Familienurlaub auf dem Bauernhof – so werden Ferien maximal unbeschwert
Das Erste, was wir riechen, ist der Duft von frischem Heu, der sich mit Ziegenstallgeruch mischt. Das Erste, was wir tun, ist, die Schuhe auszuziehen und die Füße in den noch taunassen Klee zu graben. „Barfuß“, erkläre ich. „Barfuß!“, antwortet mein knapp zweijähriges Kind und strahlt erst seine nackten Zehen und dann mich an.
Wieder ein neues Wort gelernt, das ein wenig von der Unbeschwertheit ausdrückt, die sie hier erleben darf. Auf den saftigen Wiesen blühen gelbe Butterblumen, lila Weidensalbei, purpurfarbene Nelken, weiße Graslilien und unzählige andere Pflanzen.
Wir sitzen vor einem 1500 Meter hoch gelegenen, historischen Alpenbauernhof im schweizerischen Val Müstair, schauen hinunter ins Tal und hinüber auf die Berge vor uns. Es ist hell, warm und ruhig. Einzig das Summen der Insekten, das Rauschen eines Gebirgsbachs und die Glöckchen dreier Zwergziegen sind leise im Hintergrund zu hören.
„Dem Heidi war es so schön zumute, wie in seinem Leben noch nie. Es trank das goldene Sonnenlicht, die frischen Lüfte, den zarten Blumenduft in sich ein und begehrte gar nichts mehr.“ Mir fallen spontan diese Zeilen ein, die Johanna Spyri in einer ihrer berühmten „Heidi“-Geschichten aus dem Jahr 1880 zu Papier brachte.
Urlaub auf dem Bauernhof überaus beliebt
Die Sehnsucht nach einem zutiefst friedlichen Daseinszustand in schönen Kulissen, den Spyri so poetisch ausdrückte, ist noch immer aktuell. Ein Urlaub ist eine wunderbare Gelegenheit, um ebendiese Sehnsucht zu stillen. Erst recht für Großstadtmenschen wie meine Tochter und mich. Weshalb ich für unsere erste gemeinsame Reise in den Süden bewusst Urlaub auf dem Bauernhof gewählt habe. Diese Reiseform ist bei Familien höchst beliebt – pro Jahr werden laut Bauernverband allein auf deutschen Höfen rund 16 Millionen Übernachtungen gezählt.
Lange hielt ich nach dem heilsten Heile-Welt-Bauernhof Ausschau, den ich finden konnte – im Val Müstair im Kanton Graubünden wurde ich fündig. „Ist hier die Welt noch in Ordnung?“, frage ich Bauer Rico Lamprecht. „Davon bin ich überzeugt“, antwortet er. Dass sie es anderswo keineswegs ist, weiß mein Kind natürlich noch nicht. Ich versuche alles, damit seine Welt, die es gerade entdeckt, möglichst lange frei, wild und wunderbar sein wird.
Die erste Freundschaft, die es schließt, ist die mit einer champagnerfarbenen Katze namens Luna. Ausgestattet mit einem geduldigen, ruhigen Wesen, begleitet sie mein Kind auf Schritt und Tritt. „Komm mit, Luna“, ertönt tagelang das glockenhelle Stimmchen meiner Tochter, die gern in Richtung Stall steuert. Und Luna kommt mit. Drinnen warten die Ziegen Alvetern, Flöckli und Mathilda.
„Ihre Leibspeise ist wilder Spinat“, erklärt Bäuerin Vreni Lamprecht. Dieser wächst reichlich, direkt vor dem Stall. Als die hibbeligen Ziegen meinem Kind ein Bund davon aus seiner Hand zupfen, muss es kichern. „Noch mal“, ruft es begeistert und hüpft eilig hinaus, um Nachschub zu pflücken. Die Aussicht auf noch mehr Leckereien quittiert das Ziegentrio mit tänzelnden Freudensprüngen. Und so geht das Spiel noch einige Zeit weiter, bis es mein Kind für beendet erklärt und mit Luna im Schlepptau davontapst.
