Italiens Fußball-Ikone Cristiana Girelli weinte bitterlich, als sie nach dem späten Doppel-K.o. im EM-Halbfinale gegen England vor die Kameras trat. Eine Reporterin reichte ihr ein Taschentuch, es half nur wenig. „Natürlich haben wir uns dieses Finale gewünscht, denn es hätte wirklich etwas Unglaubliches, etwas Außergewöhnliches bedeutet“, sagte die 35 Jahre alte Stürmerin, die wegen eines Krampfs vorzeitig ausgewechselt worden war. „Leider sollte es nicht sein. Fußball gibt, Fußball nimmt.“

Bis tief in die Nachspielzeit hinein deutete in Genf alles auf Italiens erste Final-Teilnahme bei einem großen Turnier seit 1997 hin. Dann der erste Schock: Michelle Agyemang, 19 Jahre alt und im englischen Nationalteam erst seit April dabei, trifft zum 1:1 (90.+6) – Verlängerung. In dieser kommt das Unheil wieder spät: Emma Severini zieht Beth Mead im Strafraum zu Boden, Chloe Kelly tritt in der 119. Minute zum Elfmeter an und trifft im Nachschuss. 1:2. Abpfiff. Sie habe „wirklich eine unglaubliche Bitterkeit im Mund“, sagte Girelli.

Auch Italiens Trainer war tief getroffen. „Wir waren eine Minute vom Finale entfernt. Die Spielerinnen hätten ein anderes Ende verdient gehabt. Das ist eine bittere Niederlage. Das ist etwas, das weh tut. Aber wir müssen stolz auf das sein, was wir erreicht haben“, sagte Andrea Soncin. Die Szene, die zum Elfmeter führte, habe er sich nach dem Spiel kurz angeschaut: „Sie haben sich gegenseitig festgehalten. War es ein Elfmeter? Ich weiß es nicht.“

Auch Sofia Cantore, die das zwischenzeitliche 1:0 von Barbara Bonansea (33.) stark vorbereitet hatte, zweifelte den Pfiff von Schiedsrichterin Ivana Martincic an. „Wenn man so einen Elfmeter in der letzten Minute bekommt, tut das natürlich noch mehr weh“, sagte die 25 Jahre alte Offensivspielerin.

„England hat den Sieg nicht verdient“, sagt Italiens Manuela Giugliano

Mit dem Gesamtauftritt von Le Azzurre, die als Außenseiter ins Spiel gegangen waren, war sie zufrieden: „Ich will nicht sagen, dass wir das Spiel dominiert haben, denn das ist wahrscheinlich nicht der Fall, aber wir haben sie gut in Schach gehalten“, fand Cantore. Teamkollegin Manuela Giugliano äußerte sich offensiver: „Meiner Meinung nach hat England den Sieg nicht verdient“, sagte die 27-Jährige von der AS Rom: „Wir haben alles gegeben und ich glaube nicht, dass wir etwas bereuen.“

Das war natürlich auch bei den Engländerinnen nicht der Fall. Kaum war der Fußball-Krimi von Genf geschrieben, packte Esme Morgan den britischen Humor aus. „Diese Drama-Spiele machen natürlich am meisten Spaß - und wir unterhalten einfach gerne“, sagte Englands Innenverteidigerin über den in doppelter Hinsicht späten Triumph – und damit die Chance auf die Titelverteidigung am Sonntag in Basel (18.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT).

„Ich hatte das Gefühl, dass wir in der zweiten Halbzeit an die Tür gehämmert haben und es einfach nicht klappen wollte. Aber dann ist Michelle wieder aufgetaucht und hat uns den Tag gerettet“, sagte Morgan über die eingewechselte Stürmerin: „Sie ist einfach eine unglaublich intelligente Spielerin, die weiß, wo sie sich den Raum nehmen muss.“

Siegtorschützin Chloe Kelly hob ebenfalls Agyemang hervor: „Michelle hat auf dem Spielfeld etwas bewegt, als sie kam. Sie hat uns viel Selbstvertrauen gegeben.“ Und Trainerin Sarina Wiegman fand: „Sie hat etwas Besonderes. Sie ist erst 19, aber sehr reif, sie hält den Ball wirklich gut, wenn sie so weitermacht, hat sie eine sehr große Zukunft.“ Damit es ihr in der Schweiz an nichts fehlt und sie sich wohlfühlt, hat der englische Verband ins Fünf-Sterne-Hotel „The Dolder Grand“ in Zürich ihr Klavier anliefern lassen und es ins Zimmer der Offensivspielerin vom FC Arsenal transportiert. „Der Zeugwart hat es mit dem Lieferwagen hergebracht“, erzählte sie.

Schon am Sonntag könnte Agyemang, die bisher auf vier Länderspiele und drei Tore kommt, ihren ersten großen Titel mit den Lionesses feiern. Es wäre der zweite EM-Triumph in Folge für England, und gar der dritte für die schier unersättliche Wiegman.

2017 hatte die niederländische Trainerin mit ihrem Heimatland den EM-Pokal geholt, 2022 mit England. Addiert um die beiden verlorenen WM-Endspiele 2019 (mit den Niederländerinnen) und 2023 (mit England) darf sich die 55-Jährige auf das fünfte Endspiel bei WM oder EM nacheinander freuen.

„Ich habe viele Emotionen, bin erleichtert, glücklich, es fühlt sich surreal an, wieder im Finale zu stehen“, sagte Wiegman und bekannte: „Ich dachte in der 88. Minute, wir müssen jetzt ein Tor schießen, sonst haben wir ein Problem.“ Das löste dann Agyemang für die insgesamt recht einfallslosen Engländerinnen. Erneut überdeckten Kampfkraft und Moral die technischen und taktischen Mängel des Titelanwärters. Ähnlich wie beim Elfmeterdrama im Viertelfinale gegen Schweden: Da war England nach einem 0:2 zurückgekommen – auch dank Superjoker Agyemang - und hatte trotz vier Fehlschüssen vom Punkt noch gesiegt. „Wir waren schon so oft kurz davor, auszuscheiden, aber man wird uns nicht los“, resümierte Stürmerin Lauren Hemp.

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