Willkommen in der Türkei, wie sie keiner kennt
Möchte noch jemand Çay?“, fragt Reiseleiter Volkan Asli. Wir sitzen um einen plätschernden Springbrunnen im Hof der Rüstem-Pascha-Karawanserei und schlürfen süßen Schwarztee im Tulpenglas, das türkische Nationalgetränk. Hier, in dem beeindruckenden Bau von 1561 in Erzurum im Osten der Türkei, kamen schon vor Jahrhunderten Reisende zusammen.
Heutzutage sind Touristen, erst recht solche aus dem fernen Westen, in Ostanatolien nur selten anzutreffen. Wer sich herwagt in dieses touristische Neuland, spürt sofort: Besucher sind willkommen, sie werden mit einer überwältigenden Gastfreundschaft empfangen.
Rund um den Innenhof bieten Läden Schmuck aus glänzendem Oltu an, der aus der Umgebung stammt. Besser bekannt ist das tiefschwarze Gestein als Gagat oder Schwarzer Bernstein – lange dachte man, dass es gleichen Ursprungs sei wie honigfarbener Bernstein aus Baumharz. Ein Irrtum, in Wirklichkeit handelt es sich um versteinerte Kohle.
Wieder haben wir etwas gelernt auf dieser Studienreise durch Ostanatolien, dem größten, aber bevölkerungsärmsten Gebiet der Türkei. Abseits der Massen, die sich an den Stränden von Antalya oder Bodrum, in Metropolen wie Istanbul oder Ankara tummeln, führt diese Entdeckungstour in Städte, die kaum ein Europäer kennt, in weite Landschaften und zu herzlichen Menschen.
Erzurum im Norden Ostanatoliens war schon vor sechs Jahrtausenden eine wichtige Garnisonsstadt – verschiedene Völker beherrschten diesen Knotenpunkt, an dem sich bedeutende Handelsrouten kreuzten. Wir bestaunen historische Gebäude wie die Yakutiye Medresesi aus dem 14. Jahrhundert, erbaut von einem Mongolenfürsten, und die Doppelminarett-Medrese, eine noch ältere islamische Hochschule aus dem 13. Jahrhundert.
Spezialitäten, die allein die Reise wert ist
Gleichzeitig ist die Stadt, gelegen auf 1800 Metern und umgeben von Dreitausendern, in der heutigen Türkei ein Synonym für Wintersport. Mit der Gondelbahn Palandöken geht es auch im Sommer hinauf in das gleichnamige Skigebiet.
Oben, mitten an einem braunen Hang, der im Winter eine weiße Piste ist, sitzen zwei Frauen beim Picknick an einem Klapptisch. Sofort bieten sie uns Eistee und Häppchen an. Seyma Yilmaz stammt aus Istanbul, erzählt sie. Zusammen mit ihrer Schwiegermutter genießt sie die gute Luft hier oben.
Beim Stadtrundgang lässt Guide Asli die Namen alter Völker einfließen. Etwas beschämt müssen wir zugeben: Urartäer, Hurriter – nie gehört. Babylonier und Hethiter – ja, da war was. Assyrer, Akkader, Lyder, Sumerer – Himmel hilf. Er versucht es noch einmal: „Mesopotamien, das kennt ihr – Zweistromland, Euphrat und Tigris!“
Wir begreifen, dass unser Wissen kaum über das Weströmische Reich hinausreicht, sowohl zeitlich als auch räumlich. Dabei wurde das Osmanische Reich um 1300 von Osman I. gegründet, weitete sich weit nach Europa bis kurz vor Wien und nach Ostanatolien aus, war ein Weltreich und bestand bis 1923, als Kemal Atatürk das Sultanat abschaffte und die säkulare Republik Türkei schuf.
Heute grenzt Ostanatolien an Georgien, Armenien, Aserbaidschans Exklave Nachitschewan, Iran und den Irak, Südostanatolien überdies an Syrien. Ein Gebiet, in dem viele Völker leben und lebten.
Das spiegelt sich auch in der Kulinarik der Region. Allein Cag Kebabi, eine Spezialität aus Erzurum, ist Grund genug, nach Ostanatolien zu fahren – ein Spieß von köstlich mariniertem Lammfleisch, der sich horizontal über dem Feuer dreht. Dazu Joghurt mit Portulak, gebratenes Gemüse, Auberginensalat, Hummus, gefüllte Teigtaschen namens Hangel. Und Iskembe, Schafmagen, mit würziger Soße.
