Die Stille ist das Erste, was auffällt. Kein Stimmengewirr, kein Fotoklicken, keine Reisegruppen, die durch die Ruinen geführt werden. Nur der Wind ist leise zu hören, der feinen Sand zwischen den Überresten einstiger Paläste Babyloniens aufwirbelt. Dieser Ort ist monumental. Und leer. Bewacht von zahlreichen Militärs, statt besucht von unzähligen Touristen.

Das Ischtar-Tor, einst der prächtige Eingang zur antiken Stadt, steht heute als Replik in leuchtendem Blau am Rand der Ruinen. Das rekonstruierte Original – weltbekannt – befindet sich im Berliner Pergamonmuseum. Babylon ist Weltkulturerbe, Symbol vergangener Größe und soll, geht es nach der irakischen Regierung, künftig mehr sein: touristischer Leuchtturm, Hoffnungsträger, Aushängeschild eines neuen Irak.

Ein ambitioniertes (Reise-)Ziel, gerade in einer Zeit, in der der gesamte Nahe Osten von Spannungen, Kriegen und geopolitischen Umwälzungen geprägt ist. Der Irak steht sinnbildlich an einem Scheideweg zwischen Aufbruch und Abschottung. Eine große Vision ist da alles andere als einfach.

Vor Ort zeigt sich ein Bild, das zwischen Verfall und Hoffnung pendelt. Das Museum direkt hinter dem Eingang ist geschlossen, die Lampen seien defekt, heißt es. Zwischen den Mauern liegt Müll, achtlos zurückgelassen. Sichtbare Rekonstruktionsarbeiten stammen fast ausschließlich aus der Ära Saddam Husseins. Viele der verbauten Steine tragen deshalb seinen eingravierten Namen, ein archäologisches Erbe, das gleichzeitig ein politisches Statement ist. Der Diktator wollte sichtbar bleiben. In der Geschichte, wie im Stein.

Es mangelt an touristischer Infrastruktur

Die eigentliche Ausgrabungsstätte liegt weitgehend brach. Hinter einem Bauzaun stehen ein paar verlassene Plastikstühle, die wie eine vergessene Pause im großen Plan der Geschichte wirken. Nichts deutet darauf hin, dass hier bald systematisch gegraben oder gar Geschichte vermittelt würde. Nur die schwer bewaffneten Soldaten am Eingang erinnern daran, dass dieser Ort zwar tief in der Vergangenheit wurzelt, aber fest in der Gegenwart des Staates verankert ist.

Und dennoch: Die bloße Tatsache, dass Besucher überhaupt wieder hierherkommen, lässt etwas Hoffnung aufkeimen. Ein leiser Anfang, vielleicht.

Doch wer länger im Irak unterwegs ist, spürt: Für die touristische Infrastruktur fehlt es noch an allem. Es gibt etwa genau eine Toilette auf dem gesamten Gelände; eine asiatische Hocktoilette, unisex, gemeinsam genutzt von Soldaten, Besuchern und Personal. Auch das ist ein Statement. Nur kein besonders einladendes.

Dabei existieren Pläne, ambitionierte sogar. Die irakische Regierung will das Land international neu positionieren: als Erbe großer Zivilisationen, als Kulturraum mit Zukunft. Tourismus spielt dabei eine zentrale Rolle. Fördermittel wurden angekündigt und internationale Partnerschaften in Aussicht gestellt. Es geht nicht nur um wirtschaftlichen Impuls, sondern um Repräsentation: Der Irak soll Teil einer Erzählung sein, in der er wieder Anschluss findet – an seine Geschichte, an die Region, an die Welt.

Doch bislang bleibt vieles Vision. Internationale Experten bleiben zurückhaltend, die Bürokratie ist oft lähmend, die Sicherheitslage fragil – das Auswärtige Amt hat beispielsweise eine Teil-Reisewarnung für den größeren Part des Irak erlassen (nur der kurdische Norden ist von der Warnung ausgenommen).

Selbst in der Hauptstadt Bagdad stößt man an Grenzen: Projekte beginnen und versanden, Zuständigkeiten überlappen, vielerorts fehlt es schlicht an verlässlichen Strukturen. Statt sichtbarem Wandel dominiert das Provisorium. Wer durch Bagdad geht, sieht beides – das Bemühen um Normalität und die Spuren eines Landes, das sich selbst noch nicht sicher ist, wie viel Zukunft es sich zutraut.

