Verlass dich nicht auf Google Maps! Sechs Lektionen für Urlaub in Albanien
Vier Stunden lang Schlaglöcher, die aussehen wie Granatkrater. Unebener Asphalt, wenn überhaupt. Steine und Äste, die bedrohlich gegen die Karosserie schlagen. Die Versuchung, jetzt aufzugeben und umzukehren, ist groß. Und dann plötzlich: saugfähiger Asphalt der neuesten Generation, perfekt planiert und markiert. Ich atme auf und trete das Gaspedal durch.
Kein anderer Autofahrer ist bis hierher vorgedrungen, wir haben die ganze Autobahn für uns allein. Ist das ein Geschenk des Himmels? Oder nur das Machwerk eines korrupten Beamten, der hier irgendein Fördergeld versenkt hat? Nach wenigen Minuten die Antwort: Die Autobahn mündet abrupt und ohne jeden Hinweis in einem ungeteerten Saumpfad, unterbrochen von unzähligen kleinen Canyons, die der letzte Platzregen gegraben hat. Wir legen gerade noch rechtzeitig eine Vollbremsung hin.
Schlaglöcher und eine falsch eingetragene Staatsstraße auf Google Maps: Damit muss man rechnen, wenn man sich in Albanien auf einen Roadtrip begibt. Und doch lohnt es sich, mit dem Auto diesen kleinen Balkanstaat zu erkunden, der nicht einmal so groß wie Brandenburg ist. Ein Zwerg von einem Land, das vom Sandstrand an der Adria bis zum alpinen Hochgebirge, von der orthodoxen Kirche bis zur osmanischen Moschee allerlei zu bieten hat.
Einen Mietwagen bekommt man in Albanien unkompliziert und vergleichsweise günstig. Außerdem sprechen viele Albaner in Hotels und Lokalen Deutsch, Italienisch oder Englisch. Wer dann bereit ist, es mit dem wuseligen Verkehr der Städte Tirana oder Durrës und den Holperpisten im Hinterland aufzunehmen, wird großspurig belohnt: mit malerischen Dörfchen, schwindelerregenden Steilküsten und einem atemberaubenden Blick auf die albanische Riviera. Unterwegs gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Horizonterweiterung.
Lektion 1: Verlass dich nicht auf Google Maps
Albaniens schlechte Straßen kommen nicht ganz aus dem Nichts. Das Land hat eine bewegte, teils tragische jüngere Geschichte. Als die stalinistische Diktatur Enver Hodschas 1990 zusammenbrach, versank das Mittelmeerland in bürgerkriegsähnlichem Chaos, von dem es sich nur langsam erholte.
Heute ist Albanien EU-Anwärterstaat, rasender Fortschritt und vorindustrielle Zustände treffen im Land schonungslos aufeinander. So kommt es, dass gut geteerte Straßen auf Google Maps noch gar nicht existieren, während andererseits Saumpfade auch schon mal als Autobahn eingezeichnet sind. Trotzdem hat der Tourismus in den letzten Jahren kräftig angezogen. Obwohl ein professionelles Destinationsmarketing noch im Aufbau ist, hat sich das Land durch fleißige Mund-zu-Mund-Propaganda zum nicht mehr ganz geheimen Urlaubstipp gemausert. Abgesehen von der Landschaft schwärmen Reisende von günstigen Preisen und der schier grenzenlosen albanischen Gastfreundschaft.
So habe ich das Reiseziel auch meiner Frau schmackhaft gemacht. Mit der Fähre geht es für uns zuerst von Italien quer über die Adria nach Durrës, dort leihen wir uns ein Auto und wollen damit den Süden des Landes erkunden. Erstes Ziel ist Berat, eine Stadt mit osmanischer Architektur, danach führt die Route über die Vjosa (den letzten großen Wildfluss Europas) bis zu den Thermalquellen bei Permet. Von dort sind es nur noch ein paar Pässe bis zur Steilküste der Albanischen Riviera mit ihren langen Stränden.
