Wo liegt das gallische Dorf?

Viele fragen sich: Wie heißt heute eigentlich das Dorf an der bretonischen Küste, das in fast jedem Asterix-Band nach dem Titelblatt auf der Landkarte Galliens unter einer Lupe zu sehen ist, umzingelt von vier römischen Siedlungen? Ein expliziter Name wurde nie erwähnt. Das Dorf steht schließlich stellvertretend für Frankreich und seine Bewohner, die eigensinnigen Gallier.

Mit einem beeindruckenden Aufgebot an Archäologen, Archivaren und Argumenten haben die Bewohner von Paimpol, Pléneuf-Val-D’André, von Perros-Guirec, Saint-Malo und Erquy über Jahre gestritten: Welches ist das Dorf, das den Asterix-Schöpfern bewusst oder unbewusst als Vorlage gedient hat?

Der Streit wurde 1996 entschieden, als Albert Uderzo, der Zeichner der Alben, für eine Recherche in einem Hubschrauber die bretonische Küste überflog und dabei – unangeschnallt, die Beine in der Luft baumelnd – mit dem Zeigefinger auf die drei Felsen im Meer vor dem Fischerdorf Erquy zeigte.

Der Hubschrauber flog schräg und mit offener Tür, damit der Fotograf die beste Perspektive hatte, erinnerte sich Uderzo später und gab zu, Todesängste ausgestanden zu haben. Aber er lächelte gehorsam in die Kamera, wie man es von ihm verlangt hatte. „Der Beruf des Zeichners hat manchmal schmerzhafte Aspekte, die einem nicht in den Sinn kommen, wenn man von dieser Karriere träumt“, beschloss er ironisch die Anekdote.

Der kleine bretonische Fischerort an der Côtes d’Amor liegt in der Bucht von Saint-Brieuc, eine der schönsten in der Bretagne. Auf dem Kap, das unter Naturschutz steht, von Heidekraut und Ginster überwuchert, kann man stundenlang wandern und sich vom bretonischen Wind durchpusten lassen. Erquy ist bis heute ein Dorf wie aus dem Bilderbuch. Vor allem, wenn man außerhalb der Saison kommt. Das Meer ist bei Sonnenschein smaragdgrün, die hohen Sandsteinfelsen sind rosa, die Strände unendlich.

Knapp 4000 Einwohner zählt Erquy, im Sommer sind es fünfmal so viele. Auch das war ein Grund, warum Uderzo die Sache lange im Nebulösen belassen hatte, schließlich machte er selbst dort gern Urlaub und wollte einen Besucheransturm vermeiden. Aber die Indizien waren untrüglich. Neben den drei Felsen im Meer ist es auch die Lage: Erquy erstreckt sich entlang einer sichelförmigen Bucht am Meer, auch die Form der Hafenanlage ähnelt verdächtig der aus dem Comic.

In Wahrheit hat sich die Verortung des gallischen Dorfes eher „beiläufig“ ergeben, wie Uderzo später zu Protokoll gab. Als er den Autor René Goscinny gefragt habe, in welcher Region er das Abenteuer der Gallier ansiedeln solle, hatte dieser geantwortet: „Egal wo, Hauptsache, es liegt an der Küste. Denn mit Zugang zum Meer kann ich unsere Helden immer wieder auf Reisen schicken.“

Uderzo war damals 32 Jahre alt, neben Paris kannte er nur die Bretagne, wo er als 14-Jähriger längere Zeit verbracht hatte. Dorthin war Uderzos sieben Jahre älterer Bruder Bruno während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg vor dem Arbeitsdienst geflohen. Der kleine Albert durfte nachkommen, weil in Paris gehungert wurde; in der Bretagne gab es immerhin Kartoffeln.

Die beiden Brüder wohnten in der Nähe von Saint-Brieuc bei einer Familie von Résistance-Kämpfern und machten regelmäßig Ausflüge mit dem Fahrrad nach Erquy. „Die Menschen, die in der Résistance engagiert waren, hatten einen unbezwingbaren Charakter. Das war eine Inspiration für meine Helden“, erzählte Uderzo später.

Erquy ist obendrein die Hochburg der Jakobsmuschel. Einen von Erquys Muschelfischern trafen wir vor ein paar Jahren an der Theke der Bar „Le Coursive“. Er war wütend, weil es den Plan gab, einen Windpark vor Erquy ins Meer zu bauen. Die Bewohner machten ihrem Ruf alle Ehre und wehrten sich lautstark gegen das Projekt, das sie nur die „Windfabrik“ nannten. „Erquy ist das gallische Dorf, und unser Zaubertrank ist der Ricard“, sagte der Fischer stolz, aber auch ein wenig verzweifelt, als er ein Glas Anis-Schnaps zu einer Uhrzeit leerte, bei der andere noch beim Morgenkaffee sitzen.

Genützt hat der Protest allerdings nichts – inzwischen stehen 62 Windräder im Meer vor Erquy, bei gutem Wetter sieht man sie von der Küste aus. Es ist nicht überliefert, was die alten Gallier dazu sagen würden. Obelix’ Hund Idefix, der als Baumfreund eine Art Öko im Gallier-Dorf ist, wäre sicher begeistert gewesen.

Wo Obelix Hinkelsteine bewundert werden

Obelix wird den Lesern gleich im zweiten Band der Serie als „Steinmetz und Hinkelsteinlieferant“ vorgestellt. Uderzo muss Carnac vor Augen gehabt haben. Um dorthin zu gelangen, lässt man von Erquy aus die bretonische Halbinsel rechts liegen und fährt gerade runter Richtung Süden. Nach gut zwei Autostunden erreicht man Carnac im südlichen Morbihan, eine der spektakulärsten prähistorischen Stätten Europas, die Hochburg der Menhire, wie die Bretonen die Langsteine nennen.

Sie stehen da, geheimnisvoll und stolz, wie von Zauberhand in die Landschaft gesetzt: unzählige Megalithen, riesige, unbehauene Steinblöcke, verteilt auf verschiedene Felder, angeordnet in regelmäßigen Reihen, die sich über fast vier Kilometer erstrecken.

Ihre rätselhafte Existenz ist eine Einladung zu einer Reise in die Vorzeit. Allein Ménec und Kermario, die wichtigsten Felder, zählen um die 3000 Steine. Die Stätten sind inzwischen größtenteils umzäunt, um sie vor Erosion und Massentourismus zu schützen. Große Teile der Anlage sind in der Wintersaison von Oktober bis März zugänglich, in den Sommermonaten muss man eine Führung buchen.

Neugierigen Asterix-Fans wird bei dieser Gelegenheit erklärt, dass diese Wunder aus Stein schon seit 7000 Jahren dort stehen, also lange, bevor die Römer kamen. Obelix entdeckt Carnac erst im 27. Band, der den Titel „Der Sohn des Asterix“ trägt. „Wunderschön! Was für eine riesige Hinkelsteinsammlung“, ruft er verzückt.

Bei den Hügelgräbern weiß man, dass es sich um Grabstätten handelte. Aber wozu dienten die frei stehenden Steine, die kleinen Findlinge und die bis zu vier Meter hohen Riesen? Handelt es sich bei der Kette der Megalithen um eine Kultstätte, einen astronomischen Kalender? Im Maison des Mégalithes, wo jeder Besuch beginnen sollte, gibt es zwar nicht auf jede Frage eine Antwort, aber eine Hypothese mit Sicherheit.

Im Sommer 2025 hat die Unesco die Megalithen von Carnac zum Weltkulturerbe erklärt. Am Tag der Ankündigung wehte die schwarz-weiße Flagge der Bretagne im Wind und das Ensemble Bagad Arvorizion Karnag blies so stolz in ihre Bombarden und ihre Biniou kozh, ihre Dudelsäcke, dass Idefix mit seinen sensiblen Hundeohren jaulend das Weite gesucht hätte.

Wo Troubadix singt und scheppert

Die Geschichten von Asterix enden in der Regel mit einem riesigen Dorfbankett, einem Gelage mit viel Essen und Wein unter dem Sternenhimmel. Troubadix, der Barde, der sich für den besten Sänger weit und breit hält, wird bei dieser Gelegenheit gern kopfüber an einen Baum geknüpft, damit er die Feier nicht stört.

Sein Gesang klingt schließlich „wie ein Kochtopf“ – so nennen es die Franzosen, wenn es ordentlich scheppert. In „Asterix und die Normannen“ wird von seinem Gejaule sogar die Milch von Kühen im Euter sauer.

Wer die Reise Richtung bretonische Halbinsel antritt, der wird, erhofft und unverhofft, Begegnungen mit der Musik haben. In jedem noch so kleinen Dorf gibt es einen Cercle, einen Tanzverein. Es gehörte über Jahrhunderte zur bäuerlichen Tradition der Bretagne, dass die Ernte mit einem Tanzabend gefeiert wurde, einem Fest-Noz.

Seit einigen Jahren erlebt diese Tradition ein sagenhaftes Revival, oft mit Livemusik, mit eigenem Volksmusikensemble, Bagad genannt. Kein Wochenende, an dem nicht mindestens drei solcher Tanzabende ausgerichtet werden, selbst im Winter.

