Zweites Spiel, zweiter Sieg bei der Fußball-Europameisterschaft, das DFB-Team steht bereits sicher im Viertelfinale. Ein "Sieg der Mentalität", lobt Bundestrainer Christian Wück. Mit seiner Torhüterin Ann-Katrin Berger aber ist er so gar nicht zufrieden.

Schnappatmung beim Bundestrainer und bei mehr als 17.000 deutschen Fans im Gruppenspiel der Fußball-Europameisterschaft gegen Dänemark: Ein Dribbling in der 89. Minute, unmittelbar vor dem deutschen Tor. Die kurz zuvor eingewechselte Dänin Nadia Nadim bekommt nicht entscheidend den Fuß dazwischen, der Ball bleibt beim DFB-Team. Das 2:1 für Deutschland hält. Es ist aber nicht etwa eine Verteidigerin, die sich da den Nervenkitzel erlaubt, sondern es ist Torhüterin Ann-Katrin Berger. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend in Basel. Das wird ein Nachspiel haben.

Ob die riskante Spielweise so in Ordnung ist, beantwortet Bundestrainer Christian Wück auf der Pressekonferenz nach dem Spiel mit: "Nein." Stille. Erst die überraschten Lacher der versammelten Journalisten lassen ihn weiter ausführen: "Mehr kann ich erstmal nicht dazu sagen, aber wir werden uns an einen Tisch setzen, dass wir da andere Lösungen finden müssen." Und dann: "Sonst werde ich nicht alt."

Wück lobt "Kampf, Mentalität, Siegeswille"

Der 52-Jährige hatte sein Team vorher gelobt, den "Sieg der Mentalität" herausgestellt. Seine Spielerinnen hatten erst Pech mit dem VAR. Ein Tor von Klara Bühl (18.) wurde aberkannt, weil im Videobeweis erkannt wurde, dass Sjoeke Nüsken den Ball im Abseits noch berührte. Dann ging Dänemark durch einen Treffer von Amalie Vansgaard in Führung (26.). Und nach dreiminütiger Prüfung wurde in der 40. Minute auch noch eine Elfmeter-Entscheidung zurückgenommen, es gab nur Freistoß von der Strafraumgrenze. Erst in der zweiten Halbzeit drehte das DFB-Team das Spiel. Nüsken durfte schließlich doch noch zum Elfmeter antreten und verwandeln (56.), zehn Minuten später sorgte Lea Schüller für den Endstand. Weil Schweden im anschließenden Spiel der Gruppe C Polen mit 3:0 besiegte, ist das DFB-Team bereits sicher fürs Viertelfinale qualifiziert.

Wück sagte nach dem Sieg seines Teams: "Für mich war es unheimlich wichtig, auch mal dieses Gesicht der Mannschaft zu sehen. Wir haben es aus technischer, aus spielerischer Sicht nicht hinbekommen, aber dann kamen die anderen Komponenten, die eine deutsche Mannschaft immer auszeichnen, der Kampf, die Mentalität, der Siegeswille. Und deswegen nehmen wir das sehr, sehr gerne mit."

Bei Berger aber hatte Wück offensichtlich nichts Positives, das er hervorheben wollte. Die 34-Jährige vom US-Klub New Jersey/New York Gotham FC wagte viel, zu viel für den Bundestrainer. Berger reagierte darauf durchaus überrascht: "Mal gucken, was er zu sagen hat", sagte sie, konfrontiert mit Wücks Aussage. "Mal gucken, ob wir mit einer Lösung nach vorne gehen können, wo wir uns beide einig sind."

Große Teile des Spiels stand Berger nahe der Mittellinie und war gern genutzte Anspielstation für ihre Mitspielerinnen, sobald die nach vorn nicht direkt eine Lösung fanden. Dass sie eine mitspielende Torhüterin ist, dürfte nicht der Stein des Anstoßes sein. Doch ihre mehrfach gezeigten Dribblings könnten Fehler verursachen. Sie geht damit ein großes Risiko ein. Zumal sie ihre Pflichtaufgaben nicht so souverän erfüllte, als dass sie sich etwas hätte gönnen dürfen. Ihre Passquote nach Abschlägen ist immens ausbaufähig. Nur 38 Prozent ihrer lang gespielten Pässe kamen an.

Berger hatte "ein echt gutes Gefühl"

Berger selbst empfindet ihr Spiel gar nicht als sonderlich riskant: "Vielleicht sieht es bei euch so aus. Aber ich muss sagen, die drei Aktionen, die ich hatte, da hatte ich ein echt gutes Gefühl. Und auch wenn ich mir manchmal die Fußballclips anschaue, sieht das in eurer Perspektive einfach ganz anders aus als bei mir. Deswegen würde ich es wahrscheinlich wieder tun."

