Das Public Viewing war ein voller Erfolg. Der Inselchef hatte eingeladen und alle sind gekommen. Als Erster hier besaß er einen Fernseher. 20 Zoll, schwarz-weiß und brandneu. Im Jahr 1980 war das. Die etwa 300 Bewohner von Huraa im Nord-Malé-Atoll saßen gebannt vor dem nie gesehenen Wunderding und staunten kollektiv.

Keiner schwatzte dazwischen, alle waren maximal fasziniert. Nur verstehen konnten sie nichts, denn die Bollywood-Schmonzette lief in Hindi, das hier niemand sprach und spricht. Meine Zimmervermieter waren auch unter den Zuschauern – Fahima und Ali Yussuf sowie die vier Ersten ihrer später insgesamt 13 Kinder.

So begann vor 45 Jahren meine erste Reise auf die Malediven. Es gab nur ganz wenige Möglichkeiten, auf den Einheimischeninseln zu wohnen. Heute ist das Angebot viel breiter, wie ein Besuch Jahrzehnte später auf derselben Insel zeigt.

Doch noch einmal zurück in die Vergangenheit. Eine der Kammern in ihrem Häuschen aus weißem Korallengestein hatten Fahima und Ali für mich und meinen Reisegefährten geräumt. Dafür bekamen sie pro Tag drei US-Dollar – Vollpension inklusive. So war es mit dem Agenten in der Hauptstadt Male ausgemacht. Mehr gab unser Studentenbudget nicht her.

Die sieben Hotelressorts, die damals erst seit wenigen Jahren auf den Malediven existierten, waren außerhalb unserer Möglichkeiten. Gewöhnen mussten wir uns allerdings an die Benimmregeln: Für die Morgenwäsche gab es den Brunnen im Hof. Für alle sonstigen sanitären Bedürfnisse ging es wie für alle Inselbewohner zum Strand – am besten bei Ebbe.

Nur durch einen schmalen Kanal von Huraa getrennt liegt Little Huraa (auch: Kuda Huraa), damals eine der ersten Touristeninseln der Malediven. Da wateten wir einfach mal rüber und erkundigten uns nach den Tauchmöglichkeiten. Hatten wir zwar noch nie gemacht, aber so schwer werde es nicht sein, dachten wir.

Erstaunlicherweise sah der leicht freakige skandinavische Tauchlehrer das ähnlich. Er hatte gerade nichts zu tun. Wir bekamen eine Kurzunterweisung in die Funktion der Tarierweste und los ging es – mit Pressluftflasche, Maske und Leihflossen. Heute wäre ein so lockerer Umgang mit Gästen ohne Tauchschein undenkbar.

Obwohl wir nur vom Strand aus starteten und nicht besonders tief im Wasser waren, erwies sich das Hausriff als das schönste Stück Natur, das mir bisher begegnet war: intakte Korallenwelten, Farben und Formen in ungeahnter Pracht, Fische in gewaltiger Zahl und (harmlose) Riffhaie zuhauf. So unverantwortlich das Unterwassererlebnis auch zustande gekommen war, so unauslöschlich wird die Erinnerung bleiben.

Die Rückkehr: Alles, was 1980 unvorstellbar schien

45 Jahre später bin ich wieder da. Aus Little Huraa wurde inzwischen das „Four Seasons Resort Kuda Huraa“ und mein „Beach Pavillon“ liegt ungefähr dort, wo wir abends nach dem ersten Tauchgang eine stattliche Muräne vom Grill genossen.

Die luxuriöse, kleine Hotelvilla hat alles, was 1980 unvorstellbar schien: einen eigenen Pool, eine Außendusche, alle Segnungen der Unterhaltungselektronik, Deckenventilator plus Klimaanlage und einen privaten Zugang zum frisch geharkten Strand, wo bereits zwei bequeme Liegen auf den Neuankömmling warten.

Dort stoße ich auf Mitarbeiter Isse, der Strandbadetücher und einen Buzzer reicht, mit dessen Hilfe ich ihn jederzeit für etwaige Bestellungen erreichen kann. Wasser und Mangoeis am Stiel kommen ohne Berechnung. Ein Cappuccino allerdings schlägt mit 16 US-Dollar zu Buche.