Am ersten Augustwochenende zieht es Freunde der keltischen Volksmusik zum FIL, zum Festival Interceltique de Lorient, dem inzwischen größten Musikfestival nicht nur der Bretagne, sondern Frankreichs. Es zieht regelmäßig knapp eine Million Besucher an.

Bei einem Besuch des FIL kann man sich davon überzeugen, dass auch das Bretonische noch nicht ausgestorben ist, obwohl nur noch sechs Prozent der Bretonen ihre alte Sprache beherrschen. Der französische Zentralstaat tat alles, um sie auszumerzen. Schülern, die beim Bretonisch sprechen erwischt wurden, bekamen eine Kuh aus Holz um den Hals gehängt, um sie lächerlich zu machen.

Heute gibt es 46 Schulen des Diwan-Netzwerkes in der Bretagne, in denen der Unterricht nur auf Bretonisch stattfindet. Und natürlich gibt es die Asterix-Alben längst auch auf Bretonisch. Uderzo machte das glücklich. „Der Kreis hat sich geschlossen“, fand er.

Wo Miraculix seine Misteln findet

Die Bretagne ist keine Region, die mit vielen Wäldern aufwartet. Die Küsten sind von Heidelandschaft geprägt, aber im Landesinneren gibt es zwei Wälder, die so mythenumwoben sind, dass man sie auf einer Reise auf den Spuren von Asterix nicht auslassen darf.

Im Comic dienten die Wälder als Puffer zu den feindlichen Römern, sie waren mit ihren vielen Wildschweinen eine Art Vorratskammer und nicht zuletzt Treffpunkt der Druiden, die dort mit goldener Sichel Misteln schnitten.

Zwischen Rennes und dem Atlantik liegt der Forêt de Paimpont, Eingeweihte sprechen nur vom Forêt de Brocéliande, dem Schauplatz der Artus-Legende. Dort hat die Fee Nimue den Zauberer Merlin in eine Weißdornhecke verwandelt. Im See von Comper soll sie den jungen Lancelot großgezogen haben. Das Grab Merlins, heute eine Steinallee, war der Treffpunkt der Ritter der Tafelrunde.

Wenn man in Brocéliande durch moosbedeckte Täler wandert, vorbei an Baumgerippen, die wie riesige Geweihe aussehen, wenn man zum Grab der Riesen gelangt, auch Hexenfelsen genannt, dann versteht man, warum die Mythen dieser Wälder und die schamanischen Riten den Christen Angst machten.

Im Jahr 620 wurden gleichzeitig in verschiedenen Regionen der Bretagne alle alten Eichen gefällt, gewissermaßen um die Konkurrenz auszuschalten. Doch der Druiden-Mythos überlebte bis heute, und vielen gilt Brocéliande als der Karnutenwald im Comic.

Eine Autostunde westlich von Brest, im Regionalpark Armorique, liegt Huelgoat, was auf Bretonisch „hoher Wald“ heißt – hier kann man sich ebenfalls Druiden beim Mistelschneiden vorstellen. Zwischen der sogenannten Teufelsgrotte und wilden Schluchten wimmelt es von Farnen, Bächen und vor allem von großen, moosbewachsenen Felsen, als hätten Riesen sie in den Wald hineingeworfen.

Der Legende nach hatte Gargantua, der in der Region auf Durchreise war, die Bewohner des Waldes um eine Mahlzeit gebeten, aber die hatten ihm nur faden Buchweizenbrei serviert. Wütend über die mangelnde Gastfreundschaft soll er alle Steine, die er fand, in den Wald gedonnert haben. Zu solchen Untaten hätte sich Obelix niemals hinreißen lassen, aber Essen, viel Essen, das war ihm genauso wichtig wie Gargantua, dem gefräßigen Held des Renaissance-Dichters François Rabelais.

Wo die Bretonen schlemmen

Es muss nicht immer Wildschwein sein. Die gibt es in der Bretagne heute ohnehin kaum noch. Dafür Austern, Jakobsmuscheln, Hummer, frische Fische, auch wenn die von Verleihnix, dem Fischhändler des gallischen Dorfes, zum Himmel stanken. In Wahrheit gibt es kaum eine bessere Region für Meeresfrüchte und Fische. Die Bretagne verfügt über gut 2700 Kilometer Küste, rund 200 Orte haben einen Hafen. Fisch & Co. kann man überall gut essen.

