Mallorcas uralte, aber kaum bekannte Seite
Vorsicht, Kopf einziehen! Gebückt betritt ein Besucher nach dem anderen den Rundbau auf der Ausgrabungsstätte Son Fornés. Die Wand aus tonnenschweren Steinbrocken ist mit fünf Metern so dick, dass der Eingang zum prähistorischen Rundbau wie ein Tunnel wirkt. Im Inneren ist genug Platz, dass sich die knapp 20 Tourteilnehmer an der Innenwand aufreihen können. Im Zentrum ragt eine Säule aus vier Steinblöcken in die Höhe.
„Wo Sie stehen, haben wir bei den Ausgrabungen einen Berg Rinderknochen gefunden“, erklärt Archäologin Beatriz Palomar. Eine Vertiefung in der Wand war vor 3000 Jahren offenbar eine Art Kühlschrank, es war hier kühl wie in einer Höhle. Der mächtige Bau mit seinen 17 Metern Durchmesser diente wohl als Schlachthaus und Fleischlager, das die ganze Siedlung versorgte. Das Dach bestand einst aus Ästen von Olivenbäumen und mehreren Lehmschichten.
Einst, das heißt in der Talayot-Zeit. Die Epoche zwischen dem 13. und dem zweiten Jahrhundert v. Chr. ist nach den imposanten Turmbauten benannt, die in dieser Form nur auf den Balearischen Inseln existierten. Auf Mallorca gibt es inzwischen ein halbes Dutzend besuchenswerter Ausgrabungsstätten. Noch mehr bietet die Nachbarinsel Menorca, deren Talayots sogar zum Weltkulturerbe zählen.
Son Fornés kann nicht nur mit dem größten Talayot Mallorcas, Kultstätten sowie Ruinen einer ummauerten Siedlung aufwarten, sondern auch mit dem bislang einzigen Talayot-Museum, untergebracht in einer früheren Windmühle. Die archäologische Stätte liegt in der Gemeinde Montuïri im Inselinneren, fernab der Touristenmassen, die sich an den Stränden drängen.
Mit etwas Glück hat man einen Talayot hier für sich allein. Während der Blick auf dem Hügel von Son Fornés weit über das ländliche Mallorca reicht, reisen die Gedanken Jahrtausende in die Vergangenheit. Damals, in der Frühphase der Talayot-Ära, lebten die Menschen auf Mallorca friedlich zusammen, während die Nachbarn auf dem Festland sich in kriegerischen Konflikten die Köpfe einschlugen – das zumindest lassen dortige Funde von Pfeilspitzen und anderen Waffen vermuten.
Archäologie zum Anfassen
Son Fornés war zu seiner Blütezeit eine Art Kommune, sagt Beatriz Palomar: „Die Gemeinschaft stand an erster Stelle, kein Haus war besser ausgestattet als das andere.“ Die Archäologin steht jetzt auf einer Mauer, die erst zum Teil freigelegt ist, und zeigt auf einen weiteren Talayot, der offenbar für politische oder religiöse Versammlungen diente. Statt Knochenresten oder Werkzeug fanden sich in dem Rundbau Scherben von Trinkgefäßen. Auch über den Speiseplan wurde viel herausgefunden: Neben Fleisch wurden vor allem Gerste, Obst und Hülsenfrüchte gegessen.
Im späten Talayotikum wurde auch importierter Wein getrunken, davon zeugen Amphoren, die am Puig de sa Morisca entdeckt wurden. Die einstige Siedlung in der Nähe von Santa Ponça im Südwesten Mallorcas war ein wichtiger Handelsstützpunkt; es gab intensive Kontakte zu den Phöniziern auf Ibiza, die Wein anbauten. Seit rund 30 Jahren wird hier inzwischen gegraben.
Wer den Archäologiepark besichtigt, kann den Experten bei der Arbeit über die Schulter schauen. Bislang dürften nur rund zehn Prozent der Reste freigelegt sein, schätzt Daniel Albero, einer der Direktoren der Anlage.