Viele der 330 Mitarbeiter hier stammen von der Nachbarinsel Huraa und können so abends bei ihren Familien sein. „Das ist etwas, was den Maledivern sehr wichtig ist. Manche verzichten deshalb sogar auf berufliches Fortkommen,“ erfahre ich abends von Armando Kraenzlin, der vor 24 Jahren auf die Malediven gekommen und inzwischen zuständig ist für sechs Four-Seasons-Resorts sowie ein Schiff zwischen Mumbai und Palau.

Dauerstau und Drogenprobleme

Er hat gewaltige Veränderungen auf den Malediven erlebt: Den massiven Ausbau des Tourismus – inzwischen gibt es mehr als 170 Resorts sowie über 900 Hotels und Guesthouses auf den ehemaligen Fischerinseln; das Anwachsen des einst idyllischen Hauptstädtchens Malé zum dichtestbesiedelten Ort im Indischen Ozean mit Dauerstau auf den wenigen Straßen, Hochhäusern auf künstlich gewonnenem Land und Drogenproblemen wie in jeder anderen Metropole auch.

Gerade deshalb ist dem Schweizer Hotelmanager eines wichtig: „Wir wollen die Gemeinschaft und den Geist der maledivischen Gastfreundschaft erhalten. Und deren Wesenskern ist das Teilen – Essen, Freude, Zeit. Und natürlich ist es für uns wichtig, dass Mitarbeiter möglichst lange bei uns bleiben.“

Zur Gewinnung neuer Leute hat Kraenzlin schon vor 23 Jahren das Apprenticeship Program ins Leben gerufen: Über 800 junge Menschen selbst von den entlegensten Atollen sind mittlerweile durch die dreijährige Ausbildung gegangen.

Zwei dieser langjährigen Kuda-Huraa-Mitarbeiter treffe ich auf Huraa – die Brüder Yappo und Fahim Hussein. Sie sind die Söhne meiner Gastgeber von einst. Yappo war damals noch nicht geboren, Fahim war fünf. Mit dem, was die beiden in rund 20 Jahren bei Four Seasons gespart haben, konnten sie das schickeste Hotel der Einheimischeninsel bauen, das „Wish Guesthouse“ mit 13 Zimmern, Café im Erdgeschoss, Restaurant auf der Dachterrasse mit Panoramablick und einem gut ausgestatteten Gym.

Yappo wird ständig am Telefon verlangt – An- und Abreisen sind zu organisieren, Mitarbeiter brauchen Anweisungen und was man sonst noch so als Hoteldirektor zu tun hat. Und Bruder Fahim hat es auch nicht leicht. Er klagt über ausgeprägten Facharbeitermangel. Einheimische seien schon längst nicht mehr zu finden. „Wir haben einen indischen Koch und vier Bangladescher. Aber die sprechen nicht so gut Englisch, das ist nicht leicht für uns.“

Wie er seine Kindheit mit zwölf Geschwistern (Inselrekord) in den ärmlichen Verhältnissen erlebt habe, möchte ich wissen. „Wir haben das einfache Leben geliebt, wir kannten ja auch nur das.“ Vater Ali Yussuf fuhr täglich zum Fischen raus, Mutter Fahima war für Haus, Kinder und Gemüsegarten zuständig.

Einzige Ausschweifung: gelegentlich eine Wasserpfeife für Mama und indische Zigaretten für Papa. Die Eltern haben das Land nie verlassen, aber Fahim liebt das Reisen und war schon in Indien, Dubai, Sri Lanka, Malaysia und Saudi-Arabien. Und weil er ein tiefgläubiger Mensch ist, muss er jetzt auch zum Beten in die Moschee.

Nach Fortbildung ein DJ

Viele der einstigen Azubis haben Karrieren bis hin zur Position eines Geschäftsführers in der internationalen Hotelwelt gemacht. Auch dank ausgeprägter Förderung durch ihren Arbeitgeber. Vertriebsleiter Ali Jailam Riyaz zum Beispiel hatte nach Etappen in Küche und Housekeeping sein Interesse am Musikmachen durchblicken lassen. Chef Kraenzlin schickte ihn zur Fortbildung für fünf Monate nach Malaysia – jetzt ist er zusätzlich zum Hauptjob als begeisterter DJ im Einsatz.