Um voranzukommen, sollte man sich nicht allein auf digitale Karten verlassen, sondern hin und wieder auch auf den Rat der Einheimischen hören.
Lektion 2: Teure Autos sind ein sensibles Thema
Unser Gefährt für den Roadtrip ist ein kleiner roter Citroën C1. Damit fällt man in Albaniens Städten fast schon auf – als armer Schlucker. Auf dem Weg nach Berat begegnet man fast ausschließlich polierten Luxus-SUVs. Deutsche Marken wie Mercedes, BMW und Audi sind besonders beliebt. Auf dem Land sind dagegen noch viele alte Schüsseln unterwegs.
Die Bonzen-Autos bilden einen merkwürdigen Kontrast zu den baufälligen Hausfassaden, die in der Landschaft herumstehen. Albanien gehört mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von rund 10.000 US-Dollar zu den ärmsten Ländern Europas, 4,5 Prozent der Bevölkerung sind unterernährt, viele Wohnhäuser bleiben aus Geldmangel unverputzte Bauskelette. Woher also der Auto-Wohlstand?
Wer kann das besser wissen, als diejenigen, die mit den Protzautos um die Blöcke fahren? Aus einem weißen BMW X5 vor uns steigen drei junge Männer mit breiten Schultern und massigen Kinnladen. Der Fahrer findet meine schüchterne Frage nicht witzig: „Schau dir die Straßen an. Da braucht man eben große und solide Autos.“
Ein überzeugendes Argument. Und angesichts der Körpergröße und der finsteren Mienen der drei Männer erübrigen sich weitere Fragen.
Lektion 3: Gib nachts keine Mitfahrgelegenheiten
Es ist Abend, wir sind kurz vor Berat und merken, dass es hier Menschen gibt, für die die schlechten Straßen möglicherweise auch ein Vorteil sind. Je dunkler es wird, desto mehr von ihnen erscheinen im Scheinwerferlicht. Gebückt und einsam gehen sie die Straße entlang, vereinzelt Frauen, vor allem aber alte, ausgedorrte Männer. Woher und wohin sie gehen, kann auch der Greis nicht erklären, neben dem wir schließlich anhalten, um ihm eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Ich bin früher selbst per Anhalter gereist und weiß, wie gut es tut, ein paar Kilometer mitgenommen zu werden.
Es dauert ein bisschen, bis wir auf der Karte einen Ort finden, der so klingt wie das Wort, das der Alte im zerschlissenen Sakko ständig wiederholt. Ein Daumen hoch, ein Lächeln. So funktioniert in diesen Fällen Kommunikation. Dass der Alte nicht viel redet, ist nicht verkehrt, denn er hat eine schreckliche Fahne.
Am Zielpunkt bedankt sich der Alte. Wieder ein Luftschwall, der nach Bier und Wein riecht. Dann ruckelt und zieht er am Griff, versucht vergeblich, die Tür zu öffnen. Erst, als etwas kracht, fällt mir ein, dass die Kindersicherung noch aktiv sein muss. Ich öffne dem Alten von draußen die Tür.
Der Mann bedankt sich noch einmal, dann humpelt er schnell davon. Auf der Fußmatte lässt er den abgebrochenen Türgriff zurück. Lebewohl, Mietwagenkaution.
Lektion 4: Enver Hodscha? Ein guter Mann
Tomor, unser Gastgeber in Berat, hat es besser. Es seien die ganz Armen, die noch zu Fuß von Ort zu Ort ziehen, erzählt er, „alte Menschen wie ich, mit umgerechnet 200 Euro Rente im Monat.“ Sein Glück sei, dass er ein schmuckes Haus im historischen Zentrum von Berat besitze, sagt Tomor. Hier vermietet er heute Zimmer an Touristen. Mit dem Geld hat er sich ein Fahrrad gekauft und dem Sohn in Tirana das Studium finanziert.
