Vielleicht hätte Deutschland seine sogenannte Verkehrswende schon vor 30 Jahren starten sollen, und zwar in Sachsen. Denn der Freistaat hatte bis Anfang der 1990er-Jahre das dichteste Eisenbahnnetz in ganz Europa. Angeblich war kein sächsischer Ort weiter als fünf Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt! Nicht nur das erfährt man am Schauplatz Eisenbahn mit dem Sächsischen Eisenbahnmuseum in Chemnitz-Hilbersdorf.

Das Gelände des ehemaligen Rangierbahnhofs und Betriebswerks ist seit 1996 außer Betrieb, bis dahin wurde es von der Deutschen Bahn und der Reichsbahn genutzt. Bis 2009 ging es in Vereinsbesitz über, es wird heute von zwei Vereinen betrieben.

Schauplatz Eisenbahn ist nach eigenen Angaben das größte Eisenbahnmuseum in Europa – was die Fläche angeht. Für die 260.000 Quadratmeter sollten Besucher gut und gern einen ganzen Tag einplanen, denn es gibt hier sehr viel zu entdecken. Damit niemand fußlahm wird, verkehrt zwischen dem Haupteingang und den rund einen Kilometer entfernten Lokdepots an den Wochenenden ein Züglein, der sogenannte Schauplatz-Express.

Die Eisenbahn in Europa wird dieses Jahr 200 Jahre alt. Gemessen an der Bedeutung dieses Verkehrsmittels für die ökonomische, technische, aber auch kulturelle Entwicklung des Kontinents und der Moderne, verwundert es, dass dieses Jubiläum nicht überall groß begangen wird, mit Sonderausstellungen, Büchern, Filmreihen.

Wahrscheinlich liegt es daran, dass das Startsignal zur Eisenbahn erstmals in England ertönte: Dort eröffnete die erste Strecke (der Stockton & Darlington Railway) schon am 27. September 1825. Deutschland zog erst zehn Jahre später nach: Am 7. Dezember 1835 fuhr der erste Zug zwischen Nürnberg und Fürth, eine Sechs-Kilometer-Kurzstrecke.

Die erste Ferneisenbahn

Die erste deutsche Ferneisenbahn ging 1839 zwischen Leipzig und Dresden in Betrieb. Lokomotiven wurden in Chemnitz schon gebaut, bevor die Stadt überhaupt an das Schienennetz angeschlossen war: Die Firma Hartmann verkaufte 1848 ihre erste Dampflokomotive an die Sächsisch-Bayerische Staatseisenbahn. Doch da Chemnitz erst ab 1852 Gleisanschluss hatte, wurde die Lokomotive in Teile zerlegt, auf Pferdefuhrwerke verladen, nach Leipzig gebracht und dort zusammengeschraubt.

„Eisenbahn für Groß und Klein, in groß und klein“, lautet das Motto des Museums. Dass der Schauplatz Eisenbahn Teil der sächsischen Landesausstellung „Boom. 500 Jahre Industriekultur“ im Jahr 2020 war, merkt man dem Gelände positiv an, denn die Besucherführung ist mit modernen QR-Codes und Pappaufsteller-Personen, die bestimmte Eisenbahnjobs repräsentieren, professioneller als in den meisten anderen, oft ehrenamtlich geführten Eisenbahnmuseen.

Vor allem vereint das Chemnitzer Gelände als Erlebnispark gleich mehrere Attraktionen, die anderswo ein Museum für sich sind: ein Stellwerk, einen Rangierbahnhof, zwei Lokschuppen mit Dutzenden von Dampf- und Diesel-Lokomotiven, eine Modelleisenbahnanlage, eine Feldbahn zum Mitfahren (die aussieht wie eine Parkeisenbahn und vor allem jüngeren Besuchern gefallen wird). Familien und Kinder können das Gelände auch über eine spannende Rallye erkunden.

Höhepunkt im Wortsinn ist ein eisernes Ungetüm: ein Kohlehochbunker, 1956 erbaut, der bis 1987 zur Beladung von Dampfloks mit Kohle diente, die bis in die späten 80er-Jahre im Liniendienst durch die DDR schnauften. Im Rahmen von Sonderfahrten finden auf dem Museumsgelände bis heute Fahrten mit Dampflokomotiven statt.

