Alles am Fluss gelegen – Bangkok erkundet man am besten auf dem Chao Phraya
Der Pfiff ist schrill und besagt: „Achtung, jetzt komme ich!“ Also Platz da am Steg! Seit fünf Jahren fährt Bootsjunge Somchai, übersetzt „wertvoller Mann“, mit dem Expressboot auf dem Chao Phraya in Bangkok. Er ist im Wortsinn ein wertvoller Mann, hilft der 23-Jährige doch dem Kapitän nicht nur mit der Trillerpfeife, Platz zu schaffen, sondern auch bei jedem Anlegemanöver. An der nächsten Haltestelle, am Steg von Wat Kien im Norden der Stadt, steigen drei Mönche zu. In aller Ruhe. Hier kommt Somchais Trillerpfeife ausnahmsweise einmal nicht zum Einsatz: Den Mönchen wird mehr Zeit eingeräumt, aus Respekt.
Ansonsten heißt es für alle anderen Fahrgäste: Schnell zusteigen, sonst ist das Boot schon wieder weg, wie zwei Stopps weiter am Halt Rama VII, als eine schick gekleidete Dame mit ihren High Heels zwischen zwei Planken stecken bleibt. Pech gehabt! Somchai pfeift – und innerhalb von Sekunden geht es weiter.
Um sechs Uhr morgens beginnt die erste Fahrt. Die Route ist stets die gleiche: den Strom hinauf, nach Nonthaburi im Norden; den Fluss hinunter, nach Wat Rajsingkorn im Süden. Alle 15 bis 30 Minuten fährt Somchais Boot, bis etwa 18 Uhr. Für Touristen lohnt es sich, die ganze Route zu fahren. Man kommt an vielen Highlights vorbei und kann am Ende den ländlicheren Norden der thailändischen Hauptstadt bei Nonthaburi erkunden. Eine bessere Stadtrundfahrt durch Bangkok gibt es nicht. Unterwegs sieht man Wolkenkratzer, aber auch schlichte Pfahlwohnhäuser, Flussterrassen mit herabhängenden Topfpflanzen und badende Kinder im lehmbraunen Wasser. Wellen klatschen an die Uferbefestigungen, als sei man schon am nahen Ozean.
Am Chao Phraya ist vieles verschachtelt und eng auf eng gebaut. Hier blickt man direkt in den Alltag der Anwohner hinein: Ein Mann wäscht sich mit Shampoo im Flusswasser. Ein Fahrradhändler kündigt klingelnd auf dem Steg sein Kommen an: Er verkauft Nudelsuppe, der dampfende Topf ist auf dem Gepäckträger fest verankert. Und vom nahen Markt steigt der Duft von Koriander in die Nase, der sich mit dem Geruch von getrocknetem Fisch und Diesel vermischt. Man sieht im Vorbeifahren, dass junge Mädchen Knoblauch pulen, alte Frauen Chili sortieren und ein Parkplatzwächter angestrengt herumfuchtelt.
Egal mit welchem Boot und wohin man fährt: Es gibt sicher keinen Stau! Der Chao Phraya macht’s möglich – einzigartig im dauerverstopften Bangkok. Deshalb sind die Flussschiffe bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt. Ein weiterer Vorteil: Die Fahrpreise sind niedrig: 16 Baht, knapp 50 Euro-Cent, kosten die orange beflaggten Boote, mit denen Somchai unterwegs ist: Egal ob man nur eine Station an Bord ist oder die ganze Route fährt. Bezahlt wird auf dem Schiff. Auf Somchais Boot hat heute Sanuanghit Dienst: Mit ihrer länglichen, metallenen Geldbüchse geht sie laut klackernd die Sitzreihen entlang und kassiert. Auch wenn es voll ist, hat sie die zugestiegenen Gäste stets im Auge.
Die Boote mit gelber, grüner, orangefarbener oder roter Flagge fahren fast die gleiche Route, einige aber nur wochentags zu den Stoßzeiten am Morgen und Abend, Schiffe mit roter und grüner Flagge legen nicht überall an. Tickets kosten, je nach Linie, 14 bis 33 Baht (40 bis 90 Cent). Blau beflaggte Boote halten nur an neun der insgesamt 35 Stopps. Sie sind etwas schneller und zielen auf Touristen. Mit bis zu 150 Baht (vier Euro) ist das Ticket hier zwar teurer, aber immer noch preiswert, zudem bieten die Touristenboote Ansagen in englischer Sprache. Auf dem Chao Phraya wuseln obendrein noch diverse Hotelboote herum – mit Namen gekennzeichnete, kostenfreie Barken, die Gäste von den größeren Hotels am Fluss zum wichtigen Skytrain-Bahnhof am Sathorn Pier bringen.
Der Bootsverkehr im städtischen Bereich des insgesamt 372 Kilometer langen Stroms ist gut geregelt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht, vor allem, weil die privaten Long Tail Boats mit großer Geschwindigkeit sowie noch größerem Lärm durch die Wellen pflügen als die Liniendampfer. Die Langschwanzboote heißen so, weil deren Antriebsschraube am Heck an einer langen Stange befestigt ist, die an einen Schwanz erinnert.
