Im Jahr 1988 zog ein bunter Mix an Demonstranten über North Stradbroke Island und formte am Strand eine Regenbogenschlange, das Schöpferwesen australischer Mythen: Aborigines marschierten neben alteingesessenen weißen Insulanern und wohlhabenden Ferienhaus-Besitzern. Sie alle einte eine Forderung: keine Brücke nach Straddie, wie die Insel vor Ort meist genannt wird.

Wer heute von der Fähre spaziert und im Bus zu den schönen Stränden an der Nordküste fährt, dürfte ihnen dankbar sein. Kein Hotelklotz ist zu sehen, der Verkehr besteht aus ein paar Pick-ups und Minibussen – und das, obwohl die 38 Kilometer lange, elf Kilometer breite zweitgrößte Sandinsel der Welt direkt vor der Millionenstadt Brisbane liegt.

„Die Autofähre ist teuer“, sagt Elisha Kissick, „das hält die Massen ab.“ Die 42-Jährige kam in ihrer Kindheit jedes Wochenende und jede Ferien auf die Insel. Während der Pandemie gründete sie den Spezialveranstalter Yura Tours, um Gästen die indigene Seite Minjerribahs zu zeigen, wie North Stradbroke Island in der Sprache der Ureinwohner heißt.

Wie sehr der Mensch die Düneninsel verändert hat, verrät schon ihr Name. Denn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es kein North und South Stradbroke, sondern nur ein lang gezogenes Stradbroke Island mit einer Landenge in der Mitte. 1894 strandete der Dreimaster „Cambus Wallace“ im Sturm auf diesem schmalen Isthmus.

Die Ladung Dynamit wurde aus Sicherheitsgründen in die Luft gejagt, dabei verschwand viel Sand, nachfolgende Stürme wuschen noch mehr Sand weg. Seit 1898 teilt eine Meerenge die beiden Inseln, mittlerweile ist sie 70 Meter breit.

Unter Eukalypten und Schraubenbäumen

„Wir leben seit mindestens 25.000 Jahren hier“, sagt Kissick und spricht dabei für die indigenen Insulaner, sie selbst arbeitet auch als Guide. Die Frauen sammelten in den Mangroven Quampis, die örtliche Austernart; die Männer fischten und harpunierten aus ihren Baumrinden-Kanus Seekühe und Schildkröten.

Natürlich jagten sie auch Kängurus. „Vor allem ihre fettreichen Schwänze sind lecker“, sagt Kissick. Heute grasen die Tiere entspannt neben dem früheren Ziegenpfad, der vom Point Lookout die Klippen entlangführt.

Um den Tourismus anzukurbeln, baute der Bundesstaat Queensland den alten Pfad vor einigen Jahren zu einem Plankenweg mit Geländer aus. Bequem spaziert man nun unter Eukalypten und Schraubenbäumen. Manchmal reicht Kissick etwas Ungewöhnliches zum Naschen: die Blütenstände von Banksien, „Bush Lollipops“, die wie Honig schmecken; oder Pigface-Blumen, die auf der Zunge an Kiwi erinnern.

Ähnlich spannend ist die Natur auch jenseits des Küstensaums – im Meer. Denn gerade mal 50 Meter entfernt schwimmen Buckelwale vorbei, daneben reiten ein paar Delfine die Wellen. An einer Abzweigung meint man gar, das Atmen der Wale zu hören. Wer die Holztreppe hinabklettert, um den Geräuschen näherzukommen, findet unten aber statt Walen ein Loch in den Klippen, aus dem die Gischt geysirhaft emporschießt und prustet.

Yalingbila – oder einfach: großes Ding

„Wir sind hier genau am Wal-Highway“, sagt Kissick. Regelmäßig ab Ende Mai schwimmen die Buckelwale auf ihrem Weg nach Norden vorbei, ab Ende Juli bis Oktober auf dem Rückweg in die Antarktis. Im vergangenen Jahr wurden 26.000 Wale gezählt, ein neuer Rekord. Die Aborigines nennen sie schlicht Yalingbila – großes Ding.