Technisches Highlight in Chemnitz-Hilbersdorf und noch vorführfähig sind die Reste der historischen Seilablaufanlage. Damit hatte die Deutsche Reichsbahn in den 1920er-Jahren ein weltweit einmaliges System entwickelt, mit dem man Güterzüge ohne Rangierlok zerlegen und neu formieren konnte. In den Hochzeiten des Betriebs wurden hier bis zu 5000 Waggons täglich rangiert, scheinbar wie von Geisterhand.

Jenseits von Nerds und Freaks

Die Lokschuppen haben sich in den vergangenen Jahren auch als Eventlocation für Konzerte oder Lesungen etabliert. So eine Öffnung für kulturelle Aktivitäten sei wichtig, findet Museumsleiter Maximilian Claudius Noack, „denn sie führt der Szene neues Publikum zu“, jenseits der Nerds und Freaks.

Der Kosmos Eisenbahn mit seinen vielen Berufen, Waggons und Maschinen fasziniert, seit es ihn gibt, „normale“ Reisende genauso wie zugbegeisterte Schriftsteller, zum Beispiel Peter Bichsel („Ich kannte einen Mann, der wusste den ganzen Fahrplan auswendig“), Sten Nadolny („Netzkarte“) oder Jaroslav Rudiš („Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“).

Selbst Thomas Mann berichtete in seiner Erzählung „Das Eisenbahnunglück“ von einem Abenteuer mit dem Nachtzug von München nach Dresden im Jahr 1906. Manns Zug war im Bahnhof Regenstauf entgleist – zum Glück ging bis auf den technischen Schaden alles glimpflich aus.

Die kulturelle Faszination der Eisenbahn ist riesig, sie reicht von Krimis („Mord im Orient-Express“) über Actionfilme („Mission Impossible“) bis zur klassischen Musik. Der Schweizer Komponist Arthur Honegger hat sich vom Klang einer Dampflokomotive zu seinem Orchesterwerk „Pacific 231“ inspirieren lassen, und der Berliner Sounddesigner Hans Narva sammelt für seine Klanginstallationen Fauch-, Zisch- und Antriebsgeräusche von Zügen weltweit. Am eindrucksvollsten ist der Sound der „Taigatrommel“ – die legendär grummelnde Diesellok aus der Sowjetunion kann natürlich auch in Chemnitz-Hilbersdorf besichtigt und an Aktionstagen belauscht werden.

Info: Schauplatz Eisenbahn, Frankenberger Str. 172 in Chemnitz, geöffnet Do–So von 10 bis 17 Uhr, geöffnet 2025 bis 2. November, danach Winterpause, Eintritt: zwölf Euro, für Kinder frei (schauplatz-eisenbahn.de).

Zwei weitere Bahnmuseen in Deutschland:

Auch im Süden und Westen Deutschlands locken Museen Eisenbahnfans und Pufferküsser an. Das populärste ist das DB Museum in Nürnberg, das in seiner gut gemachten Dauerausstellung die fast 200 Jahre Bahngeschichte in Deutschland beleuchtet. Gezeigt werden mehr als 200 Loks und Waggons, darunter ein Nachbau der ersten deutschen Dampflok namens Adler, die 1835 von Nürnberg nach Fürth ratterte.

Zu den weiteren Highlights zählen der Hofzug des bayerischen Königs und der Teil der Ausstellung, der die Verstrickung der Deutschen Reichsbahn in die Verbrechen des Nationalsozialismus beschreibt – Millionen Juden wurden von ihr in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Aktuell und noch bis 1. Februar 2026 läuft die originelle Sonderschau „Unter Druck“ über die Geschichte der Zugtoilette, mit Plumpsklos, Bundesbahn-Seifenspendern und dem Salonwagen-Nachttopf von Reichskanzler Otto von Bismarck (dbmuseum.de).

Gut 100 Ehrenamtler halten das Eisenbahnmuseum Bochum auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks Dahlhausen am Laufen. Herzstück sind 120 historische Loks und Waggons aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Die stehen nicht nur herum – einige werden betriebsbereit gehalten und für Sonderfahrten auf der Ruhrtalbahn eingesetzt. Modernster Neuzugang: ein Exemplar der schnittigen Transrapid-Magnetschwebebahn, die in Deutschland nie zum Linieneinsatz kam (eisenbahnmuseum-bochum.de).

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