Für Köche existiert ein regelmäßiges Austauschprogramm mit italienischen Spitzenrestaurants. Vor einiger Zeit war Zweisterne-Chef Nino di Costanzo aus Ischia da. Einige der maledivischen Köche waren schon bei ihm in Italien, inzwischen gibt er für zwei Wochen sein Wissen im Inselresort auf Landaa Giraavaru weiter.

Und wie schlagen sich die maledivischen Ortskräfte? „Die sind alle klasse“, sagt Kraenzlin, „wollen lernen, weiterkommen, sind motiviert, pünktlich und meckern nie. Solche Mitarbeiter finde ich in Italien leider fast gar nicht mehr.“

Essen und Trinken kann man auf den Malediven längst so gut wie irgendwo sonst auf der Welt. Kein Vergleich mit der Vollpension von 1980. Damals gab es morgens, mittags und abends Kirugarudhiya, die immer gleiche Thunfischsuppe mit Brotfrucht und Kokosmilch – was die Insel eben so hergab.

Das Tauchen wiederum hat sich nur verbessert, was die äußeren Umstände betrifft: Gut ausgestattete Tauchzentren, Fünf-Sterne-Standard an Bord der Tauch-Dhonis (Dhonis sind ursprünglich die traditionellen Holzboote der Malediven) – mit Dusche, Drinks und Snacks nach dem Tauchgang. Unter Wasser aber ist die Welt ärmer geworden. Gerade erst ist wieder ein Teil der Hartkorallen Opfer der Korallenbleiche geworden.

Aber Kapitän Basheer (zufällig der Sohn der Nachbarn von einst) und Tauchlehrer Oz wissen das Beste daraus zu machen. Morgens um neun sind wir als Erste am Lankan-Riff. Kaum im Wasser ziehen drei stattliche Mantarochen an uns vorbei. Sie haben das gleiche Ziel wie wir – eine Putzerstation in 20 Meter Tiefe.

Hier lassen sie sich von den kleinen ortstreuen Putzerfischen die Parasiten von der Haut knabbern, und wir genießen das Schauspiel der Pirouetten drehenden Riesenfische. Als sich andere Tauchergruppen nähern, beenden wir unsere Exklusiv-Begegnung und tauchen dankbar wieder auf.

Luxus-Hotellerie trifft Meeresforschung

Beide Hotelinseln haben eigene Meeresforschungszentren. Einerseits, um den Gästen die Empfindlichkeit und Schönheit des einzigartigen Ökosystems Korallenriff nahezubringen. Andererseits, um zum Beispiel bedrohte Hartkorallen auf Gittergestellen zu vermehren und in Phasen wärmer werdenden Wassers in kühlere Meereszonen zu bringen.

Für die Selfmade-Inselhoteliers Yappo und Fahim liegt das archaische Leben ihrer Vorfahren weit zurück. Jeden Tag raus aufs Meer fahren wie noch ihr Vater Ali, mein zeitweiliger Gastgeber von einst? Eher nicht.

„Wir hatten eine glückliche Kindheit, auch wenn wir alle in einem Raum geschlafen haben. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir blicken nach vorn, haben gerade zwei neue Suiten neben dem Hotel eröffnet und bauen ein eigenes Wassersportzentrum auf“, sagt Yappo.

Könnte Huraas inzwischen verstorbener Inselchef von einst, der mit dem Fernseher, das noch erleben, er würde vor Neid erblassen.

Tipps und Informationen:

Anreise: Früher gab es Maledivenflüge nur via Colombo. Heute steuern mehrere Airlines die Malediven nonstop ab Deutschland an, etwa Lufthansa (lufthansa.com) oder Discover Airlines (discover-airlines.com).

Preise: Eine Nacht im „Four Seasons Kuda Huraa” im Nord-Malé-Atoll kostet pro Person in der einfachsten Kategorie mit eigenem Pool ab umgerechnet 944 Euro inklusive Frühstück. Noch exklusiver ist das Inselresort auf Landaa Giraavaru im Baa-Atoll, Preise in einem Oceanfront Bungalow ab 1924 Euro (fourseasons.com). Aufenthalte auf den Einheimischeninseln sind dagegen günstig: Auf Huraa kostet eine Übernachtung im „Wish Guesthouse“ ab 75 US-Dollar (wishguesthouse.com).

Auskunft: visitmaldives.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Four Seasons. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

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