Die Stadt Cancale hat sich dank des Gourmetrestaurants „Le Coquillage“ im Hotel „Maisons de Bricourt“, das der Drei-Sterne-Koch Olivier Roellinger an seinen Sohn Hugo übergeben hat, zur Hochburg für Foodies entwickelt. Eine bretonische, japanisch inspirierte Institution ist das „Breizh Café“ mit den besten Crêpes. Bertrand Larcher benutzt lokalen Buchweizen, Eier vom Bauern und Butter von Bordier. Inzwischen gibt es auch ein Ein-Sterne-Gourmet-Restaurant von ihm in Cancale, „La Table Breizh Café“.

Wer Süßes mag, muss nach Douarnenez und die dortige Spezialität Kouign-amann probieren. Dieser buttrige Blätterteigkuchen ist so fett und süß, dass nach dem Genuss selbst Obelix seinen Gürtel hätte lockern müssen.

Tipps und Informationen:

Was lohnt sich in Erquy? Das „Hotel de la Plage“ (hotelplage-erquy.com, Doppelzimmer ab 123 Euro) liegt direkt am Strand, man wacht auf mit Blick auf das Meer, atmet frische Meeresluft, und zu den Naturschutzgebieten Cap d’Erquy und Cap Fréhel ist es nicht weit. Auf der Wanderroute GR34 kann man endlos am Meer und auf den 70 Meter hohen Granitfelsen wandern. Zum Essen geht es am besten ins „La Table de Jeanne“, das Meeresfrüchte und Jakobsmuscheln serviert, direkt vom Hafen auf den Tisch (la-table-de-jeanne.fr/restaurant).

Austern gefällig? Züchter Nicolas Nonnet verkauft seine frische Ware auf dem Wochenmarkt von Erquy jeden Samstagvormittag, und von März bis Oktober kann man bei ihm am Wasser sitzen und in seinem „Bistrot Z’à Huitres“ Austern schlürfen (bistrot-za-huitres-frehel.fr). Ideen für Ausflüge, etwa zum Leuchtturm des Cap Fréhel, findet man auf der Webseite des Tourismusbüros der Region Côtes d’Armor (cotesdarmor.com).

Tipps für Carnac: Von Paris dauert die Reise mit dem Auto fünf Stunden, der TGV fährt in dreieinhalb Stunden bis Auray, weiter mit Bus oder Taxi in zehn Minuten bis Carnac (Auskunft: carnc.fr). Wer den Besuch der Menhire in der weltgrößten Megalithanlage vorbereiten will, wird auf der ausführlichen Website des französischen Denkmalschutzministeriums fündig: menhirs-carnac.fr/de.

Schön wohnt man im „Hotel Le Celtique“, vor 100 Jahren eröffnet, frisch renoviert, ideal gelegen abseits vom Trubel, aber nah zum Strand, mit Innenpool und Spa (Doppelzimmer ab 135 Euro, hotel-celtique.com). Das urige Lokal „La Potion magique“ serviert in der Altstadt süße und salzige Gourmet-Crêpes und schenkt Cidre in Tassen aus – der Name heißt übersetzt „Zaubertrank“, darf auf einer Asterix-Tour nicht fehlen.

Highlights in Cancale: Wer Besonderes sucht, übernachtet in der „Ferme du Vent“, die Panoramafenster öffnen sich zum Meer, das Design erinnert an ein Kloster, es gibt kein Wi-Fi, kein Fernsehen, ansonsten aber Fünf-Sterne-Luxus, Natur und Wind (Doppelzimmer ab 285 Euro, maisons-de-bricourt.com/en/page/ferme-du-vent).

Das Hotel ist einer der Höhepunkte in Cancale, die der Familie Roellinger gehören, darunter das Drei-Sterne-Restaurant „Le Coquillage“ (maisons-de-bricourt.com/fr/page/le-coquillage) und das mit einem Stern ausgezeichnete „La Table de Breizh Café“ (breizhcafe.com/la-table-breizh-cafe).

Weitere Infos: bretagne-reisen.de – unter dem Suchwort „Asterix“ finden sich hier zahlreiche Tipps.

Kurz vor Erscheinen des neuesten Abenteuers „Asterix in Lusitanien“ (ab 23. Oktober) kommt es zu einer Weltpremiere: eine ganze WELT AM SONNTAG, die ausschließlich mit Bildern von Albert Uderzo und seinem Nachfolger Didier Conrad illustriert wird. Leser finden in dieser Ausgabe die gewohnte Mischung aus Nachrichten, Analysen und Unterhaltung, aber auch Geschichten, die selbst die behäbigen Bewohner eines gallischen Dorfes interessieren könnten – wie diese hier.

Sie können diese ganz besondere Ausgabe der WELT AM SONNTAG, ein Sammlerstück, gern hier bestellen.

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