Fans und Experten wollen Ikone aus dem Nationalteam jagen
Ada Hegerberg ist eine Fußball-Legende, auf und abseits des Rasens. Bei dieser Europameisterschaft aber steht die erste Ballon-d'Or-Gewinnerin der Historie arg in der Kritik. Sie müsse "geopfert werden", heißt es etwa. Der Nimbus der Norwegerin aber ist unbestritten.
Mit Abwesenheit kennt sich Ada Hegerberg bestens aus. Die Norwegerin, die 2018 als erste Fußballerin mit dem Ballon d'Or ausgezeichnet wurde, spielte bei der Weltmeisterschaft 2019 nicht mit. Weil sie den norwegischen Verband boykottierte. Ein Protest gegen die ungleiche Behandlung der Fußballerinnen im Vergleich mit den Männern. Sie hatte ihn 2017 angetreten, erst fünf Jahre später kehrte sie zurück auf die große Fußballbühne. Diesmal ist die inzwischen 30-Jährige bei der Europameisterschaft dabei, spielt mit Norwegen am Mittwoch gegen Italien (21 Uhr/ZDF, DAZN und im ntv.de-Liveticker) um den Einzug ins Halbfinale - aber plötzlich muss sie sich wieder mit dem Thema Abwesenheit beschäftigen. Aus einem ganz anderen Grund.
Denn in ihrer Heimat gibt es den Ruf nach der Götterdämmerung. Eine der Größten ihres Sports soll lieber auf der Bank bleiben, verlangen Kritiker. Unter anderem Ex-Profi Erik Thorstvedt, der in der Saison 1986/1987 bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag stand. Er erklärt in der Zeitung "Dagbladet": "Ada ist Kapitänin, aber das ist egal. Du musst mit dem besten Team antreten. Sie kann auch die Kapitänin dieses Teams sein, wenn sie nicht auf dem Feld ist." Carl-Erik Torp forderte beim Rundfunksender NRK sogar dramatisch: "Ada muss geopfert werden." In einer entsprechenden Online-Umfrage schlossen sich drei Viertel der rund 20.000 Abstimmenden dieser Meinung an.
Ganz neu ist die Kritik nicht, sie kam bereits vor der EM auf. In 13 Saison-Ligaspielen für Lyon erzielte sie nur vier Tore, lediglich zwei kamen in der Champions League hinzu. Sie habe Probleme mit dem Toreschießen, heißt es daher. Im Interview mit dem Schweizer "Blick" reagierte sie darauf gelassen: "Ach, das wird gerade herumerzählt. Die norwegischen Medien haben immer viele Dinge zu sagen."
"Zutiefst deprimierendes Gefühl"
Es grenzt an Blasphemie, dass über Hegerberg so öffentlich Kritik ausgekübelt wird. Kaum vorstellbar, was der Fußball ohne sie wäre. Mit 66 Toren aus 75 Spielen ist sie die Rekordtorschützin in der Champions League. Sechsmal gewann sie die Trophäe bereits mit Olympique Lyonnes, seit sie 2014 von Turbine Potsdam nach Frankreich wechselte. Ihr Debüt im Nationaltrikot gab sie im November 2011 mit gerade einmal 16 Jahren. Seitdem kamen 92 Länderspiele hinzu - trotz fünfjährigem Boykott und längerer Verletzungspausen.
Denn was Hegerberg abseits des Rasens für den Fußball geleistet hat, ist fast noch höher einzuschätzen. Sie ist eine Vorkämpferin, eine Motivatorin für junge Mädchen. "Glaubt an euch!", so beendete sie 2018 ihre Dankesrede beim Ballon-d'Or-Gewinn. Da hatte sie ihren Boykott bereits angetreten. Denn sie glaubte auch an sich selbst - und dass sie mehr wert ist, als der norwegische Verband bereit war, ihr und ihren Mitspielerinnen zu bieten. Sowohl monetär als auch von den Bedingungen und Förderungen. "Fußball ist der beliebteste Sport in Norwegen für Mädchen und Jungen und das schon seit Jahren, aber gleichzeitig haben Mädchen nicht die gleichen Chancen wie die Jungen", hatte sie dem "Guardian" gesagt.