Bagdad ist laut, staubig, schnell, überfordernd und zugleich überraschend offen. Bewaffnete Kräfte unterschiedlichster Provenienz sind Alltag, aber auch daran scheint man sich hier gewöhnt zu haben. Es herrscht eine pragmatische Normalität. Eine, in der Misstrauen und Gastfreundschaft oft nur wenige Zentimeter voneinander entfernt liegen.

Die Tigris-Ufer sind belebt, Cafés voll, die Menschen sprechen leise und lachen laut. Junge Männer verkaufen Süßigkeiten aus Kartons, Studierende sitzen mit Büchern unter Bäumen, Familien flanieren an den Abenden am Fluss. Nichts davon ist spektakulär – und genau das macht es besonders. In einer Stadt, die so oft zur Kulisse für Kriegsbilder wurde, wirkt der Alltag fast wie ein stiller Trotz. Gegen das Bild von außen. Gegen das Gefühl, abgehängt zu sein. Gegen all die Erzählungen vom Krieg.

Dennoch, oder vielleicht genau deswegen, zieht es zunehmend ausländische Reisende in den Irak. Laut offizieller Zahlen waren es 2022 rund 120.000 internationale Besucher, dagegen lag die Zahl Anfang 2024 bereits bei über 400.000.

Die Regierung spricht von einem langfristigen Ziel von zwei Millionen Touristen jährlich. Erste Reiseagenturen sind aktiv, private Veranstalter spezialisieren sich auf historische Orte, religiöse Stätten und politische Erinnerungsorte.

Allerdings bleibt die Sicherheitslage instabil, nicht nur aus innerstaatlichen Gründen. Die fragile politische Lage im Irak wird zusätzlich erschwert durch die weltpolitischen Spannungen der gesamten Region: Der anhaltende Machtkampf in Syrien, der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sowie die angespannte Lage im benachbarten Iran werfen lange Schatten auf den Irak und erschweren eine Stabilisierung.

Religiöser Tourismus

Wer durch den Irak reist, bewegt sich durch ein Land, das sich zwar öffnet, aber ständig mit äußeren Unwägbarkeiten konfrontiert ist. Checkpoints, Patrouillen und improvisierte Straßensperren gehören vielerorts zum Alltag. Das Gefühl von Kontrolle ist präsent, aber nie vollständig. Und dennoch beginnt – ganz langsam – ein Wandel: beim Reisen begegnet man vornehmlich vorsichtiger Neugier, pragmatischer Offenheit und Menschen, die möchten, dass ihre Geschichte fernab von Kriegsnarrativen erzählt wird.

Am deutlichsten sichtbar wird diese Öffnung dort, wo sie längst verwurzelt ist: im religiösen Tourismus. In Karbala beispielsweise drängen sich Pilger durch enge Straßen, entlang der goldenen Kuppeln und geschmückten Moscheen der Heiligen Stätten. Millionen besuchen jedes Jahr die Stadt, besonders während des Arba’in, einer der größten schiitischen Trauerprozessionen der Welt.

Hier ist der Tourismus sichtbar, organisiert, fließend; auch wenn er fast ausschließlich religiös motiviert ist. Frauen in schwarzen Abayas, Männer in weißen Dishdashas, ganze Familien auf dem Weg zu einem Ziel, das weit über die Destination selbst hinausgeht. Aus Lautsprechern tönen Gebete, es riecht nach Weihrauch und Straßenküche. Der Weg ist hier Teil der Erfahrung. Wer in Karbala unterwegs ist, reist nicht, er bezeugt.

Und doch: Die Trennung zwischen religiösem Tourismus und historisch-kultureller Öffnung bleibt scharf.

Ein Blick in den Norden des Landes zeigt, was touristisch möglich sein kann. In der autonomen irakischen Region Kurdistan hat sich in den vergangenen Jahren ein vorsichtiger, aber stabiler Besucherstrom etabliert. Schon 2023 reisten erste westliche Gäste dorthin, auch die Autorin dieser Reportage war damals vor Ort: in Erbil, der geschichtsträchtigen Kurden-Metropole mit ihrer Zitadelle, und im Lalisch-Tal, dem spirituellen Zentrum der Jesiden.

