Schon als Jugendlicher trug ich die Sehnsucht nach der Arktis in mir, aber weiter als bis zum Nordkap habe ich es nie geschafft. Doch nun ist es so weit: Es geht nach Grönland, an Bord eines Expeditionsschiffs! Neben mir steht erwartungsfroh mein 13-jähriger Sohn Moritz. Auch für ihn ist die größte Insel der Welt von Bedeutung: Die bedrohten Eisbären und Donald Trumps plumpes Ansinnen, Grönland den USA einzuverleiben, sind Themen, die ihn umtreiben.

Für diese besondere Reise konnten wir seine Lehrer überzeugen, ihn drei Tage früher in die Ferien zu entlassen. Als Gegenleistung soll er ein Referat an seiner Schule halten. Und gemeinsam mit seinem Vater ein Grönland-Tagebuch schreiben (seine Beiträge sind kursiv gesetzt).

1. Tag: Nuuk, 64°10’ Nord

Ein kleiner Eisberg dümpelt im Hafen von Nuuk, daneben hat die „Fridtjof Nansen“ festgemacht, unser Zuhause für die nächsten 18 Tage. Es herrscht Vorfreude unter 220 Passagieren und den Bordwissenschaftlern: Zwei Ornithologen freuen sich auf Krabbentaucher, die Walexpertin auf Buckelwale, eine Ozeanforscherin auf Mikroorganismen in Wasserproben, ein Geologe auf 3,5 Milliarden Jahre altes Gestein. Kapitän Terje Willassen freut sich auf einen Rekord: Er will weiter nach Norden vordringen als je ein Passagierschiff zuvor an der Westküste Grönlands.

Gleich zu Beginn spazieren mein Vater und ich zur Rettungsübung ins größte der vier Bordrestaurants. Zwei Crewmitglieder zeigen, wie man im Ernstfall den orangen Rettungsanzug und die Schwimmweste anlegt. Am Ende sehen sie aus wie Hummer. Um 22.30 Uhr legen wir endlich ab. Hinter vielen Fenstern in Nuuk sind Gesichter zu erkennen. Bin ganz schön aufgeregt!

2. Tag: auf See

Ein Tag der Vorbereitungen. Alle bekommen heute Expeditionsjacken und Gummistiefel für die Landgänge. Für Moritz, das einzige Kind an Bord, gibt es eine XS-Version. Die Gummistiefel sind nicht nur dem teils schlammigen Gelände geschuldet. Es geht darum, Grönlands Flora zu schützen. Wer eigene Wanderschuhe trägt, könnte im Sohlenprofil Samen und Keime einschleppen.

Alle müssen zum Vortrag über Umweltschutz und Respekt gegenüber der Kultur der Inuit. Danach stellen sich die Wissenschaftler vor. Sie empfehlen Apps, mit denen ich unterwegs Pflanzen, Gestein oder Tiere bestimmen und Fotos hochladen kann. Vor dem Abendessen dürfen Papa und ich auf die Brücke. Der norwegische Kapitän hat zum Steuern zwei faustgroße Joysticks. Eigentlich einfach, aber nur bei ruhiger See.

3. Tag: Ilulissat, 69°13’ Nord

Als wir aufwachen, liegen wir vor Ilulissat, hier leben 4500 Einwohner und 6000 Hunde. Die süßen Welpen laufen frei herum. Vom Eismuseum aus wandern Papa und ich über Holzbohlen zur Gletscherkante. Die Landschaft wirkt trostlos, gehört aber trotzdem zu den schönsten, die ich je gesehen habe. Im Nebel sehen die Spitzen im Eis aus, als wollten sie mir eine Geschichte erzählen. Später fahren wir auf Kuttern hinein in den Eisfjord. Wir zählen 14 Wale! Besonders stolz bin ich auf mein Schwanzflossen-Foto eines Buckelwals. Saffron, die Walforscherin, lädt es später auf einer Website hoch und findet heraus, dass dieser Wal letztmals vor zwei Jahren vor Island gesichtet wurde.