Heikles Thema – der Kurdenkonflikt
Nicht zu vergessen die Käsesorten, uns so unbekannt wie die altorientalischen Völker, von zerrupften Käsefäden, mit zartem Blauschimmel überzogen, bis zum Kugelkäse. Danach werden gekochte Fleischklöße aufgefahren, Abdigor Köftesi, die an Königsberger Klopse erinnern, und Keskek, ein Eintopf aus Lamm mit Gerste.
Zum Essen wird der Joghurtdrink Ayran gereicht, auf Wunsch auch hervorragender ostanatolischer Rotwein namens Akberg Büyükbag Ercis Karasi, gekeltert aus einer alten, fast vergessenen Traubensorte.
Die nächste Station ist Kars. Die Kapitale der gleichnamigen Provinz war vor gut 1000 Jahren die Hauptstadt des Armenischen Königreichs, sie ist heute ein wichtiger Höhepunkt einer Tour durch den türkischen Osten. Eine vierspurige Straße schlängelt sich über die Berge dorthin, aber kaum jemand ist hier unterwegs. Der Ausbau der Infrastruktur soll die Region entwickeln, erfahren wir. Außerdem könne man unter Asphalt nicht so leicht Bomben vergraben wie unter Schotter, sagt einer im Bus.
Somit ist das heikle Thema angesprochen: der Kurdenkonflikt. Er ist der Hauptgrund, warum in den vergangenen zehn Jahren kaum Touristen in diese Gegend kamen. Unser Guide erklärt es historisch, geht weit zurück in die Geschichte der islamischen Feudalherrschaft, die die Menschen von Bildung ferngehalten habe.
Bei Fragen zur heutigen Zeit kommt die kurdische PKK ins Spiel, die verbotene Untergrundorganisation, die in der Türkei offiziell als Terrorgruppe angesehen und verfolgt wird. Erst im Frühjahr 2025 hat die PKK beschlossen, sich aufzulösen und die Waffen niederzulegen. Seither wächst in Ostanatolien die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden und auf eine touristische Blüte, das östliche Drittel des Landes ist deutlich sicherer geworden.
Bevor wir Kars erreichen, kommt ein anderes heikles Thema auf: Nahe der Stadt Sarikamis erinnert ein Denkmal an zehntausende Soldaten, die im Winter 1914/1915 starben, als das Osmanische Reich der russischen Armee unterlag. Lebhafte türkische Reisebusgruppen „werden hier immer ganz still“, sagt unser Guide. Der damalige osmanische Kriegsminister Enver Pascha schob die Schuld an den türkischen Verlusten armenischen Legionen zu, die auf der Seite der Russen gekämpft hatten.
Das wurde zum Vorwand am Völkermord an den Armeniern, den die Türkei bis heute abstreitet und stattdessen als Niederschlagung eines armenischen Aufstands ansieht – mit tragischen Folgen für die armenische Minderheit. Durch Massaker, Deportationen, Todesmärsche und Massentötungen kamen bis zu 1,5 Millionen Armenier im Osmanischen Reich um.
Russische, armenische, kurdische Einflüsse, was ist davon heute zu sehen? Viele der Plakate entlang der Straßen sind auf Kurdisch, der Sprache der Mehrheit in Ostanatolien. Das elegante armenische Alphabet sieht man nirgends. Das Russische ist heute eine Art Folklore in der Region: Kars war mit seinem Umland zwischen 1878 und 1917 eine transkaukasische Provinz des Russischen Reiches. In den Schaufenstern der Stadt sorgen Pelzmützen für Doktor-Schiwago-Gefühle, Lokale tragen Namen wie „Café Dostoyevski“ und „Pushkin“. Wir logieren im „Cheltikov Hotel“, einem historischen Gebäude im russischen Stil.
Die wenigen Urlauber sind Türken
Auf den Straßen hört man kaum fremde Sprachen, nur Kurdisch und Türkisch. Deutsche Touristen, die millionenfach in der Türkei Urlaub machen, trifft man nicht. Die wenigen Urlauber hier sind Türken – viel dazu beigetragen habe die Zugverbindung von Ankara, erklärt der Guide.
