30,5 Grad warmes Wasser – die fragwürdigen Bedingungen bei der Schwimm-WM
Sie schlossen sich in eine Hitzekammer bei 39 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit, setzten sich dann aufs Rad und strampelten sich ab. Kontrollierten dabei Puls, Wasserverlust und andere Werte. Sie schwammen in Badewannen-warmen Pools und Kanälen. Alles kein Spaß, aber zwingend notwendig, um gewappnet zu sein für die extremen Herausforderungen, denen sich Deutschlands Top-Freiwasserschwimmer jetzt bei den Weltmeisterschaften in Singapur stellen. Alles andere wäre fahrlässig gewesen.
Denn es wird heiß, wenn Florian Wellbrock, Oliver Klemet und Co. ab Dienstag um WM-Medaillen kämpfen. Und das ist wörtlich gemeint. Ausgetragen werden die Rennen nämlich am Palawan Beach auf der zu Singapur gehörenden Insel Sentosa – und die Wassertemperatur dort beträgt etwa 30 Grad. „Bei solchen Temperaturen kann man nicht Vollgas schwimmen, nicht über zehn oder fünf Kilometer“, erklärt Bundestrainer Bernd Berkhahn. „Ich sehe es ähnlich kritisch wie das Rennen in der Seine.“
Dort, während der Freiwasserrennen bei den Olympischen Spielen von Paris, waren die schlechte Wasserqualität und die starke Strömung Anlass der Kritik. Dass die Bedingungen beim Freiwasser variieren und bisweilen herausfordernd sind, ist Teil der Sportart und Faszination für die Athleten. Aber es gibt Grenzen. In Sachen Temperatur liegt das obere, vom Weltverband festgelegte Limit bei 31 Grad – und damit gerade mal 0,5 Grad über der Messung beim ersten Training vor Ort.
„Es war warm, aber nicht übermäßig warm, sodass sich die Sportler aufgeregt hätten“, berichtete Berkhahn dennoch. Seine Athleten haben einiges dafür getan, um vorbereitet zu sein, wenn am Dienstag um 2 Uhr deutscher Zeit der erste Startschuss fällt – dann für die Frauen über die olympische Distanz von zehn Kilometern. Aus deutscher Sicht dabei: Jeannette Spiwoks und Lea Boy. Klemet, Olympia-Zweiter von Paris, und Wellbrock, Olympiasieger 2021, sind am Mittwoch zur gleichen Zeit gefordert. In Singapur ist es dann 8 Uhr am Morgen – ein früher Start, um zumindest nicht noch wärmeres Wasser zu riskieren.
Als der Tod Fran Crippens die Schwimmwelt schockte
Die Temperatur-Obergrenze gibt es erst seit einem tragischen Todesfall, geschehen am 23. Oktober 2010 beim Weltcup im arabischen Emirat Fudschaira. Der Amerikaner Fran Crippen, WM-Dritter von 2009, „wurde in der letzten Runde noch gesehen. 500 bis 600 Meter vor dem Ziel ist er untergegangen“, berichtete Thomas Lurz damals. Zwei Stunden nach dem Ende des Rennens wurde Crippen von Tauchern gefunden. Hilfe kam zu spät. Er starb im Alter von 26 Jahren.
Lurz forderte damals Konsequenzen wie eine Teilnehmer-Begrenzung und eine Maximaltemperatur des Wassers. Der Persische Golf soll zum Zeitpunkt des Rennens offiziell 29 Grad warm gewesen sein. Die Untersuchungskommission allerdings schätzte die Temperatur deutlich höher ein. „Auf der Strecke waren es zwei bis drei Grad mehr. Der Start war in der Mittagshitze, in der Sonne war es über 40 Grad. Die äußeren Bedingungen waren zu extrem für eine Marathon-Disziplin“, so Lurz damals.
Aus medizinischer Sicht war laut Untersuchungskommission „unkontrolliertes Belastungsasthma unter ungünstigen äußeren Wettkampfbedingungen“ ein möglicher Auslöser für die Bewusstlosigkeit gewesen, die zum Tod durch Ertrinken geführt hatte. Faktoren wie die hohe Luft- und Wassertemperatur in Kombination mit möglicher Dehydrierung sowie Überhitzung bei hoher Anstrengung könnten, so hieß es, zur Erschöpfung des Schwimmers geführt haben.