Am besten besucht man den Puig de sa Morisca am Morgen oder Abend, außerhalb der Mittagshitze. Das mallorquinische Wort „Puig“, das wie „Putsch“ ausgesprochen wird, bedeutet „Hügel“, das Gelände steigt hier auf rund 120 Meter an. Oben angekommen, ist nicht nur der freigelegte und restaurierte „Talayot Nummer eins“ zu bestaunen. Der Blick reicht auch über den Park ringsum sowie bis zur Südwestküste. Schautafeln liefern mehrsprachige Informationen zur Geschichte und Landschaft.
Die ausgegrabenen Schätze dagegen warten noch darauf, ausgestellt zu werden. Das am Puig de sa Morisca geplante Museum ist weiter in der Planung, auch wenn das mit der Touristensteuer finanzierte Gebäude dafür längst steht, ebenso das Konzept.
Es macht sich bemerkbar, dass es auf Mallorca, im Gegensatz zu Menorca, keine Gesamtstrategie für Erforschung und Erschließung der Monumentalbauten aus der Talayot-Zeit gibt. Archäologen buddeln an verschiedenen Orten, interessierte Besucher müssen sich auf eigene Faust einen Überblick verschaffen und die wichtigsten Stätten individuell ansteuern.
Kunstvolle Gräber als Sehenswürdigkeit
Neben Son Fornés und dem Puig de sa Morisca gehört Ses Païsses in der Gemeinde Artà dazu, eine der besterhaltenen Anlagen mitten in einem Steineichenwald. Auch Son Real lohnt sich, eine an der Nordostküste gelegene Totenstadt mit kunstvoll aufgeschichteten Grabstätten. Nicht zu vergessen Capocorb Vell an der Südküste mit seinen zum Teil quadratischen Talayots.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Mallorca mit dem historischen Erbe nicht immer pfleglich umgegangen ist. Ende der 1960er-Jahre wurde die Spitze von Mallorcas höchstem Berg, dem Puig Major, gesprengt, um eine Radaranlage zu installieren. Dass sich hier eine Kultstätte der Talayot-Zeit befand, zeigten erst kürzlich aufgetauchte historische Fotos.
Zerstört ist auch die Talayot-Siedlung Almallutx, sie versank Anfang der 70er-Jahre im Stausee Gorg Blau und wird nur bei geringem Pegelstand sichtbar. Und die große prähistorische Stätte in Son Oms musste in der ausgehenden Franco-Zeit der zweiten Landebahn von Palmas Flughafen weichen. Nur ein kleiner Teil wurde abgetragen und verlegt, das Meiste im Wortsinn plattgemacht.
In Son Fornés wird dagegen seit fünf Jahrzehnten gegraben. Beatriz Palomar zeigt am Ende der Führung in Sichtweite der Talayots auf Gebäudemauern und rasterförmig angelegte Parzellen, die erst kürzlich ans Licht gekommen sind. Son Fornés, sagt die Archäologin, sei eine Art Zeitkapsel, „die ihre Geheimnisse erst nach und nach preisgibt“. Wer die ganze Geschichte erfahren wolle, sollte am besten in einigen Jahren wiederkommen.
Ausgrabungsstätten auf Mallorca:
Son Fornés (Montuïri): Die Talayot-Fundstätte ist frei zugänglich, Museum geöffnet Di–Fr 10–15 Uhr, Carrer Emili Pou (sonfornes.mallorca.museum/deutsch). Ciutat Romana de Pollentia i Museu (Alcúdia): Römische Ausgrabungsstätte, Di–Sa 9:30–15 Uhr, Avinguda Princeps d’Espanya (alcudia.net/Pollentia), Museum in der Straße Carrer de Sant Jaume 30.
Puig de Sa Morisca (Santa Ponça): Der Archäologiepark ist täglich geöffnet (illesbalears.travel/de/mallorca/archaologische-fundstatte-puig-de-sa-morisca). Ses Païsses (Artà): Talayot-Stätte im Steineichenwald, Mo–Sa 10–14 Uhr, Camí de sa Corballa (artamallorca.travel/de/sesPaisses). Son Real (Santa Margalida): Nekropolis und ethnologisches Museum, Eintritt frei (illesbalears.travel/de/mallorca/offentliche-finca-son-real). Capocorb Vell (Llucmajor): Talayot-Stätte im Privatbesitz, Fr–Mi 10–17 Uhr (talaiotscapocorbvell.com)
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