Wie im Märchen – der neue König der Tour de France ist schon gefunden
Die Gegner haben lange resigniert. Egal, mit wem man bei der Tour de France spricht, eine Frage war schon vor dem Start in Lille beantwortet: Tadej Pogačar wird auch in diesem Jahr die Tour gewinnen, zum vierten Mal insgesamt. Und das mit gerade mal 26 Jahren. Zum Vergleich: Lance Armstrong holte den ersten seiner sieben, später wegen Dopings aberkannten Tour-Siege im Alter von 27 Jahren. Und: Pogačar wäre der jüngste Fahrer der Tour-Geschichte, der vier Erfolge eingefahren hätte. Das schafften selbst die Fünffach-Sieger Jaques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain nicht.
Was kommt da also in den kommenden Jahren noch auf die Radsportszene zu? Nachdem Pogačar die Frankreich-Rundfahrten 2020 und 2021 gewonnen hatte, „fürchtete“ manch einer schon, er gewinne die Tour zehn Jahre in Serie. Bis ein Däne aus Jütland kam, der bis wenige Monate vorher noch in einer Fischfabrik gearbeitet hatte: Jonas Vingegaard. Drahtig wie Pogačar, mit 1,75 Meter nur einen Zentimeter kleiner, und von jetzt auf gleich genauso stark. So setzte sich 2022 und 2023 das Nordlicht durch. Die Grand Boucle hatte ihren Zweikampf, ihr Duell für eine ganze Generation, wie es im Tennis den Dreikampf Roger Federer–Rafael Nadal–Novak Djokovic gab, oder es aktuell die Rivalität zwischen Jannik Sinner und Carlos Alcaraz gibt.
Doch nachdem er im vergangenen Jahr seine dritte Tour gewonnen hat, ist Pogačar in diesem Jahr so klar Favorit wie nie zuvor. Er selbst sagt: „Es ist der beste Moment meiner Karriere. Ich fahre im Regenbogen-Trikot und mit einem unglaublichen Team. Es ist wie ein Märchen.“ Wie ein Märchen! Im Weltmeister-Dress war er so lange unterwegs, wie er nicht das Gelbe Trikot hatte. Das streifte er am vergangenen Donnerstag erneut über, nachdem er es in den zwei Wochen zuvor schon zweimal (nicht ungewollt) verloren hatte. Und wer glaubt ernsthaft daran, dass der Slowene es nun nicht bis Paris trägt?
Zwist im Lager von Pogačars Tour-Konkurrenten Vingegaard
Vingegaard ist zwar aktuell Zweiter der Gesamtwertung, hatte aber nach der ersten Pyrenäen-Etappe nach Hautacam schon dreieinhalb Minuten Rückstand auf seinen Widersacher. Er ließ sich überraschend abhängen, konnte dem Antritt des Titelverteidigers nicht mehr folgen. Nach dem Bergzeitfahren am Freitag waren es schon über vier Minuten Rückstand. So scheint eine Vorentscheidung zeitig gefallen zu sein: Denn für den Rest des Feldes, darunter der Deutsche Florian Lipowitz, geht es nur um Rang drei und die Plätze dahinter.
Natürlich ist es Jammern auf höchstem Niveau. Alle anderen 169 Profis wären froh, Zweiter zu sein. Vingegaard natürlich nicht. Er hat bei Visma ein super Team um sich herum. Erfahrene Helfer, die loyal ihren Job verrichten. Dazu mit Grischa Niermann aus Hannover einen überragenden Sportlichen Leiter. Zwist gab es dennoch vor dem Tour-Start, ausgelöst durch Vingegaards Ehefrau Trine Marie Hansen.
Die kritisierte unmittelbar vor dem Tour-Auftakt in der dänischen Zeitung „Politiken“ das niederländische Team ihres Angetrauten. „Es sind zu viele Reisestrapazen. Er ist jemand, der mehr Ruhe braucht. Und die findet er zu Hause“, kritisierte Hansen, die nicht nur Ehefrau, sondern auch Managerin ihres Mannes ist, die vielen Trainingslager.