4. Tag: Uummannaq, 70°40’ Nord

Eine Wanderung steht an, in Uummannaq, unterhalb eines Doppelgipfels. Am Ortsrand entsichert unser kanadischer Guide Bob pflichtgemäß sein Gewehr, was zu einem Smalltalk über Eisbären führt. Als Bob erwähnt, dass Bären so weit im Süden kaum vorkommen und dass in 129 Jahren Reederei-Geschichte kein einziger Schuss fiel, herrscht beinahe ein wenig Enttäuschung.

Auf dem Rückweg erzählt mir Bob von all den Reisen, die er mit HX Expeditions unternimmt. Zum Beispiel in die Antarktis. Ich bekomme Lust, irgendwann bei HX zu arbeiten. Wieder an Bord kommt eine Durchsage: Finnwale! Ich renne an Deck und sehe gerade noch einen Rücken abtauchen.

5. Tag: Ukkusissat, 71°2’ Nord

Was für ein Gletscher! Früh legen die Schlauchboote ab, um so nah wie möglich an die weiße Wand zu kommen. Es kracht, einmal donnert eine Lawine ins Meer. Gänsehaut! Mit Papa hieve ich einen Mini-Eisberg ins Boot. Alle posen damit, dann werfen wir ihn zurück.

Kapitän Willassen manövriert das Schiff in einen engen Fjord, nur um es an dessen Ende zwischen den Felswänden in einem Präzisionsmanöver zu wenden. Auf Deck 10 gibt es Beifall.

6. Tag: auf See

Um 10 Uhr geht der Schiffsalarm los, ein ekliges Geräusch. Ich schaue bei der Rettungsübung zu: Die 160 Crew-Mitglieder ziehen orange Westen über und versammeln sich an ihren Stationen. Danach besuche ich Saffrons Vortrag „Überleben in der Arktis“. Mein Walflossenfoto kann man inzwischen auf der App „Happy Whale“ sehen!

7. Tag: Savissivik, 76°1’ Nord

48 Menschen leben in Savissivik, darunter zwölf Kinder. Zweimal jährlich legt ein Versorgungsschiff an, im Winter, wenn die Baffin Bay zufriert, ist der Weg frei für Hundegespanne von Verwandten aus den nördlichsten Gemeinden Grönlands. Zum zweiten Mal besuchen heute Touristen den Ort. Die Crew hat die „Invasion“ sorgfältig mit der Dorfgemeinschaft abgestimmt. Wir werden gebeten, nichts im Supermarkt zu kaufen, da die Waren regelmäßig knapp werden.

Ein einheimischer Jäger hat seine Fellkleidung angezogen und seinen Schlitten bereitgestellt. Er erzählt von der Robbenjagd. Danach sehen wir uns die Schule an. Sie ist viel kleiner und viel schöner als meine (sorry, Adolf-Weber-Gymnasium!). Außerdem besuchen wir eine Familie. Immer mehr Passagiere belagern das kleine Haus. Ich fühle mich nicht wohl. Würden wir in unsere Wohnung über 20 Fremde reinlassen?

8. Tag: Thule, 76°53’ Nord

Thule! Ein unbeschwerter Tag an diesem mythischen Ort stünde bevor, wäre da nicht die Durchsage, auf keinen Fall die Pituffik Space Base der Amerikaner zu fotografieren. Umso interessierter schielen alle hinüber zu den gigantischen Öl-Tanks, den Radaranlagen, dem aschgrauen Kriegsschiff.

Um 14 Uhr legen wir mit dem „Science-Boot“ ab. Wissenschaftlerin Ingvild misst die Wassertemperatur, und wir bestimmen die Farbe des Wassers mit einer App. Dann darf ich die Probe nehmen, die wir unter dem Mikroskop untersuchen werden. In dem Wasser ist einiges los: Winzige Tierchen, die vergrößert cool aussehen. Sie heißen Nackter Seeschmetterling und Spiral-Flügelschnecke. Später machen Papa und ich beim „Polar-Plunge“ mit, eine Art Mutprobe. So weit im Norden werde ich wohl nie mehr schwimmen. Das Wasser hat 1,8 Grad!