Ohnehin hat sie die Situationen ihrer Meinung nach voll im Griff. Höherer Puls? "Es wäre schlimm, wenn, sonst würde wahrscheinlich der Ball verspringen. Aber nein, ich kenne das aus dem Training, wo ich die ganze Zeit Druck kriege. Ich liebe es, Fußball zu spielen und das ist einfach meine Art und Weise." Und dann hat sie noch eine schlechte Nachricht für Wück: "Vielleicht können wir es minimieren, aber ich glaube, ganz raus werde ich es nicht bekommen."

Rückendeckung bekommt die deutsche Torhüterin von ihrer Kapitänin Janina Minge. Die Innenverteidigerin, die ihr Team zum ersten Mal als Spielführerin auf den Platz brachte, weil sie nun die verletzte Giulia Gwinn ersetzt, sagte: "Sie strahlt eine enorme Sicherheit aus. Wenn ich den Ball nach hinten spiele, weiß ich, dass er dort gut aufgehoben ist."

Zweimal Schockdiagnose Schilddrüsenkrebs

Erst im vergangenen Jahr hatte Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch kurz vor den Olympischen Spielen entschieden: Berger wird die neue Nummer eins. Die Frau, die jahrelang nicht an den Stammtorhüterinnen vorbeikam, erst 2020 im Alter von 30 Jahren ihr erstes Länderspiel absolvieren durfte. Sie spielte außerhalb des Fokus der deutschen Öffentlichkeit, war nach dem Meistertitel mit Turbine Potsdam zu Paris St. Germain gewechselt, von dort aus ging es weiter nach England: Birmingham und FC Chelsea, schließlich im vergangenen Jahr der Wechsel in die USA. In Birmingham sei sie gefeiert worden, "aber ich hatte die internationale Bühne nicht, auf der ich allen hätte zeigen können, was ich draufhabe", sagte sie mal. Darum der Wechsel nach London, dort konnte sie sich in der Champions League beweisen.

Doch Berger kennt nicht nur die große Bühne des Sports. Zweimal erhielt sie bereits die Schockdiagnose Schilddrüsenkrebs. Zum ersten Mal 2017, ein weiteres Mal nach der Europameisterschaft 2022 in England, als sie - ohne einen Einsatz zu bekommen - mit dem DFB-Team Vize-Europameister wurde. Nach dem ersten Mal erzählte sie eindrücklich, wie die Therapie ablief. Sie musste Tabletten mit niedrig dosiertem radioaktivem Jod schlucken, das erkrankte Zellen des Schilddrüsengewebes absterben lässt. Weil sie aber selbst wegen der Tabletten radioaktiv strahlt, wurde sie in einem Krankenhauszimmer isoliert. Die härteste Etappe der Therapie, trotz sechseinhalbstündiger Operation: "Die Radiojodtherapie war das Schlimmste von allem, weil du einfach vier Tage lang in einem Zimmer sitzt und nichts machen kannst."

Berger ist Deutschlands Fußballerin des Jahres

Vor den Olympischen Spielen zahlte sich all das Bangen auch sportlich aus. Sie war vorbeigezogen an Merle Frohms, der sie nach Almuth Schult ebenfalls den Vortritt im DFB-Tor lassen musste. Nun war Frohms degradiert, die Wolfsburgerin, die jüngst zu Real Madrid wechselte, trat nach den Olympischen Spielen aus dem Nationalteam zurück.

Berger zahlte das neu gewonnene Vertrauen in sie in Frankreich voll zurück. Im Spiel um Bronze gegen Spanien parierte sie kurz vor Abpfiff einen Elfmeter - und hielt das 1:0 und damit die Medaille für Deutschland fest. Sportjournalisten wählten sie schließlich zur Fußballerin des Jahres 2024.

Wück beließ es bei der Entscheidung, Berger ist auch seine Nummer eins. Außerdem beim Turnier in der Schweiz dabei: Stina Johannes, die von Eintracht Frankfurt zum VfL Wolfsburg wechselt und Ena Mahmutovic vom FC Bayern. Die Münchnerin ist 21 Jahre jung und hat erst ein - unglückliches - Länderspiel absolviert. Auch Johannes ist mit drei DFB-Partien nicht viel erfahrener, doch viele sehen in der 25-Jährigen die Zukunft.

Beinahe wäre die Zukunft schon jetzt angebrochen. In der 78. Minute prallte Berger mit der Dänin Signe Bruun zusammen und musste anschließend behandelt werden. Johannes hatte sich sogar schon zum Warmmachen bewegt, konnte sich aber wieder auf die Bank setzen. "Mir ist eine in den Brustkorb reingesprungen und es tat weh. Ich habe kurz Schnappatmung bekommen, aber so langsam geht der Puls wieder runter und die Atmung ist in Ordnung", so Berger. Ihr Fazit: "Die Torhüterposition ist etwas riskant." In diesem Punkt dürfte sie sich mit Wück einig sein.

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