Es ist die stille Wucht solcher Erlebnisse, die den Südwesten ausmacht: ein 45-Minuten-Marsch zwischen gerundeten roten Felsen und Wacholderbüschen, dann steht man an einer Felskante. 500 Meter geht es hier senkrecht hinunter. Unten ein Wüstenplateau, ein paar Kilometer gegenüber der mächtige Sandstein-Monolith Junction Butte. Der Blick hier im Canyonlands Nationalpark von Utah reicht 20, 30 Kilometer weit, gen Westen, wo die Sonne tief steht.

Knallblauer Himmel, leichte Brise. Zu hören ist: nichts. Der Sandstein strahlt die gespeicherte Wärme ab wie ein Heizkörper. Hinsetzen, schweigen. Demütige Stille. Erst schweifen die Blicke, dann die Gedanken. Es riecht nach Salbei und Weite. Nach einer halben Stunde Einsamkeit Aufrappeln, Losreißen von der Schönheit, Rückweg, gleich ist die Sonne weg.

Es fällt schwer, die Sensationen des Südwestens der USA einfach nur so – ohne Ausrufezeichen – hinzuschreiben: Arches, Monument Valley, Las Vegas, Grand Canyon, Bryce Canyon. Die Naturwunder, viele von ihnen als Nationalparks geschützt, sind ein Best-of des Besten, das der nordamerikanische Kontinent zu bieten hat. Ikonische Kracher aus Sand und Stein, perfekt für einen uramerikanischen Roadtrip. Durch Landschaften, die unendlich vertraut erscheinen, weil man sie schon dutzendfach virtuell durchfahren hat, ohne jemals dort gewesen zu sein. Auf der Kinoleinwand oder im Netflix-Stream. „Easy Rider“! „Nomadland“! „Thelma and Louise“! „Little Miss Sunshine“! Dazu hunderte Western aus 80 Jahren Filmgeschichte. Jeder Filmtitel setzt den Bildergenerator im Kopf in Bewegung.

Temperaturen erträglich, Besucherzahlen niedrig

Es gibt tausende Wege, dieses Gebiet zu erkunden, das etwa die Fläche von Deutschland, Frankreich und Italien umfasst. Klassische Startstationen für eine Rundreise sind Denver, Las Vegas oder Salt Lake City. Wer sich auf die wichtigsten Parks (fast alle im Bundesstaat Utah) konzentrieren will und zwei Wochen zur Verfügung hat, ist mit Las Vegas gut bedient.

Am besten einen Allradwagen mieten, den „America the Beautiful“-Nationalparkpass kaufen (kostet ab 2026 250 statt zuvor 80 Dollar), der den Eintritt in alle Parks ermöglicht, und die Südwest-Grundausrüstung besorgen: Basecap, Sonnencreme, Lippenbalsam, Wasserflasche. Jetzt, im Winter, ist die beste Zeit für den Südwesten: Temperaturen erträglich, Besucherzahlen niedrig, Touristenbetriebe entspannt.

Start mit einem optischen Paukenschlag: Im Zion-Nationalpark umfassen schroffe Felswände ein paradiesisch anmutendes Flusstal. Der Canyon-Boden ist bestanden von üppiger Vegetation, auf Lichtungen zwischen Pappeln und Weiden äsen Rehe. Wer will, mietet E-Bikes und gleitet wie im Rausch entlang des zwölf Kilometer langen Scenic Drive parallel zum North Fork des Virgin River.

Nur Pendelbusse dürfen hier fahren, für Privatautos ist die Strecke geschlossen. Das ist gut so, denn es fällt schwer, den Blick auf den Straßenverlauf zu richten, bei den spektakulären Felsformationen links und rechts der Straße. Kleine Wanderungen wie zum Weeping Rock unterbrechen die Radtour.

Der nächste Tag hält ein Abenteuer bereit: The Narrows! Gerüstet mit wasserdichten Wanderstiefeln, trockener Ersatzkleidung in einem Packsack und einem Holzstock wird im Virgin River flussaufwärts gewatet. Der Canyon verengt sich auf sechs Meter Breite zwischen 500 Meter hohen Felswänden.

