Schwimm-Weltmeisterin Angelina Köhler hat ein emotionales Jahr hinter sich. In Doha gewann die 24-Jährige sensationell WM-Gold über die 100 Meter Schmetterling. Bei den Olympischen Spielen von Paris wurde sie dann zur tragischen Heldin: In ihrer Paradedisziplin belegte sie Rang vier. Bronze holte vor ihr die unter Dopingverdacht stehende Chinesin Zhang Yufei. Als sich Köhler für sauberen Sport starkmachte, folgten heftige Attacken aus China.

Frage: Frau Köhler, wie schlimm war der Shitstorm?

Angelina Köhler: Ich wurde von chinesischen Bots auf Englisch und Deutsch angegangen. Ich wurde als Nazi beschimpft und bekam Fotos mit Hitlergrüßen zugeschickt. Wegen meiner ADHS-Diagnose wurde behauptet, ich sei vollgepumpt mit Medikamenten wie Ritalin. Dabei nehme ich gar keine Medikamente. Auch wurde ich als ewige Vierte bezeichnet. Das alles war schon extrem krass.

Frage: Was hat das mit Ihnen gemacht?

Köhler: Das Ganze hat bei mir Spuren hinterlassen. Ich gehe jetzt mit einem anderen Gefühl in die nächsten Wettkämpfe wie die WM in Singapur. Ich weiß nicht, wie es sein wird, auf die chinesische Mannschaft zu treffen. Wie ist es, wenn chinesisches Publikum dabei ist? Werde ich ausgebuht? Das sind alles Fragen, mit denen ich als Sportlerin vorher nicht konfrontiert worden bin. Durch meine Aussagen, zu denen ich immer noch stehe, habe ich mich angreifbar gemacht. Einige Leute haben aber etwas in den falschen Hals bekommen: Ich habe nicht die chinesische Sportlerin direkt verantwortlich gemacht. Es ging mir um das System als Ganzes.

Frage: Wie viel kommt heute noch?

Köhler: Es ist weniger geworden. Die schlimmste Zeit war bei Olympia und danach. Es kommen aber immer noch Nachrichten unter meinem Video, was über eine Million Aufrufe hat. Ich hatte bei Olympia Angst, alleine unterwegs zu sein, alleine auf der Straße zu gehen. Ich hatte ein komisches Gefühl, an chinesischen Mannschaften vorbeizugehen, weil ich nicht wusste, ob sie wussten, wer ich bin.

Frage: Wie hat sich Ihr Verhalten dadurch geändert?

Köhler: Es ist wie ein Verfolgungswahn. Ich trinke immer noch aus keiner Flasche, die schon geöffnet wurde. Es muss besonders auf meine Flasche aufgepasst werden, damit mir niemand dort etwas reinschüttet. Ich schreibe mir jedes Nahrungsergänzungsmittel auf, das ich nehme. Ich bin in meinem Alltag durch die Folgen eingeschränkt.

Frage: Was kann gegen solche Bot-Attacken getan werden?

Köhler: Der DOSB bietet ja Hilfe durch künstliche Intelligenz, die Nachrichten scannt und die Sportler vor solchen Kommentaren abschirmen soll. Allerdings war dies vor Olympia aus meiner Sicht noch nicht ausreichend kommuniziert worden. Ich wünsche mir, dass der DOSB für die Sportler eine Ansprechperson anbietet. Damit man sich nicht alleingelassen fühlt. Ich hoffe, dass es für die Winterspiele in Mailand ausgebaut wird.

Frage: Trotz der Attacken gelingen Ihnen schnelle Zeiten. Über 100 Meter Schmetterling sind Sie mit 56,33 Sekunden hinter Weltrekordlerin Gretchen Walsh (54,60 Sekunden/USA) die Nummer zwei der Welt. Über die 50 Meter schwammen Sie in Berlin deutschen Rekord (25,62 Sekunden). Wie gehen Sie an diese Saison heran?

Köhler: 2024 stand ich sehr unter Druck, weil ich als Weltmeisterin bei Olympia startete. Daher geht es mir jetzt zunächst darum, diese Saison erst einmal wieder Spaß zu haben. Die Zeiten, die ich dieses Jahr geschwommen bin, machen mir sehr viel Mut, und ich kann bei den Höhepunkten selbstbewusst an den Start gehen. Mit meinen Zeiten sieht es – Stand jetzt – gut aus für eine Medaille. Ich werde einfach das Beste geben, was geht.

Frage: Bei den deutschen Meisterschaften schafften Sie ein besonderes Double: zwei Titel – über 50 Meter Schmetterling und Freistil – in zehn Minuten. Wie kam es dazu?

Köhler: Die Wettkampfausschreibung war ziemlich ungünstig: Ich war am Donnerstag und dann erst wieder am Sonntag dran. Keine Ahnung, warum sie diese beiden Rennen direkt hintereinander gelegt haben. Ich musste in den sauren Apfel beißen, weil ich meinen Schmetterling-Titel nicht hergeben und im Freistil die WM-Norm angreifen wollte.

Frage: Sie gehen offen mit Ihrem ADHS um. Wie viel Feedback bekommen Sie dafür über Social Media?

Köhler: Es ist total schön, dass sich Menschen, weil ich so offen darüber spreche, damit identifizieren können oder sie merken, dass es gar nicht so schlimm sein muss. Ich kann Menschen so Kraft schenken. Interessanterweise bekomme ich sehr viele Nachrichten von Eltern, die mir schreiben, dass deren Kind ADHS hat und mich als Vorbild sieht. Das bedeutet mir sehr, sehr viel. Das Feedback ist durchweg positiv.

Frage: Wann wurde ADHS bei Ihnen diagnostiziert?

Köhler: Die ersten Vermutungen gab es in der Grundschule. Meine Lehrerin ahnte es, aber damals war das noch sehr stigmatisiert. Damals vor 17, 18 Jahren ging es noch eher um Jungs, die nicht stillsitzen konnten. Bei Mädels war es überhaupt nicht das Thema. Als meine Lehrerin es meinen Eltern sagte, dachten die nur: Oh Gott, was machen wir jetzt? Damals wurden meist Medikamente wie Ritalin gegeben. Doch meine Eltern wollten das nicht. Sie haben mich lieber direkt zum Sport geschickt.

Frage: Wurde es besser?

Köhler: In meiner Jugendzeit wurde es durch den Sport vielleicht etwas gedrosselt, aber bestimmte Verhaltensweisen sind nicht weggegangen oder sind sogar schwieriger geworden. Dann habe ich angefangen, mit einem Sportpsychologen zu arbeiten. Dort haben wir schließlich herausgefunden, dass es definitiv ADHS ist.

Frage: Welche positiven Seiten von ADHS erleben Sie?

Köhler: Ich bin ein super offener Mensch und habe keine Scheu, Leute anzusprechen oder Empathie zu zeigen. Es ist auch eine große Kunst von mir, dass es mir gelingt, schüchterne Menschen dazu zu bringen, sich zu öffnen. Mit Außenseitern komme ich sehr gut klar. Im Wettkampf bin ich auf den Punkt da und hole das Beste aus mir heraus. Das ist eine riesengroße Gabe von mir. Dafür kann ich andere Sachen nicht, und das ist auch völlig okay.

Frage: Was zum Beispiel?

Köhler: Das sind Dinge, die in der jetzigen Welt einfach vorausgesetzt werden: E-Mails beantworten, Rechnungen rechtzeitig bezahlen. Das ist für die meisten Menschen einfach – und für mich ist das eine echte Herausforderung. Wenn ich daran denke und es wirklich erledige, dann ist so etwas schon ein kleiner Erfolg für mich …

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke