitligisten doch unübersehbar.
Bayer muss alles im Eiltempo noch aufbauen
Bayer muss eine komplett neue Hierarchie aufbauen, eine neue Struktur schaffen, eine neue Spielidee lernen und umsetzen. Im Bochumer Ruhrstadion waren ein paar gute Ansätze zu sehen, viel mehr aber auch noch nicht. Und zwar immer dann, wenn der Zweitligist im Pressing zu nachlässig war oder wenn Leverkusen Platz zum Kontern hatte. So fielen auch die Tore durch Jonas Hofmann und Topstürmer Patrick Schick, der womöglich als einer der wenigen im Kader froh ist über die Veränderung an der Seitenlinie. In der vergangenen Saison waren sich der Torjäger und der Trainer nicht immer grün, was die Einsatzzeiten anging.
In Bochum hatte Xhaka ein letztes Mal das Kommando im Mittelfeld und leitete das neue Ensemble an. Das nun blitzschnell lernen, ohne den Dirigenten perfekt aufeinander abgestimmt zu spielen. Eine gigantische Aufgabe. Eine große Wette, die die Bosse da am Transfermarkt eingegangen sind. Mit Ausnahme des Spitzenkeepers Mark Flekken, er kommt aus Brentford, hat Leverkusen fast ausschließlich Talent verpflichtet. Um Erfahrung müssen sich die verbleibenden Edmond Tapsoba, Piero Hincapie, Robert Andrich, Ezequiel Palacios, Alejando Grimaldo, Hofmann und Schick kümmern. Und vielleicht Victor Boniface, der in Bochum erst sehr spät kam und um den es ja auch immer wieder Gerüchte gibt.
"Es war notwendig, jüngeres Blut hineinzubringen. Das heißt aber nicht, dass wir bis zum Ende nur junge Spieler verpflichten werden. Wir gucken schon, dass wir eine gute Balance im Kader haben, aber eben trotzdem auch wieder ein bisschen Luft und Potenzial nach vorne", sagte Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes. Die großen Hoffnungsträger heißen nun Malik Tillman, für ihn gab Bayer Leverkusen so viel Geld aus, wie für keinen anderen Spieler zuvor (rund 35 Millionen Euro), Jarell Quansah oder Ibrahim Maza. Mit dem in Bochum noch nach Struktur suchenden Christian Kofane, mit Abdoulaye Faye, mit Farid Alfa-Rupprecht wurden weitere potenzielle Diamanten geholt, die aber noch tüchtig geschliffen werden müssen. Faye wurde direkt für ein Jahr an den französischen Zweitliga-Meister FC Lorient verliehen.
Zwei Spieler für eine fast unmögliche Aufgabe
Tilman und Maza sollen helfen, das Unmögliche möglich zu machen. Sie sollen die Offensive anleiten, die zuvor Wirtz auf seinen hochbegabten Füßen trug. Und Abwehrspieler Quansah muss an der Seite von Tapsoba wachsen. Wie Xhaka ersetzt wird? Noch unklar. Die eigene Bordmittel geben Alternativen her, aber wird ihnen die Rolle zugetraut? Andrich ist weniger Stratege als der Schweizer, dafür aber auch ein emotionaler Leader. Palacios ist ein harter, ballsicherer Mann. Und womöglich bricht Aleix Garcia auch durch, den Xabi Alonso vor der vergangenen Saison unbedingt haben wollte, der sich aber noch nicht unverzichtbar gemacht hatte.
Noch bis zum 1. September wirbelt der Transfermarkt reichlich Gerüchte durch den Staub. Ten Hag dürfte diesen Tag dringender herbeisehnen als fast alle seine Konkurrenten. Noch ist nichts in Stein gemeißelt und ein paar Kandidaten haben hinterlegt, dass sie sich auch mit anderen Aufgaben gut anfreunden können. Boniface etwa, die langjährige Nummer eins Lukas Hradecky, die nur noch Ersatz hinter Flekken ist, Amine Adli, der mit den Wolverhampton Wanderers verhandeln soll, oder auch Grimaldo, ein weiterer Alonso-Jünger. Ein weiterer Held für die Ewigkeit. Für ten Hag wird die Aufgabe immer größer. Ob er sich das so vorgestellt hat? Noch mehr Zerfall kann sich seine Mannschaft eigentlich nicht leisten. Aber das galt auch schon vor dem Abgang von Xhaka.
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