9. Tag: Qaanaaq, 77°29’ Nord

Qaanaaq ist der nördlichste Ort Grönlands. Am Pier klatschen Kinder mit mir ab, ich mache Selfies. Mir fällt auf, dass die Menschen hier viel mehr Vertrauen haben als in Deutschland. Keine Tür ist zugesperrt. Im Museum könnte man alles anfassen. Es gibt kaum Vitrinen und keine Aufpasser. Das Museum erzählt die Geschichte des Nordpolentdeckers Robert Peary und von Knud Rasmussens 1909 gegründeter Thule Station.

10. Tag: Kane Basin, 78°46’ Nord

Zurückgelassene Frühstücksteller, Menschentrauben auf Deck 7: Endlich gab es den Aufschrei, auf den alle gehofft hatten: „Eisbär!“ Mit viel Geduld wird jedes Auge, jedes Fernglas, jede Kamera zum Objekt der Begierde dirigiert, dann haben alle das helle Fell und die schwarze Schnauze im Schnee ausgemacht.

Es stehen so viele Leute am Bug, dass ich fast Angst habe, das Schiff könnte nach vorne kippen. Wir kommen nahe an den Eisbären heran, ich kann sogar mit dem Handy Fotos machen. Der Bär nimmt es gelassen, legt sich vor uns hin. Genau dort, wo vor ein paar Minuten eine Robbe lag. Ihn interessiert gar nicht, dass ihn so viele Menschen anstarren und fotografieren.

Als wir nach einer andächtigen Stunde Eisbär-Sichtung wieder Fahrt aufnehmen, gibt es Punsch an der Poolbar. Ein Hauch von Après-Ski liegt über dem Schiff. In respektvollem Abstand vom Revier des Bären werden die Zodiacs ausgesetzt. Kurz darauf watscheln wir über eine im Nordatlantik treibende Eisscholle wie Pinguine in der Antarktis. Das Schiff sieht aus der Entfernung aus, als sei es eingefroren. Tatsächlich muss Terje Willassen hier aufgeben. Auch wenn er gerne den 79. Grad überschritten hätte, ist der Kapitän stolz auf seinen neuen Rekord: Er hat das Schiff bis auf 78°46’ manövriert. Von hier sind es 1250 Kilometer bis zum Nordpol.

11. bis 13. Tag: auf See

Wir haben einen Passagier an Bord, der dringend ins Krankenhaus muss. Anstatt weiter im Eis zu kreuzen, müssen wir so schnell wie möglich zurück nach Ilulissat. Das bedeutet zwei Tage auf See. Die Zeit vertreiben wir uns bei Vorträgen über die Arktis. Und mit der Polar-Taufe. Dabei bekommt jeder Mutige eine Kelle eiskaltes Wasser in den Nacken geschüttet. Papa macht auch mit. Danach müssen wir Lebertran trinken. Bäähh!

14. Tag: Eqip Sermia, 69°49’ Nord

Endlich Sport. Im Wasser! Aber vorher müssen wir uns richtig anziehen: Thermounterwäsche, Neoprenanzug, wasserdichter Overall, wasserdichte Schuhe. Und natürlich die Rettungsweste. Dann fahren wir mit den Zodiacs hinaus, die roten Zweier-Kajaks im Schlepptau. Guide Robert sucht eine geeignete Stelle zwischen den Eisbergen. Wir paddeln im Takt, ich vorn, mein Vater hinten. Klappt ganz gut. Zum Schluss geht es in eine schöne, runde Bucht mit zwei Eisbergen. Am liebsten würde ich sie berühren.

15. Tag: Qeqertarsuaq, 69°14’ Nord

Bei starker Brise legen die Zodiacs ab, um die Basaltsäulen anzusteuern, die vor der Disko-Insel aus dem Wasser ragen, nach Grönland Dänemarks zweitgrößtes Eiland. Wieder wird eifrig fotografiert: Hobby-Geologen zoomen das vulkanische Gestein heran, die Vogelkundler Brutplätze in den Felsen. Die Romantiker konzentrieren sich auf die schwarzen Sandstrände. Auch Aleq ist dabei, ein Inuk, der an Bord der „Fridtjof Nansen“ gelegentlich von seinem Volk erzählt. Sein Blick ist auf die Wellen gerichtet – es ist der Blick des Fischers und Jägers.