Das ist das eine – das andere, dass er so spät gefunden wurde. Hauptursachen für Crippens Tod sollen ungenügende Überwachung und mangelnde Sicherheitsmaßnahmen gewesen sein. Die Experten forderten klarere Regeln und Wassertemperaturgrenzen von 18 und 28 Grad. Zwar wurde eine Höchstgrenze festgelegt – bis dahin gab es nur die Mindesttemperatur von 16 Grad –, allerdings jene bis heute gültigen 31 Grad. Auch Lurz hielt das für zu warm.
„Der Organismus ist nur eingeschränkt leistungsfähig“
Viel kühler wird die Wassertemperatur in Singapur allerdings nicht sein; die Bedingungen im Freiwasserschwimmen wurden seit der Tragödie 2010 aber extrem professionalisiert. Sicher ist: Die Wassertemperatur wird ein großer Faktor sein, die Taktik bestimmen und könnte auch das Feld durcheinanderwirbeln. Die Rennen sind wenig vorhersehbar.
„Die Wassertemperaturen sind die begrenzende Größe. Der Organismus ist ja nur eingeschränkt leistungsfähig“, sagt Berkhahn. „Bei den langen Distanzen kommt es dann dazu, dass sich die Körperkerntemperatur erhöht, hoher Wasserverlust und hoher Mineralstoffverlusst eintritt. Das hat Folgen für die Leistungsfähigkeit.“ Und genau das wird die Taktik mitbestimmen, da Verpflegung aufgenommen werden muss und dies zu einem wesentlichen Part wird. „Und“, so der Coach, „das Tempo darf am Anfang nicht zu hoch sein.“
Er hält sich deshalb mit Zielen für seine erfolgsverwöhnte Mannschaft lieber zurück. „Man kann viel planen und die Form des Sportlers sehr gut sein, aber trotzdem kann am Ende etwas schiefgehen.“
Kaum Feedback im Rennen möglich
Um gesundheitliche und sportliche Risiken zu minimieren, trainierten die deutschen Schwimmer unter anderem auf dem Rad in Hitzekammern und in warmen Becken – damit der Körper sich daran gewöhnt, aber auch, damit die Sportler lernen, wo ihre Grenzen sind, wie hoch ihr Puls bei welcher Belastung geht. Ihre Pulswerte, der Wasserverlust und andere Daten wurden bei diesen Einheiten getrackt und später analysiert.
Vor allem das Training in der Hitzekammer fordert den Körper und muss richtig dosiert werden. „Man erreicht eher mal einen Overload im Training, geht also über die Schwelle, was noch positiv als Trainingseffekt und eher negativ in eine Überlastung wirkt“, so Berkhahn. „Es gibt Beispiele im Profisport, die das in der Vorbereitung übertrieben haben. Das ist schon sehr grenzwertig und auch gefährlich.“
Während der WM-Rennen müssen sich die Sportler dann auf ihr Gefühl und ihre Erfahrung verlassen, um sich nicht zu überanstrengen und nicht zu überhitzen. Kontrollieren können sie ihre Werte nicht. Berkhahn und die anderen Trainer können lediglich bei der Verpflegung ein kurzes Feedback geben. „Ich dürfte meinem Sportler zurufen, ‚mach ein bisschen ruhiger‘ oder ‚du kannst ein bisschen schneller schwimmen‘. Aber ich habe kein unmittelbares Feedback wie Puls oder Wasserverlust.“
Es ist zwar mittlerweile erlaubt, mit sogenannten Wearables zu schwimmen und zum Beispiel die Herzfrequenz während des Rennens aufzuzeichnen, aber das darf ausschließlich der Analyse im Nachhinein dienen. Ein direktes Feedback ist nicht erlaubt. „Ich kann nicht mit einer Pulsuhr schwimmen und dann mal schauen, wie mein Puls ist. Das ist verboten“, erklärt Berkhahn. Am Montag wird er mit seinen Athleten noch mal im Wettkampfbereich trainieren – so viel Sicherheit wie möglich für Kopf und Körper erarbeiten.
*Die Freiwasserrennen sind im Livestream bei eurovionsport.com oder in der gleichnamigen App zu sehen. Um kostenlos zuschauen zu können, muss allerdings ein Account angelegt werden.
Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
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