Somchai pfeift: kurzes Anlegen in Bang Po. Eine Schule muss in der Nähe der Anlegestelle sein, denn es steigen rund 20 Schülerinnen zu, alle adrett in Schuluniform gekleidet. Auch ein europäischer Herr mit Anzug und Krawatte nimmt das Boot. Er kann einem fast leidtun: Es ist schwül, das Thermometer zeigt über 30 Grad, die Expressboote sind nicht klimatisiert. Trotzdem: Expressboot fahren alle in Bangkok. Einheimische genauso wie Ausländer; sie werden längst nicht mehr bestaunt. Die Piers sind ausgeschildert, Bootslinienpläne bieten alle nötigen Informationen, und auf dem Wasserweg kommen Touristen nah ran an viele der rund 400 Tempelanlagen.
Wer unterwegs Hunger verspürt, steigt einfach aus, geht etwas essen und fährt mit einem späteren Boot weiter: Eine der gut 40.000 Bangkoker Garküchen findet sich garantiert in der Nähe jeder Haltestelle. Besonders zu empfehlen ist die Station Ratchawong: Von hier aus sind es nur ein paar Schritte nach Chinatown mit seinen Gassen, Geschäften, chinesischen Tempeln und Lokalen, die neben der scharfen thailändischen auch alle Varianten der chinesischen Küche servieren.
Bangkoks Alltag entlang des Chao Phraya ist faszinierend unaufgeräumt. Windschiefe Wellblechhütten neben modernen Hochhäusern, Buddha- neben Shopping-Tempeln, achtspurige Stadtautobahnen überqueren den Fluss, Bordelle verstecken sich in kleinen Sois, wie die Gassen genannt werden, und überall glänzen goldene Chedis, die typischen Tempeltürme. Alles ist bunt zusammengewürfelt, wirkt aber trotzdem harmonisch. Wahrscheinlich ist es auch das Chaos, das Bangkok, die 24-Stunden-Power-Stadt, so anziehend macht, obgleich die Luftqualität durch die Dauerstaus permanent schlecht ist.
Das Boot läuft den bei Besuchern beliebten Pier Tha Chang an. Somchai pfeift mehrmals, weil ihm das Vorgängerboot am Pier zu lange braucht. Fast alle Touristen verlassen das Boot und fast ausschließlich westliche Ausländer besteigen es. Kein Wunder: Vom Steg aus erreicht man die schönste Tempelanlage des Landes in ein paar Minuten zu Fuß: Wat Phra Kaeo. Wer zum Wat Pho möchte, fährt noch eine Station weiter bis Tha Tien. Von dort kommt man mit einer Fähre auch hinüber zur Thonburi-Seite zum Wat Arun. Diese drei sind die bedeutendsten Tempel in Bangkok.
Am Fluss wurden ab dem 17. Jahrhundert nicht nur die ersten Tempel erbaut, sondern auch sehenswerte Gebäude im europäischen Stil: so der alte Flügel des „Oriental“, das Postamt und Feuerwehrhaus daneben oder das Handelshaus der East Asiatic Company. Die Portugiesen waren die ersten Europäer in Bangkok, sie segelten schon 1511 den Chao Phraya flussaufwärts. Rund 2000 von ihnen gründeten die erste europäische Siedlung in Thailand. König Rama II. schenkte der portugiesischen Krone 1818 ein Stück Land am Fluss, das bis heute im Besitz Portugals ist und auf dem die portugiesische Botschaft ihr Domizil hat. Das benachbarte Hotel „Royal Orchid Sheraton“ hat einen seiner beiden Pools ebenfalls auf diesem Gelände. Ein Schild weist Schwarz auf Gold auf diese einzigartige Grenzkonstellation hin, eine Passkontrolle der Badegäste findet aber nicht statt.
So gehört auch diese Kuriosität nahe der Haltestelle Si Phraya zur günstigsten und spannendsten Stadtrundfahrt durch Bangkok. Etwa eine Stunde muss man von Endstation zu Endstation rechnen. 60 Minuten, die der Bootsjunge Somchai zehnmal am Tag fährt. Schöner ist es aber, mehr Zeit mitzubringen und zwischendurch immer wieder auszusteigen, um tief in den Alltag an Bangkoks Lebensader einzutauchen, wo alles im Fluss ist.
Tipps und Informationen
Wie kommt man hin? Zum Beispiel nonstop von Frankfurt oder München mit Lufthansa, Thai Airways oder Condor; Umsteigeverbindungen von diversen deutschen Flughäfen mit KLM via Amsterdam oder mit Etihad via Abu Dhabi.
Kann ich am Fluss wohnen? Direkt am Chao Phraya gibt es mehrere feine Hotels, erste Adresse ist "The Oriental" mit schöner Terrasse mit Flussblick, DZ ab 388 Euro (mandarinoriental.com). Viele Zimmer mit Flusspanorama bietet auch das "Royal Orchid Sheraton Riverside Hotel", DZ ab 150 Euro (marriott.com). Direkt gegenüber vom Wat Arun liegt das "Sala Rattanakosin" mit einladender Rooftop-Bar (salahospitality.com).
Weitere Infos: Allgemeine Infos: tourismthailand.org; Auskunft zu Expressbooten, zu Routen, Piers, Abfahrtzeiten und Tarifen: chaophrayaexpressboat.com.
■ Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von KLM. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit
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