Der Luxus der Einfachheit
Das malerische Bauernhaus Pütschai Josom verfügt über 900 Jahre alte Gebäudeteile. Unser Zimmer, so hat es die Denkmalpflege notiert, hat sich seit 1480 kaum verändert; mit Schnitzereien an niedrigen Holzdecken und kleinen Fenstern mit Blumenkästen vor Bergpanorama.
Nachts knarzt es laut in den Balken, doch unser Schlaf ist trotzdem tief und fest. Der Luxus liegt in der Einfachheit. „Wir haben hier alles, was wir brauchen“, sagen die Lamprechts. Käse, Milch, Fleisch, Brot und Eier stammen entweder aus ihrem oder einem der umliegenden Betriebe. Aus dem Brunnen fließt Quellwasser und die Natur ist so intakt, wie es heutzutage eben möglich ist.
Val Müstair liegt am äußersten Zipfel Graubündens in der Ostschweiz. Das ziemlich abgelegene UNESCO-Biosphärenreservat mit angrenzendem Nationalpark ist bekannt für seine ökologische Vielfalt, unverbaute Landschaften und eine starke lokale Identität. Über 80 Prozent der hier ansässigen Landwirte produzieren, wie die Lamprechts, rein biologisch.
Weil es, wie sie sagen, in der Bergwelt viel einfacher ist, im Einklang mit der Natur zu arbeiten, als gegen sie. Die Region setzt auf sanften Tourismus und verzichtet im Winter auf große Skigebiete. Im Sommer kommen vor allem Wanderer, die sich einen Blick auf Steinböcke, Adler, Gämsen oder Murmeltiere erhoffen oder einfach nur frische Bergluft einatmen wollen.
Neben Ziegen und Katzen leben auf dem Hof Hase Elsa, einige Kühe, die momentan auf der Alm grasen, und eine Hühnerschar. Einmal am Tag darf mein Kind aus ihren Nestern Eier einsammeln. „Schau mal“, sage ich. „Diese Hühner hier basteln für uns fast jeden Tag ein Ei. Sei ganz behutsam, wenn du es nimmst.“ Von einer brütenden Henne skeptisch beäugt, ist das Kind zunächst versucht, die Eier wie Bälle in das Körbchen zu pfeffern.
Selbstbewusst wie Heidi im Heu
Doch mit der Zeit scheint es einen Zusammenhang zwischen dem Federvieh und dem Ding zu vermuten, das sie sonst nur aus dem Kühlschrank kennt. Immer sanfter legt sie ein Ei nach dem anderen hinein und trägt ihre Ausbeute stolz zu Landwirt Lamprecht, der gerade frisches Heu für die Tiere schneidet.
„Toll gemacht“, freut er sich. Daraufhin schnappt sich das Kind ein loses Heubüschel und legt es ein Stück weiter wieder ab, wohl in der Hoffnung, ihm auch hierbei behilflich zu sein.
Blumen gießen, Walderdbeeren pflücken, Steinchen stapeln, Katzen streicheln, Ziegen füttern, die Füße in den Bach tauchen – es gibt auf dem Urlaubsbauernhof viel zu tun für eine Zweijährige. Dabei wird sie immer sicherer im Umgang mit den Tieren. Und schon bald bewegt sie sich derart selbstbewusst über das Gelände, dass sie bei ihren Streifzügen mit Luna so manches Mal aus meinem Blickfeld gerät.
Alles scheint sich für sie selbstverständlich anzufühlen; ein fließendes Hinein-Erleben in eine behütete Umgebung mit unendlich viel Zeit. Noch stellt sie keine Fragen. Es ist, wie es ist. Und so, wie es ist, ist es gut. Während aus Erwachsenensicht kaum etwas passiert, ist in ihrer Wahrnehmung jede Menge los.