Den Großteil der Strecke steht man knietief im Wasser, teils sogar bis zur Brust. Das klingt kalt und unangenehm, doch zwischendurch gibt es immer mal sonnige Strände, wo man sich abtrocknen und aufwärmen kann. Wer nicht mehr weiter will, kehrt einfach um. In Springdale oder der „Zion National Park Lodge“ warten eine Tasse Kaffee oder ein Burger gegen den Kalorienverlust.

Natürliches Amphitheater im Bryce Canyon

Gerade mal eineinhalb Stunden weiter liegt der wohl zugänglichste Nationalpark, Bryce Canyon. Ein absolutes Fotografen-Highlight. Tausende rote, skurril geformte Türmchen, sogenannte Hoodoos, recken sich in einem natürlichen Amphitheater in den tiefblauen Himmel.

Der Rim Trail zwischen den Aussichtspunkten Sunrise Point, Sunset Point und Inspiration Point ist Pflichtprogramm und leicht begehbar, doch erst wer hinuntersteigt, erlebt die Faszination des Sandstein-Labyrinths mit allen Sinnen. Der kurze Navajo Loop Trail führt 2,5 Kilometer weit durch die Felsen.

Den besten Blick von oben gibt es vom südlich gelegenen Bryce Point. Nahe Tropic gelegen, findet sich eine außergewöhnliche Unterkunft: Das „Clear Sky Resort“ sieht aus der Ferne aus wie eine Flotte gelandeter UFOs. In den Glaskuppeln kann man übernachten – und vom Bett aus den sternenübersäten Nachthimmel über Utah bewundern.

Spätestens auf dem spektakulären Highway 12 stellt sich Wildwest-Kino-Feeling ein. Fünf fantastische Autostunden Richtung Moab, am besten untermalt von einer Spotify-Roadtrip-Playlist. Durch Wälder, Gebirgszüge, Wüsten und Schluchten. Einfachstes Rezept für das ultimative Roadtrip-Feeling: Irgendwo am Straßenrand stehen bleiben und aussteigen, dazu klingt aus den Autolautsprechern Bruce Springsteens „Born to Run“. Und dann: Ausschalten, schier endlose Weite in allen Himmelsrichtungen, durchatmen, die Stille genießen.

Moab bezeichnet sich als „Adventure Capital“, die Hauptstadt der Abenteuer. Das abgelegene Nest ist der ideale Ausgangspunkt für die beiden Parks Arches und Canyonlands. Entlang der Hauptstraße gibt es alles, was man sich nur vorstellen kann, um die Gegend zu erkunden: Wander-Guides, Mountainbike-Vermieter, Pferdeausritte, Raftingunternehmen, Helikopter-Touren, Jeep-Safaris.

Wer Arches besuchen will, muss im Sommer lange im Voraus einen Slot für den Eintritt buchen – im Winter fährt man einfach hinein. Über 1500 rote Felsbögen stehen in Arches, mehr als an irgendeinem anderen Ort der Welt. Eilige können einen guten Eindruck in wenigen Stunden bekommen, doch die spektakulärsten Bögen erfordern mehr Zeit. Zu den schönsten muss man wandern.

Nationalpark-Hopping

Der Landscape Arch hat eine Spannweite von 93 Metern und ist in einer halben Stunde zu erreichen. Pflicht ist der perfekte Delicate Arch. Er ziert zu Recht die Titelseiten der meisten Reiseführer über den Südwesten der USA.

Gleich nebenan liegt der Park Canyonlands. 800 Quadratkilometer groß, unerschlossen, menschenleer und Ehrfurcht gebietend. Ein gigantisches Gewirr aus Schluchten, Spalten, Plateaus, Felskegeln und Höhlen. Die Distanzen sind groß, und wer auch nur ein wenig mehr als die üblichen View Points anfahren will, sollte einige Tage hier einplanen, zumal man jeden Tag aufs Neue die Anfahrt von Moab auf sich nehmen muss.

„Island in the Sky“ bietet herrliche Ausblicke über die umliegenden Schluchten (Grand View Point) und den langgezogenen Felsbogen Mesa Arch. Spätestens ab diesem Zeitpunkt der Südwestreise sind Auto, Wanderstiefel und Kleidung vom roten Sand der allgegenwärtigen Felsen bedeckt.