Am Nachmittag dürfen wir an Land, weil sich Wind und Wellen beruhigt haben. Wir spazieren direkt zum Fußballplatz, von wo aus man Eisberge sehen kann! Hier wäre es schwer, sich auf ein Spiel zu konzentrieren. Hinter der Tribüne schwimmt tatsächlich ein riesiges Exemplar im Meer.

16. Tag: Sisimiut, 66°56’ Nord

Um 9.30 Uhr sitzen mein Vater und ich wieder im „Science-Boot“. Gemeinsam mit Mario, dem Geologen, testen wir reparierte Unterwasserdrohnen, die vor ein paar Tagen kaputtgegangen waren. Sie funktionieren. Auf dem iPad sehe ich den Meeresgrund: Seetang, Algen, Quallen, Fische.

In gewisser Weise ist die „Fridtjof Nansen“ eine schwimmende Volkshochschule. Seit zwei Wochen spricht Moritz vorwiegend Englisch, die Bordwissenschaftler unterrichten Biologie, Physik, Geografie und Geschichte. Aber anders als in der echten Schule hat hier alles mit allem zu tun, der Unterricht findet vorwiegend im Freien und in der realen Welt statt. Immer wieder wird Moritz gefragt, wie er sich fühle als einziges Kind unter alten Leuten. Ich frage mich, wieso niemand sonst auf die Idee gekommen ist, seine Kinder oder Enkel mitzunehmen.

17. Tag: Itilleq, 66°34’ Nord

Die „Fridtjof Nansen“ liegt vor Itilleq. Wieder sind wir zu Kaffee und Kuchen eingeladen, dieses Mal aufgeteilt in kleine Gruppen in mehreren Häusern. Unsere Gastgeberin ist eine Oma, die hier den Kiosk betreibt. Das Haus ist gemütlich, an den Wänden hängen Familienfotos und selbstgemalte Bilder. Dann spielen wir Fußball direkt auf dem Polarkreis! 15 der 89 Einheimischen gegen 20 Crewmitglieder und Passagiere. Rund um den sandigen Dorfplatz haben sich 300 Menschen versammelt. Papa und ich verstärken das Team des Schiffs. Inuit und Gäste feiern am Ende ein gerechtes 2:2.

18. Tag: Nuuk, 64°10’ Nord

Um 5 Uhr klingelt mein Wecker. Kurz darauf darf ich bei Terje Willassen auf der Brücke zusehen, wie die „Fridtjof Nansen“ im Hafen von Nuuk anlegt. Gegenüber liegt ein dänisches Kriegsschiff, neben uns ein Schiff der Bundeswehr, hinter uns ein Tanker aus England. Der Sonnenaufgang ist wunderschön, trotzdem bin ich traurig, denn gleich müssen wir das Schiff verlassen. Irgendwann werde ich wieder an Bord sein, am liebsten als Wissenschaftler. Takuss! Das ist Grönländisch und heißt „auf Wiedersehen“.

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Nach Grönland gelangt man von Deutschland aus mit Umsteigen in Kopenhagen, Air Greenland fliegt von der dänischen Hauptstadt nach Nuuk und Kangerlussuaq.

Grönland-Expeditionsreisen: HX Expeditions bietet ab Juli 2026 Reisen in den Norden Grönlands an (17 Tage, ab 13.510 Euro pro Person). Im August und September 2026 führt eine Expeditionstour zum Nordost-Grönland-Nationalpark (13 Tage, ab 8870 Euro), jeweils All-inclusive an Bord sowie mit Aktivitäten und Flügen; im Angebot sind auch kombinierte Kreuzfahrten von Grönland nach Kanada beziehungsweise Spitzbergen (travelhx.com). Grönlandreisen hat auch Polaris Tours im Programm, zum Beispiel im Mai 2026 die 18-Tage-Fahrt von Spitzbergen nach Grönland ab 27.730 Euro (polaris-tours.de). Bei Oceanwide Expeditions sind Reisen in den Nordosten der Insel ab 7900 Euro buchbar (oceanwide-expeditions.com).

Weitere Infos: visitgreenland.com/de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von HX Expeditions. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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