Weshalb die Deutschen am schlechtesten wegkommen
Sie zählen zu den frühen Vielreisenden der Menschheit: Asterix und Obelix. In jedem der bisher 41 Bände brechen sie zu Abenteuern auf, zu Fuß, per Schiff, mit Pferd und Wagen. Sie erkunden Weltstädte wie Alexandria, Jerusalem und Lutetia (das heutige Paris), überqueren Mittelmeer und Atlantik, sind gleichermaßen Urlauber im eigenen Land wie auch Fernreise-Pioniere, die mit fliegenden Teppichen emissionsfrei Indien erreichen.
Die beiden Gallier zeigen dabei, dass das Reisen schon immer gute und schlechte Seiten hatte: Sie kämpfen mit Grenzformalitäten und Wetterkapriolen. Sie geraten in Staus von Campingurlaubern auf dem Weg nach Hispanien. In Rom treffen sie Urlauber mit einem „Baedeker“ in der Hand, stoßen aber auch auf Touristentrottel, die ihre Namen in Sehenswürdigkeiten ritzen.
Erfreulich ist, dass dieser Tiefgang nicht mit erhobenem Zeigefinger präsentiert wird, sondern augenzwinkernd – das Nervige am Tourismus wird subtil ins Visier genommen. Zweiter Pluspunkt: Asterix und Obelix sind weltoffen und neugierig – auf andere Länder und fremde Stämme, auf exotische Spezialitäten und merkwürdige Sitten.
Jeder Band ist ein Fenster in eine andere Welt, manchmal gespickt mit plumpen Klischees, in denen aber oft ein Körnchen Wahrheit steckt. Unterm Strich zeichnet die Comic-Reihe ein herrlich unterhaltsames Bild von der Vielfalt der Völker.
Goten mit Hakenkreuz und Pickelhauben
Die Goten kommen am schlechtesten weg. Sie stehen als germanischer Stamm für die Deutschen. In Band 3 werden sie als Barbaren tituliert, sind grobschlächtig, tragen preußische Pickelhauben, lieben das Marschieren, führen gerne Krieg. Originell ist, dass ihre Sprache in den Comic-Sprechblasen in kantiger Frakturschrift erscheint.
Plump ist hingegen die Stelle, an der germanische Schimpfwörter mit einem stilisierten Hakenkreuz dargestellt sind. Das lässt sich damit erklären, dass der Goten-Band bereits 1963 erschien, als bei den Comic-Schöpfern die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Besetzung Frankreichs durch die Deutschen noch frisch war.
Immerhin: Band 37 („Asterix in Italien“) von 2017 stellt die Goten weniger bösartig dar, und es gibt sogar einen Hinweis auf überlegene deutsche Ingenieurskunst, nämlich da, wo eine Kutschenverkäuferin Obelix fragt: „Gallisch? Römisch? Oder doch lieber einen germanischen Sportwagen der Spitzenklasse?“
Die Briten pflegen ihre Spleens
Die Briten werden in Band 8 ebenfalls mit Vorurteilen überzogen, aber liebevoller. Sie haben eine absonderliche Vorliebe für gekochtes Fleisch mit Pfefferminzsoße, für warmes Bier sowie für heißes Wasser, das sie jeden Nachmittag um fünf Uhr mit einem Tropfen Milch trinken (das Geheimnis der Teepflanze kannten sie schließlich noch nicht).
Die übertriebene britische Höflichkeit und merkwürdige Redewendungen werden durch den Kakao gezogen („Es ist. Ist es nicht?“), und in England herrscht im Comic wie in der Wirklichkeit meist schlechtes Wetter, also Nebel oder Dauerregen. Lustig: In Anspielung auf die Londoner Doppeldecker sind in Londinium zweistöckige rote Kutschen unterwegs, die – wie Asterix verwundert bemerkt – auf der falschen Straßenseite fahren. Kurzum: Die Briten sind verschroben, aber sympathisch.
Schweizer Jodler in der Steueroase
Die Schweizer werden in Band 16 besucht. Ihr Land ist auf den ersten Blick ein Idyll, doch der zweite Blick, die gallische Perspektive, entlarvt die vermeintliche Perfektion raffiniert. Überall herrscht blitzblanke Ordnung zwischen hohen Bergen und klaren Seen – vor allem wegen des Putzfimmels der Einheimischen. Ihre Sanduhren gehen ganz genau („helvetisches Fabrikat!“) – mit ihrer übertriebenen Pünktlichkeit nerven sie aber alle, sogar die Deutschen.
Die Schweizer legen größten Wert auf ihr Bankgeheimnis, lagern aber skrupellos Hehlerware korrupter Römer im Schließfach – ein klarer Seitenhieb auf die Steueroase Schweiz. Der berühmte Schweizer Käse bekommt ebenfalls sein Fett weg: Er zieht sich als Käsefondue klebrig durch mehrere Szenen, während Obelix die vielen Löcher im Käse beklagt.
Die Botschaft dahinter: Aus gallischer Sicht ist französischer Fromage einfach besser. Und das berühmte Jodeln? Wird ebenfalls verspottet. Die Römer halten es für Elefantengebrüll, und Obelix flieht vor den schiefen Tönen, die Asterix auf eine Stufe mit dem grauslichen Gesang des gallischen Barden Troubadix stellt.
Blond und besoffen: die Skandinavier
Die Skandinavier kommen doppelt vor, in Band 9 als Normannen und in Band 22 als Wikinger. Viele Klischees treffen zu: Die Nordmänner sind überwiegend blond, extrem rauflustig und betrinken sich hemmungslos – wer jemals Dänen oder Schweden auf Gruppenreise erlebt hat, kann das bestätigen.
Andere Eigenschaften haben sie sich erfreulicherweise abgewöhnt: Sie studieren heutzutage nicht mehr die Lebensgewohnheiten von Fremden, um sie anschließend abmurksen, auch fertigen sie aus deren Schädeln keine Trinkgefäße mehr an.
Dafür sind sie ausgesprochen reisefreudig, was in „Die große Überfahrt“ wunderbar ironisch gewürdigt wird: Dort stoßen die nordischen Seefahrer, deren Boot im tosenden Sturm vom Kurs abkommt, zufällig auf Asterix und Obelix – und zwar in einem unbekannten Land. Das entpuppt sich, ohne dass die Europäer es zunächst bemerken, als Neue Welt.
Der Comic schreibt die Entdeckung Amerikas also historisch falsch den Galliern und historisch korrekt den Wikingern zu, schließlich waren die neugierigen Nordmänner tatsächlich ein paar Jahrhunderte vor Christoph Kolumbus dort. Kann es eine schönere Hommage auf Fernweh und Reiselust geben?
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