Gebannt stehen die Passagiere an der Reling. Ihr Kreuzfahrtschiff schippert gerade bei Magdeburg über die Elbe – im Wortsinn. Rund acht Meter über dem Fluss verläuft der Mittellandkanal hier auf einer Trogbrücke, die mit gut 130.000 Tonnen Wasser gefüllt ist und sich quer über den Strom sowie sein weites Vorland spannt. „Wahnsinn!“, murmelt einer. Tatsächlich ist das Bauwerk ein Weltrekord: Die Kanalbrücke, Herz des Wasserstraßenkreuzes Magdeburg, ist mit 918 Metern die längste der Erde.

Auf ihr können Schiffe den Mittellandkanal befahren, während andere unter ihr auf der Elbe entlangschwimmen. Im Flusstal blicken Radwanderer fasziniert zu dem Schiff empor, das über ihnen schwebt – ein bizarrer Wechsel der Perspektiven. Allein dieses Erlebnis ist die Reise wert. Doch es warten noch mehr Superlative auf die Passagiere der „Thurgau Chopin“.

Der Nord-Ostsee-Kanal, historische Schleusen und spektakuläre Hebewerke zählen zu den Wunderbauten, in die Reisende hautnah hineingeraten auf dieser achttägigen Tour von Berlin über Hamburg nach Kiel. Sie ist eine kombinierte Kanal-Fluss-Kreuzfahrt, die reichlich Entschleunigung bietet und spannendes Landschaftskino beim Schippern durch Natur und Städte.

„Mit Ozeanriesen geht das nicht“, sagt eine Frau aus Bern. Vielen sind die Städte auf der Route schon bekannt. „Hingefahren bin ich oft“, erklärt ein Norddeutscher. „Aber: Noch nie auf dem Wasserweg!“ Dieser Perspektivwechsel ist ein oft genannter Grund für die Reise.

Kein Stress auf dieser Kreuzfahrt

Ihr Beginn ist überraschend pittoresk. In Spandau, wo die Spree in die Havel mündet, führt ein unscheinbares Schild zum „1. Kreuzfahrtterminal Berlin“ – eine idyllische Promenade mit Schrebergartenflair. Das Einschiffen geht fix; maximal 80 Passagiere dürfen mit. Das Interieur im Belle-Époque-Stil ist nostalgisch, mit floralen und goldenen Verzierungen.

Die Kabinen auf dem Oberdeck haben einen französischen Balkon, die auf dem Hauptdeck Fenster so dicht an der Wasseroberfläche, dass sie vorsichtshalber nicht zu öffnen sind. Es gibt ein Restaurant, einen Salon mit Bar und Tanzfläche, ein großes Sonnendeck. Was es nicht gibt: Pool, Animateure, Stress.

Ab Kilometer null der Unteren Havel-Wasserstraße geht es Richtung Potsdam. Berlin zeigt sich von ungewohnter Seite. Der Grunewald schmiegt sich an die Havel. Segel sprenkeln den Wannsee. Hinter der Pfaueninsel färbt der Sonnenuntergang den Himmel orange. Unter der Glienicker Brücke, wo sich einst Ost- und Westspione trafen, ziehen die Passagiere die Köpfe ein. Nach dem Abendmenü erreicht das Schiff die Hauptstadt Brandenburgs. Anlegen, Motoren aus. In der Stille wiegt der Fluss die Passagiere in den Traum, nachts wird nicht gefahren. Schließlich ist der Weg das Ziel – und das soll keiner verschlafen.

Am Morgen herrscht perfektes Wetter für geführte Ausflüge durch Potsdam und Sanssouci. Oder für einen Spaziergang auf eigene Faust durch den Schlosspark Babelsberg. Der besticht mit schmalen Pfaden und fantastischem Blick auf die Havelseen. Im Zentrum thront das Schloss im englisch-neugotischen Tudorstil. Erbaut ab 1834 für den späteren Kaiser Wilhelm I., gehört es wie Sanssouci zum Unesco-Welterbe. Als das Schiff ablegt, ist das majestätische Bauwerk noch einmal vom Wasser aus zu sehen, ebenso Potsdams Stadtschloss und Cecilienhof.