Die Atmosphäre ist entspannt, auch nach Einbruch der Dunkelheit kann man unbesorgt durch die Altstadt spazieren. Wir kehren in einem kurdischen Lokal ein, bestellen Wein und sehen Einheimischen zu, die zu traditioneller Musik tanzen.
Kulinarisches Highlight ist das „Kars Kaz Evi“, das „Haus der Gans“. Nuran Özyilmaz, geboren 1957 und damals Hausfrau, eröffnete es vor rund 20 Jahren – als erste Restaurant-Chefin der Region, damals belacht von den Männern. Inzwischen ist die Geschäftsfrau mehrfach ausgezeichnet worden. Die traditionellen Gänsegerichte, die sie auftischt, wurden früher nur zu Hause gegessen, sagt sie.
Das Fleisch für ihr Restaurant, dessen Personal durchweg weiblich ist, kauft sie bei Bäuerinnen in den Dörfern rings um Kars, um ihnen Einkommen zu sichern. Neben regionaltypischen Fleischgerichten serviert sie auch vegetarische Leckereien. Unbedingt probieren: geschmorte Gans auf Bulgur-Pilav und den aromatischen Käse Kars Gravyeri, die ostanatolische Variante des Schweizer Gruyère.
Weiter geht die Reise in den fast menschenleeren Osten Ostanatoliens, mit Halt im Teegarten „Cay Bahcesi Halkislak“ direkt an der armenischen Grenze. Sie ist seit Jahrzehnten geschlossen, eine Folge des Konflikts um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, in dem sich die Türkei mit den Aserbaidschanern verbündet hat.
„Hinübergehen ist verboten“, sagt der ältere Herr, der den Teegarten führt, Deutsch spricht und sich über Besuch aus Berlin freut: „Ah, ganz Kreuzberg ist türkisch!“ Er ist überzeugt, dass die Grenze bald geöffnet werde: Armenien, Aserbaidschan und die Türkei verhandelten miteinander darüber, und Direktflüge zwischen der Türkei und Armenien gebe es bereits.
Spektakulär ist die Hauptsehenswürdigkeit hier im Grenzgebiet – das riesige Ausgrabungsgelände der einstigen armenischen Hauptstadt Ani, das 2016 zum Unesco-Welterbe erklärt wurde. Um das Jahr 1000 sollen 100.000 Menschen in dieser Stadt an der Seidenstraße gelebt haben. Ihr Niedergang begann im 14. Jahrhundert, Erdbeben und mongolische Eroberer setzten Ani zu.
Wir spazieren durch die noch immer beeindruckenden Mauerreste. Ein Gewitter rückt heran, es wird immer düsterer; eine mystische Atmosphäre. Als es zu schütten beginnt, flüchten wir uns in die Ruine der Kathedrale, die vor über 1000 Jahren für den armenischen Katholikos erbaut wurde.
Landschaft von außerirdischer Anmutung
Auf der Fahrt weiter nach Süden schimmern an der Straße regenbogenbunte Hügel aus mineralischen Gesteinsschichten: Kupfer, Schwefel, Eisen. Einmal glitzert es gläsern, es sind Lagen von schwarzem Obsidian, vulkanischem Glas. Später breiten sich gigantische Felder aus erstarrter Lava aus. Eine abwechslungsreiche Landschaft von fast außerirdischer Anmutung. Die Dörfer bestehen aus einzelnen Steinhäusern auf fast quadratischem Grundriss, darauf ein Metall-Walmdach in kräftigem Grün oder Blau, überragt von Pappeln und einer Moschee.
Und plötzlich ist er zu sehen, weil er sein Haupt ausnahmsweise mal nicht in Wolken hüllt: der Ararat, 5137 Meter hoch, wo nach biblischem Mythos die Arche Noah nach der Sintflut Land fand. Bis heute ist er der heilige Berg der Armenier, aber da er komplett in der Türkei liegt, ist er für sie unerreichbar.
Im kargen Nichts neben der Straße steht ein weißer Flachbau. Darauf prangt in großen grünen Buchstaben der Name eines amerikanischen Coffeeshops – echt jetzt? Man nenne ihn Starbucks-Achmed, sagt ein Mann mit dickem Schnauzer und grinst. Sein Rasthaus hat er vor sieben Jahren eröffnet und den Namen gemopst.