Die Ungleichbehandlung trieb sie um. "Es war ein zutiefst deprimierendes Gefühl. Ich hatte Albträume, nachdem ich bei der Nationalmannschaft war. So etwas sollte man nicht haben", sagte Hegerberg dem norwegischen Fußballmagazin "Josimar". "Mir kam schlagartig der Gedanke, dass ich meine Laufbahn im Nationalteam beenden muss." Die Entscheidung hat geholfen: "Alles fiel danach von mir ab, und ich habe wieder gut geschlafen."
Elfmeter-Fehlschuss: "Shit happens"
Ihr Boykott hatte Wirkung, nach und nach passte der Verband die Zahlungen an die Frauen denen der Männer an. Zunächst auch, weil die Männer auf einen Teil ihrer Prämie verzichteten. Seit 2022 ist Lise Klaveness die Präsidentin des Verbands, seitdem hat sich Vieles entwickelt, so Hegerberg gegenüber dem "Blick": "Wenn die Chefin ein offenes Ohr für den Frauenfußball hat, verändert das einiges." Es ist kein Zufall, dass Hegerberg ihren Boykott 2022 beendete. Für ihre Werte steht sie nach wie vor ein. So beteiligte sie sich 2023 an einer Kampagne von Amnesty International, die von der FIFA eine Entschädigung der Familien der verstorbenen WM-Arbeiter in Katar erkämpfen wollte.
Sie ist unbequem und so ist es nicht das erste Mal, dass Hegerberg als "Belastung" kritisiert wird. Zum ersten Mal aber geht es um ihr Wirken auf dem Platz, denn diesen Ausdruck nutzt Frida Olsson vom schwedischen "Expressen" für sie. Weil ihre Leistungen bei dieser EM angeblich nicht mehr denen entsprechen, die sie einst zeigte. Dabei schoss sie Norwegens erstes Turniertor - das 1:1 beim Auftakt gegen die Gastgeberinnen aus der Schweiz. Es war ihr 50. Tor im 92. Spiel und zugleich ihr erstes Turniertor seit zehn Jahren. Allerdings vergab sie auch einen Elfmeter: "Shit happens", sagte sie anschließend. "Es tut mir sehr leid, dass ich die armen norwegischen Zuschauer so gestresst habe." Weil Norwegen dennoch mit 2:1 gewann und die Atmosphäre "unglaublich" gewesen sei, sagte sie: "Mein Herz ist heute glücklich."
Hegerberg nur auf der Bank?
Nicht glücklich sind dagegen die Kritiker. Sie erkennen Mängel im Pressing der Stürmerin, sie deuten eine schwache Bindung zu ihren Nebenleuten an - und sehen Elisabeth Terland von Manchester United als Alternative vor ihr. Oder auch Ausnahmetalent Signe Gaupset, die zum 4:3 gegen Island zwei Tore und zwei Vorlagen beisteuerte. Hegerberg wurde in dem Spiel geschont, kam ebenso wenig zum Einsatz wie Barcelona-Star Caroline Graham Hansen. Es war das Spiel, das in Norwegen Mut fürs Viertelfinale machte. "Ich bin der Meinung, dass Elisabeth Terland für Ada Hegerberg starten sollte", sagte Thorstvedt. Spielwitz und Offensivdrang waren in den ersten beiden Gruppenspielen, die Norwegen zwar gewonnen hatte, vermisst worden. Die Jüngeren seien es, die das Team nun brauche, so der Tenor.
Die Jüngeren, die einst zu Hegerberg aufschauten: "Es gibt ein Foto von Signe Gaupset und mir, da war sie zehn Jahre alt und ich als Zwanzigjährige im Nationaltrikot. Wenn ich solche Bilder sehe, ist das schon außerordentlich", sagte Hegerberg dem "Blick".
Ihre Pause gegen Island nahm sie gelassen, jubelte bei den Toren ihrer Teamkolleginnen. "Sie gibt alles für diese Mannschaft. Ich bin sehr zufrieden mit ihr", sagte Trainerin Gemma Grainger. Ihre Qualitäten als Anführerin seien "unschätzbar". Es scheint kaum vorstellbar, dass Grainger sich der Kritik beugt und im K.-o.-Spiel auf Hegerberg verzichtet. Für die Legende ist die Kritik ohnehin nicht mehr als ein Grundrauschen. "Ich nehme das locker", sagte sie, "ein bisschen Wirbel ist in Ordnung." Mit Wirbel kennt sie sich nun wahrlich aus.
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