Richtung Süden, auf dem Weg zum Monument Valley, Stopp am Newspaper Rock, einem Felsen, auf dem sich über die Jahrhunderte prähistorische Jäger, Indigene und durchreisende Cowboys mit Felszeichnungen verewigt haben. Und dann, endlich, Monument Valley! Der Tribal Park inmitten des Reservates der Navajo steht wie kein anderer Ort für den Wilden Westen – beziehungsweise den Wilden Westen, wie er uns durch John-Ford-Western vermittelt wurde.

Outfit wie eine Ofenkartoffel

Eine Sunrise-Tour führt per Jeep zu weltbekannten Felsen wie „The Mittens“. Vor Sonnenaufgang ist es eiskalt im offenen Jeep, Wüstenklima, klar. Man wickelt sich am besten in Alu-Wärmefolien ein, auch wenn man damit aussieht wie eine Ofenkartoffel.

Der indigene Guide erzählt, wie er noch als Kind hier Schafe gehütet hatte, bevor er Jeepfahrer wurde. Der Anblick der Monolithen vor der aufgehenden Sonne ist jede Gänsehaut wert, was für magische Momente! Wer sich mit dem eigenen Wagen auf die ausgewaschene 27-Kilometer-Holperpiste machen will, sollte unbedingt auf große Bodenfreiheit achten. Immer wieder sieht man festhängende Touristenautos, die weder vor- noch zurückkönnen, und von Navajo in Pick-up-Trucks befreit werden müssen.

Der Grand Canyon ist die Schlucht der Schluchten. 1600 Meter tief, 400 Kilometer lang, bis zu 30 Kilometer breit. Milliardenfach von Touristen fotografiert. Einer der ersten Erforscher meinte im Jahr 1857: „Dieses Gebiet ist völlig wertlos, ... man kann dort nichts tun.“ Eine kolossale Fehleinschätzung. Am Südrand des Canyons ist es im Sommer unerträglich voll. Jetzt, im Winter, kann es schon mal vorkommen, dass man allein an einem der vielen Aussichtspunkte steht.

Besser noch als der Blick nach unten ist der Abstieg nach unten, Schicht um Schicht an zwei Milliarden Jahren Erdgeschichte vorbei zum Boden der Schlucht – allerdings nur bei exzellenter Fitness und Wandererfahrung. Denn unten ist es im Sommer bis zu 45 Grad heiß, auch im Dezember werden schon mal 25 Grad erreicht.

Für Normalsterbliche reicht der South Kaibab Trail. Eine hübsche Tour, über den lautmalerisch benannten „Ooh Aah Point“ hinunter zum Cedar Ridge und zurück. Bei allen dieser Hikes sollte man nicht vergessen: Wer den Umkehrpunkt erreicht, hat nur die Hälfte der Wegstrecke geschafft. Aufstieg, zunehmende Hitze und Erschöpfung machen den Rückweg gefühlt mehr als doppelt so schwer wie den Hinweg.

Zur Stadt gewordener Exzess

Wer nach fast 3000 Kilometern Roadmovie Las Vegas wieder erreicht, hat sich das perfekte Kontrastprogramm zu Wüstenweiten und Canyon-Tiefen verdient. Las Vegas ist der zur Stadt gewordene Exzess, eine flimmernde Orgie aus Neon, Musik, Stretchlimousinen und dem Pling-pling einarmiger Banditen. Man kann zusehen, wie Flamingos oder Tiger gefüttert werden, 10.000 Dollar für einen Cocktail ausgeben, aus 250 Meter Höhe eine Art Bungee Jump machen, einen Burger mit 19.000 Kalorien verzehren oder Maschinengewehrschießen lernen.

Das „Bellagio“ hat 1200 Springbrunnen, die Wasser bis zu 140 Meter in die Luft schießen. Andere Casinos sehen aus wie Venedig, New York, Paris, Ägypten oder eine Ritterburg. Es gibt ein NHL-Team, eine NFL-Mannschaft und ein Formel-1-Rennen. Im Sommer, bei 37 Grad, mieten Touristen in einer „Ice Bar“ Pelzmäntel und trinken bei minus 20 Grad Zimmertemperatur ein Bier.

Drogerien haben ganze Abteilungen für Kondome und Anti-Katermittel. Am Drive-thru-Schalter heiraten Paare, ohne das Auto zu verlassen. Kurz: In Las Vegas lässt Amerika die Sau raus.

