Italien: Land der Gelassenheit

Wer zum ersten Mal den Brenner in Richtung Süden überquert, mag zunächst erstaunt feststellen: „Sapperlot, die sprechen hier Deutsch!“ Und nicht nur das. Auf der Südtiroler Speisekarte gibt es Knödel und Sauerkraut, die Infrastruktur ist weitgehend saniert und die Busse kommen pünktlich. Passt so gar nicht zu den üblichen Italien-Klischees.

Trotzdem sind die Anzeichen, dass man Deutschland und Österreich hinter sich gelassen hat, so klar wie der plötzlich wolkenlose Himmel. Neben Eichen und Fichten wachsen nun Palmen und Zypressen. Und im Supermarkt bleibt die Kassiererin auch dann noch freundlich, wenn man den Einkauf nicht schon nach 2,81 Sekunden eingepackt hat und ein beklommenes „Mit Karte bitte!“ ruft.

Im Gegenteil, wer sich in Italien beeilt, muss länger warten. Jedenfalls so lange, wie die Kassiererin noch mit der greisen Frau im knallbunten Armani-Kleid über Risotto-Rezepte quatscht. Hier lernt man, den Sachen ihre Zeit zu geben, notgedrungen. Chi va piano, va sano e va lontano, sagen die Italiener: Wer langsam geht, kommt sicher und kommt weit. Im Laden, im Straßenverkehr, im Leben.

Sucht man im Urlaub etwas anderes? Italien ist das Land der Gelassenheit. Je weiter man nach Süden fährt, desto größer wird sie. Zehn-Gänge-Menüs mit Grand-Cru-Wein, diese angestrengte Art, das Leben zu genießen, ist Sache der Franzosen. Die Spanier mögen in dieser Hinsicht entspannter sein. Doch selbst die obligatorische Siesta und die Abendkultur erst nach 21 Uhr haben etwas Zwanghaftes.

Die Italiener hingegen sagen: Lasciamo stare, oder fai come vuoi! Vergiss es, mach, wie es dir gefällt. Wer Hunger hat, der stürze sich schon vormittags auf Cacio e Pepe, wer müde ist, lege sich schlafen, und wer in Feierlaune ist, der tanze, gröle und trinke, egal ob drei Uhr nachmittags oder frühmorgens. In einer italienischen Taverna oder Bar wird man zu jeder Uhrzeit Gleichgesinnte finden. Nur beim Cappuccino nach dem Mittagessen gibt es kein Pardon, das ist Todsünde, Italiener trinken den nur vormittags.

Nervige Vorschriften gibt es in Italien freilich auch. Sie sind allgegenwärtig, im öffentlichen Leben genauso wie im Theater. Wer ein bisschen Italienisch versteht, bemerkt sie überall: Schilder, die etwas verbieten oder befehlen. „No takeaway“, steht zum Beispiel auf einer Tafel in einer Pizzeria in Rom. Aber wenn man sich traut, den Pizzaiolo um eine Ausnahme zu bitten, sagt der mit einem Achselzucken: „Takeaway? Uay nodd??“

Regeln, das wissen die Italiener, sind da, um im richtigen Moment gebrochen zu werden. Selbst die beste Puccini-Oper ist auf eine Prise Improvisation angewiesen. Und die gibt es in Italien überall, was sich besonders kulinarisch in einer schier unendlichen Variation ausdrückt: Von Nord bis Süd finden sich Hunderte regionale Pasta-Sorten, oft selbst gemacht, und 2000 Rebsorten. Von der landschaftlichen und kulturellen Vielfalt ganz zu schweigen. Rund 60 Unesco-Welterbestätten hat Italien, so viele wie kein anderes Land.

Für Deutsche besonders wohltuend: Mut zur Vielfalt durchdringt hier auch noch die öffentliche Meinung. Zwar gibt es auch hier hart gesottene Putin-Versteher, Corona-Skeptiker oder ökosoziale Klimaaktivisten. Allerdings mit dem Unterschied, dass man noch miteinander spricht. Nicht immer zivilisiert, aber immerhin.

Sobald man sich genügend laut angebrüllt hat, stößt man in Italien wenige Minuten später mit einem eiskalten Amaro del Capo wieder auf das gute Leben an. Lasciamo stare – eine fantastische Tugend im besten Reiseland der Welt.