Rund um die Zitadelle von Erbil verkaufen Händler handgeknüpfte Teppiche, bestickte Stoffe und Gewürze – das Flair erinnert an frühere orientalische Handelsstädte. Hier wirkt der Irak weltoffener, organisierter, fast unaufgeregt. Ein Land, das empfangen will, aber zugleich auf Distanz bleibt zu den Konflikten des Zentraliraks.

Wer weiter nach Süden reist, Richtung Bagdad und Babylon, betritt einen anderen Raum: komplexer, politischer, verletzlicher. Und genau deshalb so aufschlussreich.

Also noch einmal zurück nach Babylon. Der Ort am Fuße des Euphrats liegt unter sprichwörtlich schwerem Himmel. So, als hätte er selbst noch nicht entschieden, ob er Vergangenheit bleiben oder Zukunft werden will.

Am Rand des archäologischen Geländes erhebt sich der frühere Palast Saddam Husseins. Einst strategisch erbaut auf einem künstlichen Hügel mit Blick auf die antike Stadt. Monumental, wuchtig, leer. Offiziell ist der Palast für die Öffentlichkeit geschlossen, ein militärischer Sperrbereich.

Diskrete Banknoten öffnen die Tore

Doch auch hier gilt aktuell: Fast alles ist in Bewegung und eine Frage von Beziehungen – und manchmal eben auch des Geldes. Mithilfe einiger diskreter Banknoten öffnen sich recht schnell die eigentlich verschlossenen Tore. Kein Ticket, keine Registrierung, nur ein knappes Nicken und das Durchschreiten eines historischen Machtmonuments, das eigentlich keines mehr sein dürfte.

Im Inneren: zerstörte Decken, bröckelnder Putz, arabische Schriftzüge auf Wänden, durchbrochene Fenster. Vor den Toren: das sogenannte Tyrant Mural – ein angeschossenes, steinernes Saddam-Relief, an dem sein Gesicht noch beinahe vollständig zu erkennen ist.

Ein Mahnmal, das mehr Fragen stellt als beantwortet. Der Blick aus den oberen Stockwerken des Palastes fällt direkt auf die Ruinen von Babylon. Als hätte der Diktator selbst entschieden, wo eine Geschichte endet und seine Version davon beginnt.

Hier oben, zwischen Schutt und Symbolik, wirkt alles, wie eingefroren. Der Palast ist kein Museum, kein Gedenkort, keine Touristenattraktion. Er ist einfach da, ein Zeugnis des Ungesagten. Und vielleicht genau deshalb so eindringlich. Denn auch das ist der Irak: ein Land, das noch keine Gewissheiten hat, aber beginnt, sich selbst neu zu definieren.

Ob es dem Irak gelingen kann, inmitten weltpolitischer Spannungen ein echtes touristisches Ziel zu werden, bleibt offen. Aber man würde es ihm wünschen – zumal das Potenzial groß ist.

Tipps und Informationen:

Anreise: Von Deutschland aus gibt es Nonstop-Flüge nach Erbil etwa mit Eurowings und Lufthansa. Umsteigeflüge nach Bagdad zum Beispiel mit Turkish Airlines oder Pegasus via Istanbul. Der Flughafen in Bagdad zählt zu den bestgesicherten der Region. Bereits rund fünf Kilometer vor dem Terminal beginnen umfangreiche Sicherheitskontrollen.

Einreise: Für deutsche Staatsangehörige besteht eine Visumspflicht für das gesamte irakische Staatsgebiet. Vor Einreise in die Region Kurdistan-Irak muss über das Online-Portal der Regionalregierung zwingend ein E-Visum beantragt werden (visit.gov.krd), das nicht zur Weiterreise nach Zentralirak berechtigt. Wer dort hinreisen will, muss vorab ein separates E-Visum beantragen (evisa.iq/en).

Veranstalter: Eine Reihe deutscher Reiseveranstalter hat Irak im Programm, darunter Diamir Erlebnisreisen (Kombireise Kuwait-Irak, diamir.de/irak), Orientaltours (Studienreisen nach Mesopotamien, orientaltours.de) und Go East Reisen (Höhepunkte Kurdistans, go-east.de).

Auskunft: Es gibt keine offizielle touristische Website des Irak auf Englisch, lediglich Tourist Guides auf den Websites des Außenministeriums (mofa.gov.iq/tourist-guide) sowie des E-Visa-Portals (evisa.iq/en/tourist-guide).

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