Zudem gab sie gleich die Team-Taktik vor. „Wenn man anfängt, für Etappensiege anderer Fahrer zu arbeiten, geht das auf Kosten von Jonas“, so die 39-Jährige, die ihren elf Jahre jüngeren Mann gern öfter bei sich und den beiden Kindern haben möchte. Offiziell tangierte das Interview das Team wenig. Die dunklen Wolken waren nach außen hin schnell verzogen. Wirken ihre Worte dennoch nach? „Ich fürchte, er brennt die Kerze von beiden Seiten her ab“, sagte Hansen bezogen auf die mentale Gesundheit Vingegaards: „Sie pressen die Zitrone zu sehr aus.“
Ganz anders die Lage bei UAE Emirates, wo der Kölner Nils Politt einer der wichtigsten Helfer Pogačars ist. Der hat das Feld und die Konkurrenz so stark unter Kontrolle, dass er während einer Etappe sogar Zeit hatte, sich über den Team-Funk nach den Renn-Ergebnissen seiner Freundin Urska Zigart zu erkundigen. Sie ist Rad-Profi wie er. „Ich genieße das Radfahren einfach“, sagt er. Da bleibt Zeit, auch unterwegs an die Liebste zu denken.
Pogačar ist im Feld der Fahrer bei der Tour de France sehr beliebt
Dass Pogačar die Tour-Entscheidung schon am ersten Pyrenäen-Tag erzwingt, das entschied sich kurz vor der Etappe. „Ich hatte das Gefühl, es kann ein guter Tag werden. Und dann kamen wir zum letzten Berg und das Team hat einen super Job gemacht.“ So ganz nebenbei gelang ihm am Donnerstag auch die Revanche an selber Stelle gegen denselben Gegner. 2022 gab es schon das Duell Pogačar–Vingegaard, da war der Däne schneller. „Ich wollte damals mit dem Kopf durch die Wand, um Gelb zu holen. Aber Jonas war da zu stark. Die letzten Tage wurde ich immer wieder auf diese Revanche angesprochen. Ich bin nun sehr froh, dass ich dieses Jahr sogar Zeit gutmachen konnte auf Jonas.“
Vingegaard dagegen verschwand nach der ersten Bergetappe schnell im Bus. Vor den Pyrenäen hatte er prophezeit: „Schon der erste Tag wird sehr hart werden. Du musst alle drei Tage Vollgas geben.“ Aber das konnte er schon am ersten Tag nicht. Dabei ist Vingegaard topfit, anders als Pogačar, der am Mittwoch vier Kilometer vor dem Ziel in Toulouse gestürzt und gegen einen Bordstein geschlittert war. Die Rivalen um den an diesem Tag in Gelb fahrenden Iren Ben Healy warteten fair. Ein klares Zeichen für die Beliebtheit Pogačars im Peloton. „Man weiß nie, wie der Körper nach einem Sturz über Nacht reagiert. Ich habe die Hüfte aber nur ein bisschen gespürt, wenn ich mich gedehnt habe. Auf dem Rad habe ich nichts gemerkt“, sagte Pogačar.
Und so darf man gespannt sein, wie am Sonntagabend nach der dritten und letzten Pyrenäen-Etappe die Lage im Gesamtklassement sein wird. Pogačar hatte bei seinem Sieg beim Bergzeitfahren am Freitagnachmittag seinen Vorsprung ausgebaut. Vingegaard machte in den vergangenen Tagen, trotz zwei zweiter Plätze in Folge und auch Rang zwei in der Gesamtwertung, nicht den Eindruck, Pogačar gefährden zu können. „Eine eigene Welt“, nennt Lipowitz das, wo die beiden unterwegs sind. Und selbst diese „eigene Welt“ ist noch mal unterteilt.
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