Teseo La Marca

Spanien: Die Sonne scheint bei Tag und Nacht

Man reist nicht nach Spanien, um etwas zu sehen, sondern um etwas zu fühlen. Die Hitze des iberischen Sommers, die kühle Brise vom Meer, das warme Herz der Menschen, den Rhythmus ihrer schönen Sprache. Über 3000 Sonnenstunden im Jahr. Welches andere Land gibt so ein Versprechen?

Man sagt, der Gott des Theaters sei Italiener, der des Weines Grieche – doch der Wettergott? Ganz klar: ein Spanier. Das wusste schon Schlagerbarde Roy Black: „Die Sonne scheint bei Tag und Nacht, Eviva España!“

Weiterer Pluspunkt: Spanien hat Platz. Niemand muss fürchten, vor lauter Liegen den Strand nicht mehr zu sehen und beim Sonnenbaden aus Versehen den Rücken des Nachbarn mit einzucremen.

Über 8000 Kilometer Küste, mehr als 3000 Strände, Balearen und Kanaren eingeschlossen. Fast 600 davon tragen die Blaue Flagge, sind sicher und umweltfreundlich. Europarekord. An der Playa de Ses Illetes auf Formentera und am Es Trenc auf Mallorca fühlt man sich in einem türkisen Karibiktraum, aber ohne Langstreckenflug. Kurtaxe? Überteuerte Strandklubs? Fehlanzeige. Das nennt man spanische Willkommenskultur.

Einen Nachteil gibt es: Spanien hat zu viel zu bieten. Im Norden das grüne Baskenland und Galizien mit dem Jakobsweg. In Barcelona den Jugendstil, in Andalusien maurische Festungen. Auf Mallorca Bergdörfer, in Madrid weltstädtischen Glanz. Ohnehin Madrid: Es ist nach Meinung des weitgereisten Tyler Brûlé von der Zeitschrift „Monocle“ derzeit die spannendste Hauptstadt Europas. Rom sehen und sterben? Nein, lieber Madrid erleben und vergehen.

Was ist mit der Küche, werden Kritiker jetzt vielleicht einwenden und stirnrunzelnd auf Paella und Sangria zeigen. Madre mía, rufen da die Spanier. Als gäbe es in Italien nicht überall Pizza und in Frankreich Croque Monsieur! Aber nur zwischen Alicante und Zaragoza kennt man Tapas, und bei den Basken die Pintxos. Kleine Leckereien mit großer Message: eine für dich, eine für mich. Zwei für den, der zahlt. Das ist mehr als Essen. Das ist gelebte Sozialpolitik.

Nie käme ein Einheimischer auf die Idee, Sangria zu bestellen. Geschweige denn zu trinken. Spanier bevorzugen einen Vino tinto aus der Rioja und im Sommer eiskalten Wermut mit Zitrone. Dazu Oliven und Manchego-Käse. Oder Sardellenfilets in Essig und gekochten Oktopus mit Meersalz. Gibt es etwas Besseres? Claro que no.

Selbst die verwöhnteste Zunge kommt im Königreich auf ihre Kosten. San Sebastián, die Küstenstadt im Norden, punktet nicht nur mit einem der schönsten Stadtstrände der Welt, sondern auch mit zwölf Sterne-Restaurants, gleich drei davon mit der Höchstwertung von drei Sternen.

Das beste Restaurant Europas 2025? Natürlich ein Lokal auf der iberischen Halbinsel, und zwar das „Asador Etxebarri“ im baskischen Bergdorf Axpe. Essen wie Gott in Spanien – so muss es richtig heißen.

Und wer hat die Siesta erfunden, das Nickerchen am Nachmittag? Wer kommt erst nach 21 Uhr zum Abendessen, weil man den Sonnenuntergang am Strand nicht verpassen will? Richtig, auch das stammt von den Spaniern.

Entspanntheit ist ihre zweite Natur. Während sich die Italiener für Puccini halten und das ganze Leben als Oper sehen und die Franzosen ständig damit rechnen, dass ihnen der Himmel auf dem Kopf fällt, fragen Spanier einfach und unkompliziert: Qué tal? (wie geht’s?) – und lächeln.

Denn sie wissen: Die Antwort wird bien (gut) lauten. Sonst würden wohl kaum 94 Millionen ausländische Touristen im Jahr hierher reisen. Und die Spanier lächeln weiter. Wir sprachen schon von ihrem großen Herz. Man nennt es auch Gastfreundschaft. Deshalb fühlt man sich als Deutscher in Spanien nie wie ein Fremder – nur dann, wenn man um 18 Uhr allein im Lokal sitzt und sich fragt, wo alle sind.