„Auch ich wäre in meinem Leben gerne gereist“, sagt Tomor auf seiner Terrasse mit Blick auf das Zentrum von Berat. Wegen der charakteristischen weißen Häuser mit vielen symmetrisch angeordneten Fenstern wird Berat auch „Die Stadt der tausend Fenster“ genannt.
Tomor hätte gerne Italien gesehen, oder die USA, sagt er. Das sei wegen der Kosten aber unmöglich. Früher, unter der Diktatur von Enver Hodscha, hat das Radio seine Neugier auf die große Welt gestillt. Heimlich lauschte er in seiner Kammer italienischen Sendern, er liebte die Lieder von Adriano Celentano und Caterina Caselli.
Er spricht fließend Italienisch. „Damals aber hütete ich mich, das jemanden merken zu lassen“, erzählt Tomor. Hätten die falschen Leute erfahren, dass er italienisches Radio hört, hätte man ihn als Spion festgenommen.
Enver Hodscha, den paranoiden Diktator aus jener Zeit, hält er trotzdem für einen guten Mann. Im Sozialismus hatte zumindest jeder ein garantiertes Auskommen, sein Sohn hätte nicht wegziehen müssen. Auch Drogen und Kriminalität habe es nicht gegeben damals.
Heute dagegen schon. Deshalb ist für Tomor die Sache mit den Bonzen-Autos klar: „All diese jungen Männer mit teuren SUV – was glaubt ihr, woher die ihr Geld haben? Die schlafen alle mit der Knarre unterm Kopfkissen.“ Da sei ihm sein Fahrrad lieber.
Lektion 5: Selbst alte Autos taugen als Statussymbol
Von Berat geht es weiter in die wilden Berge von Permet, wo die vom langen Fahren müden Beine im 25 bis 30 Grad warmen Thermalwasser der Benja-Quellen wieder locker werden. Die steinerne Bogenbrücke von Ura e Katiut aus dem 18. Jahrhundert im Hintergrund sorgt für ein Zeitreise-Gefühl.
Bukolische Hügel lösen bald die schroffen Bergketten ab. Die Straße von Permet bis zur Adria führt vorbei an Schafherden und alten Steinmauern. Interessanterweise verdünnt sich der Anteil der SUVs, je weiter man in die albanische Provinz vordringt. Dabei bräuchte es sie hier am meisten. Stattdessen begegnet man Menschen auf Eseln oder knatternden Uralt-Treckern.
Fragt man hier die einfachen Leute, hat jeder seine eigene Theorie, wo die Luxusautos herkommen. Die einen verweisen, wie Tomor, auf den Drogenhandel, die anderen reden von Korruption. Und die habe ihr Zentrum weit weg von hier, in der Hauptstadt.
Unbestritten ist nur, dass Autos in der albanischen Gesellschaft einen enormen Stellenwert einnehmen. Selbst wer nur einen zerbeulten Mercedes-Benz aus dritter Hand fährt, pflegt ihn auf Hochglanz. In fast jedem Hinterhof, auf jedem Parkplatz gibt es kleine Autowaschanlagen.
Der Betreiber einer solchen Waschanlage erklärt die Liebe der Albaner zum Auto so: „Ein Wagen ist für viele Albaner der wichtigste Besitz. Sie arbeiten im Ausland, leben einmal hier, einmal dort. Da wird das Haus zur Nebensache, das Auto umso wichtiger.“ Was auch nachvollziehbar ist: Albanien ist ein klassisches Auswanderungsland – die Überweisungen der Auslandsalbaner in die alte Heimat sind unverzichtbar für die Wirtschaft. In einem Land, wo das gute Leben seit Jahrzehnten davon abhängt, wie mobil man ist, kommt dem Automobil unweigerlich eine besondere Bedeutung zu.