Weiter geht es durch die natürliche Landschaft der Havel und ihrer Seen. Graugänse fliegen auf, Kormorane lassen am Ufer ihre Flügel trocknen. Bei Kilometer 55,5 kommt die erste kleine Schleuse. Das Schiff fährt durchs Städtchen Brandenburg und über den Plauer See. Statt auf der Havel zu bleiben, die in die Elbe mündet, wählt der Kapitän den Elbe-Havel-Kanal. Zuverlässig schiffbar, ist er eine der wichtigsten Wasserstraßen in Europa. Auf ihr schippern die Passagiere 55 Kilometer durchs ländliche Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

Wissenslücken und Wunderwerk

Genug Zeit zum Plaudern, Essen, Kaffeetrinken, Cocktails schlürfen, noch mehr essen. Und zum Faulenzen. „Mit meinem Partner mache ich immer Aktivreisen“, erzählt eine Schweizer Passagierin. „Und zu Hause habe ich zwei Jobs. Diese Fahrt habe ich allein für mich gebucht, um mich so richtig zu entspannen.“ Die „Thurgau Chopin“ kennt sie bereits: „So schön altmodisch, klein und familiär. Und es gibt Einzelkabinen!“

Nach Gala-Dinner, Musik und Tanz an Bord erreicht das Schiff Burg im Jerichower Land. Nie gehört? Wer sich am Morgen nicht für den Ausflug nach Magdeburg entscheidet, hat Zeit, Wissenslücken zu stopfen und den Ort zu erkunden. Der Rundgang lohnt sich: Burg, die „Grüne Stadt der Türme“, blickt auf eine über tausendjährige Geschichte zurück, bezaubert mit alten Kirchen, Wach- und Wehrtürmen, Fachwerkhäusern und einem Weinberg am Fluss Ihle.

Bei der Weiterfahrt lassen viele Passagiere ihr Mittagessen kalt werden. Mit gezückten Kameras erwarten sie auf dem Sonnendeck das technische Wunderwerk, das eingangs beschrieben wurde. Das gigantische Wasserstraßenkreuz Magdeburg, eröffnet 2003, verbindet die beiden bedeutenden Wasserstraßen Mittelland- und Elbe-Havel-Kanal. Zuvor mussten Binnenschiffe einen zwölf Kilometer langen Umweg über die Elbe fahren, die hier zudem wegen ihres wechselnden Wasserstandes oft schlecht oder gar nicht befahrbar war.

Das Kreuzfahrtschiff muss 18 Meter angehoben werden, um auf die Rekord-Brücke zu kommen. Einfahrt in eine Kammer der Doppelschleuse Hohenwarte. Ringsum ragen Stahlwände scheinbar endlos in die Höhe. Das imposante Tor schließt sich. Rauschend laufen Wassermassen ein. Die „Thurgau Chopin“ steigt auf – und schwimmt dann einfach über die Elbe. Unten schimmert der Strom in seinem grünen Tal. Der Blick schweift über alte Auwälder, links die Aussicht auf Magdeburg. Ein Erlebnis, das man nie vergisst.

Am Mittellandkanal taucht gegen Mitternacht die Autostadt Wolfsburg auf, erleuchtet in der Dunkelheit. Am nächsten Morgen finden sich die Passagiere auf dem Elbe-Seiten-Kanal wieder. Der „Heide-Suez“ oder „Heide-Highway“, so seine Spitznamen, führt schnurgerade durch die Lüneburger Heide. Eine meditativ-monotone Fahrt durchs Grün, gewürzt mit gutem Essen, spannenden Gesprächen, großzügig gemixten Drinks. An der Schleuse Uelzen geht es an Land für einen Ausflug zur alten Salzstadt Lüneburg. Sie gilt mit ihren mittelalterlichen Türmen und Mauern zu Recht als eine der hübschesten in Deutschland.

Am Ende des Kanals wartet der nächste Wow-Bau: das Schiffshebewerk Scharnebeck, das größte bundesweit. In kaum drei Minuten wird die „Thurgau Chopin“ um 38 Meter auf das Niveau der Elbe gesenkt. Schönster Nachtisch: Nach dem Dinner unbedingt durchs Elbstädtchen Lauenburg spazieren.

Die spannendste Art, in Hamburg anzukommen

Nordsee-Gezeiten beherrschen die Elbe ab der Staustufe Geesthacht. Bei Flut wirkt es fast so, als ob der Strom in die Gegenrichtung fließt; die Fahrt nach Hamburg dauert länger als bei Ebbe. Durch die Vier- und Marschlande, wo Gemüse, Obst und Blumen angebaut werden, schippert das Schiff. Und erreicht schließlich Deutschlands „Tor zur Welt“, Europas drittgrößten Containerhafen.

Barkassen, Fähren, Containerriesen ziehen vorbei, ebenso die Speicherstadt, weltgrößter historischer Lagerhauskomplex und Unesco-Weltkulturerbe, die schimmernde Elbphilharmonie, die Landungsbrücken, der Museumsfrachter „Cap San Diego“. Die Anfahrt über die Elbe ist die spannendste Art, in Hamburg anzukommen.

In der Hansestadt lockt der nächste Wunderbau: Vor ihrer Stadt- und Hafenrundfahrt gehen die Passagiere zu Fuß unter dem Fluss durch, den sie bei Magdeburg auf der Trogbrücke überschifft haben. Der Alte Elbtunnel wurde bei seiner Eröffnung 1911 auch wegen seiner Schönheit gefeiert.

Endlos, wie in einem M.-C.-Escher-Bild, wirken die Galerietreppen, die im Eingangskuppelbau auf der St.-Pauli-Seite in die Tiefe führen. Die Tunnelwände zieren Keramikreliefs, die das Leben oben in der Elbe zeigen: Krebse, Aale – und Ratten, die einen weggeworfenen Stiefel beschnüffeln. Von der Südseite aus, in Steinwerder, bieten sich Tag und Nacht beeindruckende Hafenblicke.

Für viele Kreuzfahrer wird es auf der Reeperbahn ein langer Abend, trotzdem lohnt es sich, am nächsten Morgen früh aufzustehen. Denn der Museumshafen Övelgönne gleitet im frühen Sonnenlicht vorbei. Dann Elbstrände, über denen Blankeneser Villen thronen. Danach Leuchttürme und Apfelplantagen im Alten Land, Europas größtem zusammenhängenden Obstanbaugebiet.

Der Verkehr wird dicht

Später, in Brunsbüttel, verlässt der Kapitän die Elbe für ein Rekord-Highlight, für das viele Passagiere diese Tour gewählt haben: den Nord-Ostsee-Kanal – die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Erde. Rund 32.000 Schiffe nutzen jedes Jahr den knapp 100 Kilometer langen Kiel Canal, wie er international heißt. Wegen der Enge im dichten Verkehr müssen alle größeren Schiffe einen Lotsen an Bord nehmen, auch die „Thurgau Chopin“. Dabei wirkt sie winzig inmitten der Containerriesen, die sich an der Schleuse Brunsbüttel stauen.

Schon seit dem Mittellandkanal mehren sich die großen Frachter aus Madeira, Cardiff, aller Welt. Auf dem Nord-Ostsee-Kanal fahren sie praktisch in Kolonne. Hinter, vor, neben dem Sonnendeck ragen haushoch ihre Rümpfe auf. Sie scheinen zum Greifen nah. Ebenso die Ufer, deren Landschaft wechselt.

Einmal stoppt die Schiffskarawane, lässt einen dicken Tanker vorbei. Zwischendurch ist Lotsenwechsel, bei laufender Fahrt springen sie vom Lotsen- aufs Kreuzfahrtschiff. In Rendsburg, nahe der 68 Meter hohen Eisenbahnstahlbrücke aus dem Jahr 1913, legt das Schiff an für die Nacht.

Nebel lässt Ufer und Ozeangiganten unwirklich aussehen, als am siebten Tag die historische Schleusenanlage Kiel-Holtenau auftaucht. Hier mündet der Nord-Ostsee-Kanal, 1895 als Kaiser-Wilhelm-Kanal eröffnet, in die Kieler Förde, eine 17 Kilometer lange Ostseebucht. Vorbei an Werftkränen, Skandinavienfähren, Frachtern und Kreuzfahrtriesen geht es in die Stadt der Segler.

Kiel, im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, wird oft unterschätzt. Zu Unrecht, denn die Uni-Stadt bietet maritimes Flair, schöne Strände und mehr schmucke Gebäude als erwartet. Im Zoologischen Museum, einem lichtdurchfluteten Bau von 1881, hängen riesige Walskelette von der Decke. Besucher können sie von unten betrachten, seitlich auf Augenhöhe oder von oben, aus jedem Winkel beeindrucken sie neu. Und bei einem Ausflug mit der Fähre nach Laboe bietet sich vom 85 Meter hohen Marine-Ehrenmal ein letztes Mal ein phänomenaler Weitblick, diesmal aus der Möwenperspektive.

Fluss- und Kanal-Kreuzfahrten in Europa:

Die Reise von Berlin über Hamburg nach Kiel oder umgekehrt ist buchbar bei Thurgau Travel, acht Tage kosten ab 1440 Euro (thurgautravel.de). Nicko Cruises bietet Flusskreuzfahrten von Potsdam nach Hamburg, acht Tage ab 1349 (nicko-cruises.de). Eine Tagestour durch den Nord-Ostsee-Kanal gibt es bei Adler-Schiffe, ab 92 Euro (adler-schiffe.de). Arosa schippert auf dem Rhein von Köln nach Straßburg und zurück, sieben Tage ab 898 Euro (a-rosa.de). Riverside Cruises hat eine Donau-Reise Budapest–Wien im Programm, fünf Tage ab 1765 Euro (riverside-cruises.com).

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Thurgau Travel. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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