Frank Rumpf

Frankreich: Paradies auf Erden

Apéro ist das Code-Wort des Sommers, das man sich zuruft in Frankreich, wenn die Sonne nicht mehr ganz im Zenit steht, aber der Abend noch nicht angebrochen ist. Unter dem Vorwand des Aperitifs trifft man Freunde, Freunde von Freunden, Nachbarn, Kollegen, es ist ein zwangloses Zusammenfinden, ohne klaren Anfang, manchmal auch ohne klares Ende, improvisiert im Garten, auf dem Balkon, unter Platanen.

Vergessen sind die Streiks, die Proteste, die Politik. Wenn die Franzosen sich zuprosten, die Eiswürfel leise klirren, die Zikaden um die Wette zirpen, wenn die Boules-Kugeln mit sattem Klackern aufeinander schlagen, dann hat die Stunde des Sommers geschlagen. Von nun an betrachten sie die Welt durch das von Kondenswasser beschlagene Glas kalten Roséweins wie durch eine rosarote Brille. Und was sehen sie? Das Paradies auf Erden.

100 Millionen Urlauber können schließlich nicht irren. So viele wurden 2024 gezählt, sie machten Frankreich zum meistbesuchten Land der Welt. Sie werden angezogen von den Lavendelfeldern der Provence, den wilden Stränden der Bretagne, den Schlössern der Loire, sie werden angelockt von einem Namen, der wie ein Versprechen klingt – Côte d’Azur, von den Palmen der Stadt Nizza, von Geschichte ohne Ende, vom Mont Blanc, von der Unberührtheit der Pyrenäen, vom Baskenland mit seinen Surfstränden, vom Elsass, vom Burgund, von der Ardèche, von den Landungsstränden in der Normandie mit den letzten Überresten deutscher Bunker, wo sie, die Vergangenheit im Rücken, mit nackten Füßen ins Wattenmeer ziehen, um mit Eimern voller Herzmuscheln für das Abendessen zurückkehren.

Frankreich ist das Land, in dem man auf Reisen alles kombinieren kann: Kultur und Kulinarik, Stille und urbane Dichte, sportliche Verausgabung auf dem Fahrrad im Tal der Rhône und faule Aufenthalte im Spa, um die Batterien wieder aufzuladen.

Und egal, wo man sich hinbegibt, man stößt auf eines der über 1000 Sommerfestivals. Das idyllische Avignon verwandelt sich während des Theaterfestivals im Juli in die Bühne der Welt. Fotografie in Arles, Opern ohne Ende im alten Palais der Erzbischöfe von Aix-en-Provence, das Hochfest des Kinos in Cannes. Es dreht sich der Kopf bei so viel Kultur.

Bei allem Schwärmen blieb die Mode unerwähnt, die Haute-Couture mit ihren Modeschauen, der lässige Stil der Französinnen, die Weltklasse-Museen, unterschlagen wurde auch die Tatsache, dass oft noch das kleinste Dorf einen Bäcker, eine Fleischerei und mit Sicherheit ein Bistro hat. Nicht zu vergessen das Französische, eine Sprache, die gesungen wird, wie es Heinrich Heine ausdrückte, einer der vielen Deutschen, denen Frankreich den Kopf verdreht hat.

Frankreich ist uns auf seltsame Weise nah, weil es nicht mehr der Norden ist, aber auch noch nicht der brutale Süden. Wir fühlen uns ausreichend fremd, aber dennoch aufgehoben. Nicht wie in Spanien, wo sie den halben Tag verschlafen. Nicht wie in Italien, wo sie mit Händen und Füßen reden, um am Ende doch nur bella Figura zu machen.

Frankreich bleibt ein Sehnsuchtsort, auch weil die Schönheit seiner Städte uns Deutschen immer wieder die Sprache verschlägt. Man denke an Paris, die Schönste der Schönen, so wunderbar, so unangetastet, dass man sie vergessen muss wie eine verlorene Liebe, um nicht den Phantomschmerz zu spüren, wenn man sie verlässt. Und dann, später, die Überraschung beim Wiedersehen. Dasselbe Gefühl, die Liebe, dieselbe Anmut aus Stein.

Martina Meister

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