Die Geschäfte liefen gut: „Social Media ist super, deswegen halten alle bei mir an.“ Er freut sich, dass hin und wieder auch Gäste aus dem Ausland dabei sind, „die unsere Kultur kennenlernen möchten“. Sein türkischer Mokka ist besser, als der Name des Lokals vermuten lässt.
Die Straße verläuft nun nahe der türkisch-iranischen Grenze, viel Militär ist hier unterwegs. Entlang einer Bergkette zieht sich eine durchgehende Mauer, erst in jüngerer Zeit errichtet. Vorher seien hier täglich mehr als 1000 Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien über die Gipfel in die Türkei gekommen, sagt der Guide.
Ein Bad wie im Toten Meer
Zum Schluss der Reise folgt ein weiterer Höhepunkt: Van am blau schimmernden Vansee – die Hauptstadt des altorientalischen urartäischen Reiches, eine Großmacht ab dem neunten Jahrhundert vor Christus. Heute ist sie eine moderne Großstadt mit 350.000 Einwohnern. Auf den Straßen geschäftiges Treiben, überall Geschäfte und Stände, an denen eifrig gehandelt wird. Einige Frauen tragen Kopftuch, andere zeigen sich in Shirts mit Spaghetti-Trägern und mit unbedeckten Haaren.
Ein Schiffsausflug bringt uns zur heute unbewohnten Insel Akdamar, wo wir die berühmte Kirche zum Heiligen Kreuz aus dem zehnten Jahrhundert bewundern – ein Meisterwerk armenischer Kunst, beliebtes Fotomotiv und eines der wichtigsten Gotteshäuser der orientalisch-orthodoxen Christen.
1915 wurde es geplündert und zerstört, ab 2005 wieder aufgebaut. Zufällig findet gerade einer der raren Gottesdienste statt, der Patriarch ist eigens aus Armenien angereist. In der weihrauchgeschwängerten Kirche drängen sich die Menschen, Frauen mit weißen Spitzentüchern auf dem Kopf haben die Hände gefaltet, Männer halten Smartphones empor. Der Gesang der Gläubigen ist herzergreifend, vor der Tür drängen sich Menschen um Lautsprecher.
Neben der Kirche ist Van landesweit berühmt für das sogenannte Van-Frühstück – reichhaltig, vielseitig, unschlagbar. Der Tisch biegt sich unter Rosenmarmelade, Weißbrot und Fettgebäck, weißem Butterrahm, Würstchen, Murtuga (einer Art Omelette aus Eiern, Mehl und Butter), lokalem Kräuterkäse, Rindfleisch mit Rührei und süßem Çay im Tulpenglas.
Die Reise endet, wie es sich für einen Türkeiurlaub gehört: mit einem Bad. Aber nicht im Meer, sondern im Vansee. Da das herrliche Gewässer vulkanischen Ursprungs ist, ist das Wasser stark salzhaltig und hat einen seifigen Effekt.
Man kann hier fast wie im Toten Meer vor sich hin dümpeln, ohne unterzugehen, und lässt dabei den Blick über die malerische Landschaft, auf armenische Altertümer, auf fröhlich planschende Kurden und Türken schweifen. Alles wirkt zutiefst entspannt. Wann, so fragt man sich, kehrt in dieser besonderen Weltgegend endlich der dauerhafte Frieden ein, den sie verdient?
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Turkish Airlines fliegt via Istanbul nach Erzurum und Van, Pegasus und Ajet fliegen beide Städte im Inlandsverkehr an.
Wo wohnt man gut? Etwa im modernen „Hotel Zade“ in Erzurum, Doppelzimmer mit Frühstück ab umgerechnet 75 Euro (otelzade.com.tr), oder im „Cheltikov Hotel“ in Kars, Doppelzimmer mit Frühstück 95 Euro (hotelcheltikov.com).
Rundreisen: Ikarus Tours bietet 2026 zwölftägige Rundreisen durch den Osten der Türkei an, ab 2750 Euro inkl. Flug (ikarus.com). Studiosus hat eine zehntägige Tour durch die Region im Programm, ab 2490 Euro inklusive Flug (studiosus.com).
Weitere Infos: goturkiye.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt vom Türkischen Fremdenverkehrsamt und Ikarus Tours. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit
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