Zugegeben, klingt nach Schocktherapie, doch gerade dieser Gegensatz zur erhabenen Natur des Südwestens hat seinen Reiz. Wenn sich der Südwest-Ring geschlossen hat, die Rundreise zu Ende ist, kann man in Las Vegas den Kopf schütteln über Verrücktheiten. Oder einfach nur mit offenem Mund vor der nächsten Sensation stehen.

Es tut gut, mal den überkritischen Europäer abzustreifen und einzutauchen in den Irrsinn. Selfies machen mit einem Elvis-Imitator, eine Weltklasseshow besuchen, die Flimmerwelt bewundern. Am Abend dann spült man in der Dusche die letzten Reste des roten Staubs ab. Es ist wie ein Abschied. Sicher nicht für immer.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Zum Beispiel mit Lufthansa oder United nonstop von München oder Frankfurt/Main nach Denver. Umsteigeverbindungen nach Las Vegas etwa mit Lufthansa, Condor oder Delta.

Wie kommt man herum? Ohne Auto geht es nicht: Ein Mittelklassewagen für 14 Tage von und bis Las Vegas kostet ab etwa 380 Euro.

Tipps für die einzelnen Stationen: Zion-Nationalpark: Die „Cable Mountain Lodge“ in Springdale liegt strategisch günstig gleich am Eingang des Parks, hat saubere Zimmer und Apartments, Doppelzimmer ab 135 Euro (cablemountainlodge.com). Lecker speist man im Mexikaner „Oscar’s Café“. Der Vermieter ebikezionrental.com verleiht E-Bikes inklusive Helm sowie Stiefel und Wanderstöcke für die Wanderung in die Narrows. Bryce Canyon Nationalpark: Das „Clear Sky Resort“ nahe Tropic ist die perfekte Unterkunft für Sternengucker, in durchsichtigen Kuppeln liegt man auf dem Bett und sieht in den Nachthimmel, Doppelzimmer ab 339 Euro (clearskyresorts.com). Im Ort gibt es im Restaurant „Showdowns“ rustikale Küche und fast jeden Abend Livemusik. Grand Staircase-Escalante National Monument: Zum Durchatmen geeignet sind die charmanten, ruhigen Jurten der Glampingunterkunft „Escalante Yurts“, Preis für zwei pro Nacht ab 150 Euro (escalanteyurts.com). Der Ort Escalante ist ein guter Ausgangspunkt für einen Trip zum Slot Canyon Peekaboo. Arches und Canyonlands Nationalparks: Ein wenig außerhalb von Moab an einer Schleife des Colorado River gelegen, umgeben von roten Felswänden, bieten die Cabins des „Red Cliffs Lodge“ Resortatmosphäre – mit Pool, Restaurant und einem tollen Museum zu den Western, die in der Gegend über die Jahrzehnte gedreht wurden; Doppelzimmer ab 126 Euro (redcliffslodge.com/moab). Im Ort kredenzt der urige Diner „Milt’s Stop & Eat“ die besten Milkshakes und Burger der Gegend. Grand Canyon: Günstig nahe der Schlucht in Tusayan gelegen ist die funktional eingerichtete „Red Feather Lodge“, Doppelzimmer ab 101 Euro (redfeatherlodge.com). Die besten Steaks weit und breit tischt das „Big E Steakhouse & Saloon“ auf. Las Vegas: Zentral am Strip gelegene Casinoresorts haben oft gute Übernachtungs-Deals, das „Wynn Hotel“ oder das „Bellagio“ (mit Blick auf Fontänenshow und Eiffelturmkopie) zählen zu den besten. Lust auf eine Alternative zu Neonlichtern? Seven Magic Mountains ist eine bunte, Instagram-taugliche Skulptur ein paar Kilometer Richtung Westen.

Weitere Infos: visitutah.com, visitarizona.com, visitlasvegas.com

Dieser Artikel stammt aus der Guest Edition der WELT AM SONNTAG von Andreas Gursky, einem der berühmtesten Fotografen der Welt. Sie können dieses einzigartige Sammlerstück hier (Link: https://www.lesershop24.de/welt-am-sonntag/gursky) bestellen.

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