An diesem Vormittag riecht es im Garten nach frisch gemähtem Gras – und nach Waffeln, die irgendwo in der Nachbarschaft gerade wieder jemand bäckt. Durch die Fenster mit den weißen Holzkreuzen scheint die Sonne herein, während der Wind Zweige vor den Scheiben bewegt, als wollte er die Schatten auf der Schlafzimmerwand tanzen sehen.

Als Kind spielte Astrid Lindgren mit ihren Geschwistern genau hier wie später Pippi Langstrumpf in ihrer Villa Kunterbunt „Nicht-den-Boden-berühren”. Sie beschrieb das so: „Von der Arbeitszimmertür hangelte man sich zur Küchentür, sprang auf die Spiegelkommode, von der Spiegelkommode auf den Schreibtisch, auf Papas Bett, zu einem mit Stoff bezogenen Sitzkissen, mit dem man bis zur Tür des Wohnzimmers rutschte, zum Kamin und wieder zur Arbeitszimmertür.“

In dem roten Holzhaus, das sich unter die großen Bäume am Ortsrand von Vimmerby duckt, ist die schwedische Kinderbuchautorin am 14. November 1907 zur Welt gekommen. Hier ist sie auf dem kirchlichen Gut aufgewachsen, das ihr Vater als Pächter betrieb.

Dieser Garten war ihre Spielwiese, er war die Bühne ihrer unbeschwerten Kindheit: „Wir kletterten auf die höchsten Bäume und wir balancierten auf dem Dachfirst unseres Hauses“, erzählte sie später: „Es war schön, dort Kind zu sein und schön, Kind von Samuel August und Hanna Ericsson zu sein. Zweierlei hatten wir dort, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit.“

Die Bäume drumherum sind alt und dick geworden über all die Jahre, haben immer mehr Runzeln bekommen. Sie haben viel erlebt, Stürmen standgehalten, Generationen erwachsen werden sehen. Es sind die Bäume, in denen sie als Kind herumkletterte, auf deren Astgabeln sie saß und spielte.

1945 erschein das erste Pippi-Buch

Es sind die Kastanien und Ulmen, um die herum sie damals am eigenen Leib kleine Episoden aus dem Leben von Pippi Langstrumpf vorwegnahm, lange bevor sie das rothaarige Mädchen mit den Zöpfen erfand. Es sind die Bäume im Garten von Astrid Lindgren auf Näs mitten in Småland. Diesen September steht ein runder Geburtstag an: Vor 80 Jahren erschien das erste Pippi Langstrumpf-Buch auf Schwedisch.

Eine alte Ulme wurde von den Ericsson-Kindern „der Eulenbaum“ genannt, weil er hohl war. Sie liebten es, sich darin zu verstecken – wie ein gutes halbes Jahrhundert später Pippi Langstrumpf, die vor ihrer Villa Kunterbunt einen ebenfalls hohlen „Limonadenbaum“ stehen hatte, in dessen aufgeplatzten Stamm sie von oben hineinkletterte und durch deren Astlöcher sie anderen Kindern Getränke herausreichen konnte. Der Baum auf Näs steht noch immer, ist ein bisschen runzeliger und verwachsener als die anderen.

Mit 18 zog Astrid mit der Familie aus dem roten Holzhaus aus – näher an die Straße, in das nur 15 Schritte entfernte größere hellgelbe Holzhaus. Es hat eine große Veranda, so üppig dimensioniert, dass man dort ein Pferd festmachen und unterstellen konnte: wie später in Pippis Villa Kunterbunt.

Diesen Vormittag flattern dort Handtücher auf einer Wäscheleine im Wind, direkt nebenan steht eine Regentonne, auf dem Rasen liegt Kinderspielzeug verstreut und ein paar Meter entfernt ist ein Schaukelgestell aufgebaut. Es gibt also wieder Kinder auf Näs.

1926 ging Astrid Lindgren nach Stockholm, wo sie für fast ein Dreivierteljahrhundert bleiben sollte. Die Sommer aber verbrachte sie auf der Schäreninsel Furusund und auf Näs. Denn als das Gut 1965 aufgelöst wurde, hat sie das rote Holzhaus gekauft, alles in den Urzustand der eigenen Erinnerung zurückversetzt, nach fehlenden Möbelstücken auf Flohmärkten gesucht und bis zu ihrem Tod im Januar 2002 immer wieder Ferien dort im Elternhaus verbracht.

Alte Weiber, die auf Bäume klettern

Geschlafen hat sie im Bett ihres Vaters, das wieder an derselben Stelle steht wie zu seinen Lebzeiten. Sie hat Unkraut hinterm Haus gejätet, die Rosen geschnitten, Äpfel geerntet. Und sie ist wieder in den Bäumen herumgeklettert – im Alter von 67 Jahren sogar vor Fernsehkameras gemeinsam mit ihrer Freundin Elsa Olenius, die an dem Tag ihren 80. Geburtstag feierte. Schließlich gebe es, kommentierte Astrid Lindgren wörtlich, „kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern.“

Der Garten als Quelle der Inspiration? Bäume, die ein kleines Mädchen geprägt haben könnten, das einmal Schriftstellerin werden sollte und Geschichten von Freiheit, sogar von gewisser Anarchie erzählen würde? Es sieht ganz so aus.

Das rote Holzhaus mit dem Balancier-Dachfirst steht noch, mit den Blumenbeeten auf der Vorderseite, den Rabatten neben der weißen Verandatreppe, den Bäumen, in denen die kleine Astrid mit ihren Geschwistern Gunnar, Stina und Ingegerd herumgestiegen war. Sie waren in diesem Garten, was später zwischen Buchdeckeln und im Film Pippi, Annika und Tommy sein sollten – Kinder, deren Wertesystem stimmte und die fast alle Freiheiten der Welt hatten, das Leben ganz nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen.

Während Wohn- und Schlafzimmer, Flur und Küche Fremden auf Führungen gezeigt werden, bleibt ein Raum im Erdgeschoss ebenso tabu wie das Obergeschoss: Dort schlafen Astrid Lindgrens Enkel, Urenkel, Großnichten und -neffen, wenn sie im Sommer auf Näs zu Besuch sind. Und wenn im nahen hellgelben Holzhaus der Platz wieder mal nicht für die ganze große Familie ausreicht. Es ist dann, als ob der Garten erwacht. Und alle wieder da sind, auch Annicka, Tommy. Und Pippi.

Tipps und Informationen:

Besichtigung: „Astrid Lindgrens Näs“ mit Elternhaus, Garten und Museum ist bis zum 21. September täglich von 10 bis mindestens 16 Uhr geöffnet, in der Hochsaison bis 18 Uhr. Eintritt 120 schwedische Kronen bzw. umgerechnet rund 11 Euro für Gärten und Museum. Führungen durch Astrid Lindgrens Elternhaus nur nach Voranmeldung für 184 Euro pro Gruppe von bis zu zwölf Personen (astridlindgrensnas.se)

Auskunft: visitsmaland.se/de; visitsweden.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Regionalförbundet i Kalmar Län. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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