Ausflug auf die Alm
Einen kleinen Ausflug machen wir dann doch: Die Lamprechts nehmen uns mit, ein Stück den Berg hinauf zum Hof ihres Sohnes, wo einige Mutterkühe mit ihren frisch geborenen Kälbern leben. Mindestens zehn Monate bleiben sie zusammen. Eines kam zwei Tage zuvor auf die Welt, doch das Trinken am Euter will noch nicht recht klappen.
Auf wackeligen Beinen wird das Minikalb immer wieder zu seiner Mutter geführt. „Beide brauchen jetzt Ruhe und Zeit“, sagt Bauer Rico Lamprecht. Dem Kind, das von Zuhause aus Berlin allenfalls Hunde kennt, sind die großen Wesen allerdings nicht geheuer. Es hält lieber Abstand und ist mehr daran interessiert, was als Nächstes passiert.
Im Gelände-Pick-up geht es mit Ricos Sohn, dessen Kindern, Hirte und Hund weiter auf die Alm, die über der Baumgrenze auf 3000 Metern liegt. Hier oben wird die Kuhherde den Rest des Sommers verbringen. Dafür müssen heute die Zäune kontrolliert werden, alle helfen dabei mit.
„Kühe sind empfindsame Wesen“, erklärt Rico Lamprecht während der Fahrt. „Besonders Mutterkühe haben starke Instinkte und spüren herannahende Gefahren viel eher als wir.“ Zudem seien sie soziale Wesen, die lebenslange Freundschaften eingingen.
Einmal habe er aus Versehen zwei Kuh-Freundinnen auf unterschiedliche Weiden gebracht. Beide hätten so stark gelitten, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als sie wieder zusammenzuführen. Auch für das neue Kälbchen geht das Leben gut weiter, erfahre ich später, es hat das Saugen am Euter doch noch begriffen.
Oben angekommen, zieht Familie Lamprecht mit Zaunstangen und Seilen bepackt zu Fuß weiter den Berg hinauf. Mein Kind und ich bleiben auf einem blühenden Plateau zurück. „Was willst du machen?“, frage ich. Die Tochter überlegt kurz, setzt sich hin, zieht Schuhe und Socken aus und sagt: „Blumen pflücken. Barfuß!“
So wird es dann auch gemacht, ganz in sich versunken und selbstvergessen tappt sie über die Bergwiese. In der Ferne leuchten die weißen Gletscher der Ortlergruppe, der Himmel ist strahlend blau. Zwei Wanderer kommen vorbei, ansonsten sind wir beide allein. Uns ist es so schön zumute.
Tipps und Informationen:
Wie kommt man hin? Ab Berlin und Hamburg fährt täglich ein Nachtzug der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mit Sitz-, Liege- und Schlafwagen – perfekt und stressfrei mit Kleinkind – nach Zürich Hauptbahnhof (nightjet.com). Von dort geht es weiter mit der Bahn nach Zernez (sbb.ch), von wo aus der Postbus, der in der Schweiz lustigerweise Postauto heißt, von morgens bis abends im Stundentakt ins Val Müstair fährt (postauto.ch).
Urlaub auf dem Bauernhof: Der beschriebene Bio-Hof Pütschai Josom liegt im Graubündner Val Müstair und verfügt über eine voll ausgestattete Ferienwohnung mit Platz für bis zu zwölf Personen, ab 1000 Euro/Woche inkl. Frühstück mit regionalen Bioprodukten. Der Preis für ein Zimmer inkl. Frühstück startet ab 70 Euro pro Nacht/Person (puetschaijosom.ch). Wer weitere Anbieter für Familienurlaub auf dem Bauernhof sucht, wird auf diversen Websites fündig: Agrotourismus Schweiz (myfarm.ch), Urlaub am Bauernhof Österreich (urlaubambauernhof.at), Bauernhof Urlaub Südtirol (bauernhof-suedtirol.it), Bauernhofurlaub in Bayern, Deutschland & international (bauernhofurlaub.de).
Weitere Infos: Schweiz Tourismus: myswitzerland.com; Graubünden Ferien: graubuenden.ch/de
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit
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