Wie dieses Ding in voller Größe aussieht, sollte man eigentlich längst in einem schicken Pavillon besichtigen können. Darin: ein vollständiges, 15 Meter langes Buckelwal-Skelett. Bisher ist es aber nur als Rendering auf einem Schild der Quandamooka Yoolooburrabee Aboriginal Corporation am Point Lookout zu sehen. Nebenan steht ein Protestcamp der Quandamooka Truth Embassy, die den Bau vorerst gestoppt hat.

Die zwei indigenen Fraktionen streiten darum, wie die Fördermillionen verwendet werden, die seit der Schließung der Sandminen, die es hier einst gab, auf die Insel fließen. Zumindest auf das neue Quandamooka Arts and Culture Centre konnten sie sich einigen: Das Kulturzentrum mit Ausstellung, Bühne und Kunstmarkt hat im September im Hauptort Dunwich eröffnet.

Der Sand, reich an Quarz und deshalb gefragter Rohstoff für Glas oder Bildschirme, war lange das Kerngeschäft Straddies. 70 Jahre lang boten die Betreiber der Minen gutes Gehalt und günstige Häuser. Um den Sand zu transportieren, wurden alle wichtigen Straßen auf der Insel geteert.

Umweltschutz spielte kaum eine Rolle, die Arbeiter baggerten einfach Dünen weg und zerstörten dabei viele Middens – Jahrtausende alte Muschelhaufen, welche den indigenen Bewohnern heilig sind. Im Dezember 2019 wurden die Sandminen aus ökologischen Gründen geschlossen. Arbeiter reißen seitdem die Minen-Gebäude ab, füllen Löcher auf und bepflanzen das geschundene Land neu. Das Wasserloch der nördlichen Mine soll zum Badesee werden.

Schlafende Koala-Mutter

Vielleicht wird er irgendwann so hübsch wie der Brown Lake, zu dem Kissick im Geländewagen über den breiten Main Beach fährt. Gespeist wird er von Regenwasser, das Tannin der Teebäume färbt ihn braun. Am Ufer steht dichtes Schilf, darüber neigen sich Eukalypten. Auf einem Ast schläft eine Koala-Mutter, ihr Baby hat sich in ihr Fell gekuschelt.

Der Brown Lake sei ein Frauensee, erklärt Kissick: „Die Frauen badeten hier und brachten ihre Kinder zur Welt.“ Der nahe Blue Lake dagegen ist indigenen Männern vorbehalten. Touristen baden ohnehin lieber im Meer.

Dabei ist das von Sand gefilterte Quellwasser der Insel so sauber, dass Abermillionen Liter davon abgepumpt werden. Bester Stoff für Kylie Taylor. Die 56-Jährige arbeitete ihr halbes Leben als Marketingmanagerin in London – und gründete dann Straddie Brewing. Auf der Dachterrasse der lokalen Bierbrauerei werden bei Verkostungen zwölf Sorten gezapft: von Lager über Indian Pale Ale bis Stout. „Unser Bier ist wie eine Postkarte“, sagt Taylor. Die Dosen mit Seepferdchen, Walen und Mantas gestalteten Künstler von der Insel, auf die Rückseite ist jeweils die passende Geschichte gedruckt.

Mit Glück sieht man die schönen Tiere alle auch live unter Wasser. Sagt zumindest Tyler Rae und zeigt als Beweis auf seinem Smartphone ein Video von einem Buckelwal, der am Vortag an ihm vorbeigeschwommen ist.

Der Kanadier, 33, arbeitet seit sieben Jahren als Tauchlehrer auf der Insel, die vor allem für den Manta Bommie berühmt ist. So heißt der Tauchplatz nahe Point Lookout, der regelmäßig zu einem der besten Australiens gewählt wird.

Drei Stationen mit Putzerfischen ziehen die riesigen Rochen wie Magneten an – allerdings nur von November bis April, wenn das Meer warm genug ist. Dann ist auch die Saison für Leopardenhaie, die an guten Tagen zu Dutzenden am Meeresgrund im Sand liegen – allerdings so tief, dass nur Gerätetaucher sie zu sehen bekommen.

Walgesänge in der Haifisch-Gasse

Wer im australischen Winter kommt, den bringt Rae mit seinem Schlauchboot lieber zur Shark Alley. Dort gleitet man hinab in Minischluchten mit sandigem Grund, die ein spektakuläres Naturschauspiel bieten: Im Tunnel unter einem umgekippten Fels dümpelt ein Schwarm Seebrassen. Lilafarbene Weichkorallen wabern wie mutierte Neon-Brokkoli, darüber wuseln bunte Kaiserfische und Papageienfische.

Ein Hummer lugt aus seiner Höhle, Muränen schnappen aus ihren Löchern, zwei Federschwanz-Stechrochen rasen vorbei. Und auf den Felsen liegen Teppichhaie, getarnt mit Punktgemälden auf dem Rücken. Rae deutet während des Tauchgangs auf seine Ohren und imitiert mit seiner Hand eine Fontäne über dem Kopf. Tatsächlich, man hört hier unten sogar leise Wale singen.

Die Stars der Show aber warten in einer der Schluchten: ein halbes Dutzend Sandtigerhaie. Die dösenden Jäger lassen die Taucher so nahe herankommen, dass man die winzigen Putzerfische an ihren Kiemen sieht.

Eine Schildkröte rammt fast frontal einen der schläfrigen Haie. „Sandtigerhaie sind wie Hundewelpen“, sagt Rae später, harmlos und zutraulich. Marinebiologen der University of Queensland zählten 2008 nur noch 500 Tiere, heute sollen es wieder zehnmal so viele sein.

Klingt ermutigend. Vielleicht gelingt es auf Straddie wirklich, dieses Naturjuwel vor den Toren einer Metropole zu erhalten. Darauf ein Seepferdchen-Bier!

Tipps und Informationen:

Wie kommt man hin? Von Deutschland fliegt man mit einem Zwischenstopp nach Brisbane, zum Beispiel mit Singapore Airlines via Singapur oder mit Cathay Pacific via Hongkong. Von Brisbane geht es per Bus oder Mietwagen zum Fährhafen in der Vorstadt Cleveland. Die Passagierfähre legt zwischen 4.45 und 20.15 Uhr mehrmals ab, die Überfahrt dauert eine knappe halbe Stunde (sealink.com.au). Alternativ kann man von Brisbane aus den Zug bis Cleveland Station nehmen, dort in den Busshuttle bis Toondah Harbour steigen und von dort mit dem Stradbroke Flyer Water Taxi übersetzen (flyer.com.au).

Wo wohnt man gut? Die wenigen Hotels ballen sich an den Stränden im Nordosten der Insel. Schön zwischen zwei Buchten liegt „The Beach Hotel Stradbroke Island“, Doppelzimmer umgerechnet ab 424 Euro, zum Teil gilt ein Mindestaufenthalt von drei Nächten (moretonhospitality.com.au/venue/beach-hotel-stradbroke-island). Das „Anchorage on Straddie“ hat einen direkten Zugang zum Home Beach, Doppelzimmer für zwei Nächte Mindestaufenthalt ab 238 Euro (anchorageonstraddie.com.au). Das „Manta Lodge and Scuba Centre“ bietet Tauchkurse sowie eine Jugendherberge im ersten Stock, Doppelzimmer ab 70 Euro, (mantalodge.com.au).

Zudem gibt es Campingplätze und einige Ferienwohnungen auf der Insel. Selbst die Brauerei Straddie Brewing Co. bietet ein Zimmer mit Bad (und Bierseife) auf der Dachterrasse an, Doppelzimmer ab 140 Euro (straddiebrewing.com.au/the-brewery/beer-n-bed).

Aktivitäten: Ausflüge: Elisha Kissick von Yura Tours bietet mehrere Touren über die Insel an, zu Fuß, per Fahrzeug und per Boot (yuratours.com.au). Tauchen: Manta Scuba steuert regelmäßig neun Tauchplätze an, zwei Tauchgänge kosten ab umgerechnet 122 Euro (mantalodge.com.au/scuba-diving). Kultur: Das sehenswerte North Stradbroke Island Historical Museum in Dunwich beleuchtet die jahrtausendealte Kultur der Ureinwohner auf der Insel sowie die Geschichte der britischen Kolonisation, geöffnet mittwochs bis sonntags von 10 bis 14 Uhr, der Eintritt kostet umgerechnet sechs Euro (stradbrokemuseum.com.au).

Weitere Infos: Tourism Australia (australia.com/de-de); Tourism and Events Queensland (queensland.com/au/en/hom); North Stradbroke Island (stradbrokeisland.com).

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Tourism Australia und Tourism and Events Queensland. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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