Lektion 6: Vertraue auf die Gastfreundschaft
Gegen Ende des Roadtrips geraten wir doch noch in eine Polizeikontrolle. Es ist später Nachmittag und unser Licht war nicht an. „Your driving license“, sagt der Polizist durchs offene Fenster, als er merkt, dass ich kein Albanisch spreche. Ich werde nervös. Meinen italienischen Führerschein habe ich noch vor dieser Reise verloren, ich habe nur eine provisorische italienische Fahrerlaubnis dabei, doch die hat hier keine Gültigkeit. Der Polizist mustert mich. „Tourist?“ Ich nicke. „You can go.“
Da war sie wieder, die legendäre albanische Gastfreundschaft. Auch dieses Mal hat sie uns gerettet. Ihretwegen, der Landschaft und der unterschätzten albanischen Küche wegen hat sich diese Reise eindeutig gelohnt.
Wobei die Polizei nicht nur die Touristen verschont. Trotz inflationärer Verkehrskontrollen haben wir keinen einzigen angehaltenen SUV gesehen; es traf immer nur Kleinwagen wie unseren. Verdenken kann man es den Polizisten nicht. Mir als ahnungslosem Touristen ließen die breitgebauten SUV-Besitzer dumme Fragen noch durchgehen, das gebietet schließlich die Gastfreundschaft. Die örtlichen Beamten kämen wohl nicht so leicht davon.
Tipps und Informationen
Wie mietet man ein Auto in Albanien? In den Städten findet man viele Anbieter, darunter auch bekannte Namen wie Sixt, Europcar oder Avis. Lokale Mietwagenfirmen bieten oft günstigere Preise – da ist es jedoch ratsam, vorab die Bewertungen durch andere Kunden zu prüfen. Angesichts des lebhaften Straßenverkehrs und schlecht gewarteter Straßen empfiehlt sich eine Vollkasko-Versicherung mit geringer Selbstbeteiligung. Ein Auto mit hoher Bodenfreiheit erhöht die Chance, das gewünschte Ziel zu erreichen.
UNTERWEGS IM EIGENEN AUTO
Kann man mit dem eigenen Auto unterwegs sein? Die Einreise mit dem eigenen Wagen ist problemlos möglich. Erforderliche Dokumente sind die Zulassungsbescheinigung und eine Grüne Versicherungskarte mit Deckung für Albanien.
Was muss man beachten? Das Tempolimit beträgt innerorts 40, außerhalb von Ortschaften 80, auf Schnellstraßen 90 und auf Autobahnen 110 km/h. Es besteht Lichtpflicht: Das Fahren mit Abblendlicht ist auch tagsüber vorgeschrieben. Mit Alkohol sollte man vorsichtig sein: Die Promillegrenze liegt bei 0,1. In Albanien sind die Kraftstoffpreise mit denen in Deutschland vergleichbar, regional können sie auch etwas über dem deutschen Preisniveau liegen. Tankstellen sind in Städten zahlreich, in abgelegenen Gegenden jedoch selten – also rechtzeitig auftanken!
Wo wohnt man gut? Berat: „Hotel Mangalemi“, traditionelles Drei-Sterne-Hotel in der Altstadt, DZ ab umgerechnet 55 Euro, mangalemihotel.com. Permet: „Funky Guesthouse“, familiäre Atmosphäre, ideal für Naturfreunde, DZ ab 42 Euro, funky-permet.al. Vlora an der Albanischen Riviera: „Hotel Liro“, Vier-Sterne-Haus direkt am Meer gelegen, mit Privatstrand, partyfreudiges Publikum, DZ ab 84 Euro, buchbar etwa über booking.com). In der Hochsaison im August empfiehlt es sich, im Voraus zu buchen. Ansonsten darf man in Albanien gerne spontan losfahren – die Unterkünfte sind zahlreich und selten komplett ausgebucht. Wildcampen ist weitgehend erlaubt (Ausnahmen: Privatgrundstücke, Nationalparks, Naturschutzgebiete).
Weitere Infos? albania.al
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke