Wo der Rhein am romantischsten ist
Der Wanderweg führt vom Honnefer Waldrand am Fuß des Siebengebirges bis zum Rheinufer in Unkel, genauer: vom Haus des Dichters Karl Simrock zu dem seines Kollegen und Freundes Ferdinand Freiligrath, vorbei an einigen weiteren Schauplätzen romantischer Dichtung und Musik.
Sechs Kilometer sind es vom Start bis zum Ziel, doch auch Abstecher jenseits des Weges lohnen sich, sodass man sich zwei, drei Tage Zeit lassen sollte. Hier lässt sich auf engem Raum pure Rheinromantik erleben, die weit mehr ist als Weinberge und Burgen.
Beim Aufbruch angemessener Morgennebel. Nach einer Viertelstunde taucht zwischen Bäumen die erste Wegstation auf: das habsburgisch-gelbe Simrockhaus, ein eleganter Bau mit weitem Blick ins Tal. Sein Namensgeber Karl Simrock hatte sich das Haus 1837 bauen lassen, als Sommerhaus für die Semesterferien. Er war seinerzeit der erste Germanistik-Professor an der Bonner Universität geworden, weil er unter anderem das Nibelungenlied ins Hochdeutsche übersetzt hatte.
„Parzival“ steht immer noch im Basaltstein über der Haustür, so hatte er sein Refugium getauft. Gegenüber das Häuschen des Verwalters. Der hatte sich unter anderem um den Weinberg zu kümmern. Weinberge gab es hier an jedem Hang, bevor sich die Reblaus im Rheintal kurz vor Simrocks Tod ans Werk machte. Da, wo früher Simrocks Wein wuchs, auf den Weinterrassen am Menzenberg, ist heute Wald, gesäumt von Pferdeweiden.
Im Haus am Menzenberg empfing Karl Simrock berühmte Literaten wie den Lyriker Ferdinand Freiligrath. „Da hat er sich in einer sonnigen versteckten Bergschlucht mitten in seinen Reben ein Häuschen gebaut“, hat der damals über Simrock geschrieben, „lässt den Wein schneiden, legt Spargelbeete an, keltert und übersetzt den Parzival.“ Und Shakespeare und Märchen und Sagen.
Wie gut es ihm dabei ging, ließ Simrock in seinem Gedicht „Warnung vor dem Rhein“ durchblicken: „An den Rhein, an den Rhein, zieh’ nicht an den Rhein. Mein Sohn, ich rate dir gut, da geht dir das Leben zu lieblich ein, da blüht dir zu freudig der Mut.“
Gäste kamen trotzdem, etwa Ludwig Uhland, Heinrich Heine und Wilhelm Grimm mit Familie, wie aus dem erhaltenen Gästebuch hervorgeht. Gerade mit den Grimm-Brüdern, die wie er Märchen sammelten und veröffentlichten, war Simrock befreundet.
Sagen-Schauplätze einfach verlegt
Das war zunächst nicht abzusehen, wie Peter Glasner, ebenfalls Germanist an der Bonner Uni und sozusagen Simrocks Nachfolger, vor Ort erläutert. Die beiden akribischen Literaturforscher hätten sich anfangs an Simrocks rheinisch entspannter Art gestoßen, mit mittelalterlichen Originaltexten umzugehen. So habe er Geschichten nicht selten nach Gutdünken neu erzählt und dabei auch Schauplätze von Sagen verlegt: an seinen Menzenberg.
Dem Rotwein, den er auf seinem Landgut am Menzenberg produzierte, habe Simrock den Namen „Eckenblut“ gegeben, nach dem Riesen Ecke, den Dietrich von Bern laut Simrocks Neuinterpretation hier angeblich erschlagen hat. Eine letzte Rebe davon ist übrigens erhalten, im Garten gut sichtbar auf einer Pergola drapiert.
Fast in Rufweite von Simrocks Haus Parzival steht Schloss Hagerhof, der nächste Wanderhalt. Zu Simrocks Zeiten war das Schloss Landsitz der Weyermanns, einer zu viel Geld gekommenen Färberfamilie. Die hatte das Anwesen vom Eau-de-Cologne-Fabrikanten Farina aus Köln gekauft und im englischen Tudor-Stil umbauen lassen. So steht es immer noch da: mit Giebeln und Türmchen, Säulen und Bogengängen, daneben der Schlossteich mit reichlich Seerosen.
Im Schloss mit seinen damaligen Salons und Gemächern sind heute Verwaltung, Bibliothek und Mensa eines privaten Gymnasiums untergebracht. Die neuen Schulbauten daneben versperren leider den Blick auf das ehemalige Gärtnerhaus und die romantische Vergangenheit überhaupt.
Der Weyermannsche Hagerhof habe nämlich nicht nur malerisch umrahmt von Wiesen und vor der Silhouette des Siebengebirges gelegen, erzählt Martina Rohfleisch, Bibliothekarin des Gymnasiums Schloss Hagerhof. Hier wurde in unmittelbarer Nachbarschaft zum Dichter Simrock auch Musik gemacht. Die Gastgeberin des Hauses, Emmy Weyermann, sei eine begabte Pianistin gewesen. Legendär waren ihre festlichen Musiktage zu Pfingsten.
Fröhlich ging es damals auch an Station drei zu: dem ehemaligen Gasthaus Clouth im Dorf Rheinbreitbach, ein Ort, an dem Simrock und Freunden nachweislich „freudig der Mut blühte“. Hier verbrachte 1853, auf Simrocks Empfehlung, die Familie von Wilhelm Grimm ihre Sommerferien. Das Gasthaus, so Martina Rohfleisch, sei damals ein verschachtelter Fachwerkbau gewesen, mit einem markanten, vieleckigen Turm. Ursprünglich habe der Hof zu einem Klosterweingut gehört, das die Kölner Geistlichkeit mit Wein zu versorgen hatte.
Ungestörtes Idyll
Schließlich sei es dann die Gute Stube Rheinbreitbachs geworden, der Rhein vom Turm aus in Sichtweite, weiter im Hintergrund der Drachenfels. „Das Idyll wird nicht durch falsche Staffage gestört“, hatte Simrock den Grimms geschrieben. Es ist keine besondere Toilette nötig.“ Keine förmliche Kleidung also, man wohne vielmehr wie zu Hause.
Mit Sicherheit werden die Grimms in ihren Sommerferien den Drachenfels besucht haben. Die Ruine der mittelalterlichen Burg oben auf dem Berg gibt es immer noch – wer in der Gegend ist, sollte unbedingt einen Abstecher dorthin unternehmen. Der Blick von dort aus hinunter ins Rheintal Richtung Süden ist nach wie vor bezaubernd, er reicht über die Rheininseln Grafenwerth und Nonnenwerth mindestens bis Rheinbreitbach, nach Norden bei guter Sicht sogar bis Köln.
Mit der Stadtbahnlinie 66 sind es übrigens von heutigen Bad Honnef aus nur drei Stationen bis Königswinter, von dort geht es mit einer herrlich altmodischen Zahnradbahn hoch auf den Drachenfels-Gipfel. Zu Simrockschen und Grimmschen Zeiten ging man natürlich zu Fuß. Das geht heute, bei Bedarf, auch noch.
Wie wohl sich die Grimms damals am Rhein fühlten, hatte sich sogar bis Berlin herumgesprochen. Jakob Grimm, der, eher ungesellig, angeblich wegen der vielen Arbeit zu Hause geblieben war, schrieb im September 1853 an seine Schwägerin Dorothea aus Berlin in die Sommerfrische: „Liebes Dortchen, ich freue mich, dass Du Dich immer mehr erholst. Die Rheinansichten sind doch ein anderes Ding als Euer Freienwalde, Harzburg und Friedrichsrode.“
Dass der Clouthsche Hof das meiste von seinem ehemaligen Charme verloren hat, lässt sich nicht leugnen, wenn man davorsteht. Anders als Rheinbreitbach sonst mit seinen vielen erhaltenen Fachwerkhäusern ist seine Verspieltheit unter dem vielen Putz nur noch zu erahnen.
Eine gute Wanderstunde später ist das Ende des Weges erreicht, an der Unkeler Rheinpromenade vor einem barocken Herrenhaus. Hier wohnte zur fraglichen Zeit Ferdinand Freiligrath, der später rund um die Deutsche Revolution 1848 mit politischen Gedichten berühmt wurde. Vorher gab er sich alle Mühe, das Rheinland als Dichter würdig zu vertreten, etwa mit seinem Gedicht „Auf dem Drachenfels“:
„In seiner Trauben lust’ger Zier, der dunkelrothen wie der gelben, sah ich das Rheintal unter mir, wie einen Römer grün sich wölben. Das ist ein Kelch! Die Sage träumt an seinem Rand auf moos’ger Zinne. Der Wein, der in dem Becher schäumt, ist die Romantik, ist die Minne!“
Ja, der Wein. Mit Sicherheit wird er die Freundschaften der Rheinromantiker befördert haben. Schon der Frühromantiker Ludwig van Beethoven soll seinetwegen kurz vor seiner Übersiedelung von Bonn nach Wien in Unkel eine Nacht verbracht haben, nur ein paar Schritte vom Freiligrathhaus entfernt: im Gefängnisturm. Entweder wegen Trunkenheit oder wegen Zechprellerei. Oder beidem.
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Mit der Deutschen Bahn bis Bad Honnef oder per Auto über die Autobahn A3 bis Ausfahrt Bad Honnef. Der Simrock-Freiligrath-Weg verläuft von Bad Honnef-Menzenberg rechtsrheinisch nach Unkel am Rhein. Stationen und Wegbeschreibung: karl-simrock-haus.de/wanderweg#einleitung
Wo wohnt man gut? „Hotel Scheurener Hof“ im Ortskern von Unkel-Scheuren, DZ/F ab 110 Euro, scheurener-hof.de; „Hotel the Yard“ in Bad Honnef, modernes Haus, DZ ab 99 Euro, hotel-badhonnef.com.
Romantik-Einblicke: Zeitgenössische Ansichten des Malers Heinrich Reifferscheid sind zu sehen im Siebengebirgsmuseum Königswinter, es verfügt über mehr als 600 Kunstwerke der Rheinromantik, montags geschlossen (siebengebirgsmuseum.de). Das Heimatmuseum Rheinbreitbach zeigt vor allem Alltagsgeschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts, geöffnet jeden 2. und 4. Sonntag im Monat oder nach Vereinbarung (info@heimatverein-rheinbreitbach.de). Schloss Hagerhof, Besichtigung nach Vereinbarung (verwaltung@hagerhof.de).
Weitere Infos: siebengebirge.com
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