„Nofretete gehört nach Ägypten“
WELT: Herr Wagdy, seit September 2024 sind Sie der Generaldirektor der archäologischen Stätten und Museen in Luxor und Umgebung. Ende April ist die erste Ausgrabungssaison unter Ihrer Regie zu Ende gegangen. Was war der aufregendste Fund in dieser Zeit?
Abdelghafar Wagdy: Es gab zwei. Außerhalb des Tals der Könige sind wir Ende vergangenen Jahres auf das Grab von Pharao Tutmoses II. gestoßen. Und im Nordteil der Tempelanlage von Karnak hat ein ägyptisch-französisches Team am 9. Februar ein Ensemble meist goldener Schmuckstücke aus der Zeit der 26. Dynastie gefunden.
WELT: Die Objekte wären demnach etwa 2600 Jahre alt?
Wagdy: Ja. Sie lagen auf dem Terrain einer Siedlung aus Ziegelbauten, die wahrscheinlich als Werkstätten dienten.
WELT: Noch immer wundern sich Archäologen wie Touristen über das verhältnismäßig kleine Grab Tutanchamuns im Tal der Könige. In Fachkreisen ist davon die Rede, dass sich hinter der Grabkammer noch ein weiterer Raum verbirgt.
Wagdy: Scans zeigen in der Tat einen Hohlraum. Dass sich darin aber etwas befindet, ist nur etwa zu einem Prozent wahrscheinlich. Viel zu wenig, um dort jetzt Ausgrabungen zu starten, geschweige denn das Grab Tutanchamuns zu beschädigen. Da gibt es vielversprechendere Stellen in unmittelbarer Nähe.
WELT: Tutanchamuns Grabkammer und deren Inhalt sind seit der Entdeckung durch Howard Carter 1922 ein Dauerthema. Diesen Sommer soll nach langer Bauzeit das Neue Ägyptische Museum in Kairo komplett eröffnen. Sind die wertvollen Grabbeigaben Tutanchamuns inzwischen dorthin umgezogen?
Wagdy: Der Umzug wird im Sommer 2025 beendet sein. Dann haben der Thron, die Maske und viele andere Artefakte endlich auch den Raum, den sie verdienen.
WELT: Manches fehlt in der Sammlung, oder?
Wagdy: Es gibt Hinweise darauf, dass nicht alle Fundstücke aus dem Grab Tutanchamuns vollständig dokumentiert oder übergeben wurden. Manche Objekte könnten sich noch im Besitz privater Sammler befinden – möglicherweise auch bei Nachkommen der ursprünglichen Ausgräber. Wir setzen uns dafür ein, solche einzigartigen Stücke zu identifizieren und – wenn möglich – zurück nach Ägypten zu bringen.
WELT: Immerhin liegt die Mumie Tutanchamuns weiterhin im Tal der Könige.
Wagdy: Dafür habe ich mich persönlich eingesetzt. Es gab Bestrebungen, die Mumie nach Kairo zu holen. Aber ich finde, dass die Würde der Pharaonen respektiert werden sollte. Tutanchamun gehört dorthin, wo er jetzt liegt. Und er sollte dort bleiben, inschallah.
WELT: Als ich das Grab besuchte, hat ein Wärter gegen Trinkgeld angeboten, die Mumie verbotenerweise mit Blitzlicht oder Taschenlampe für Selfies zu beleuchten. Ich nehme an, dass derlei Fehlverhalten auch an der schlechten Bezahlung des Personals liegt. Wie gehen Sie gegen derlei Verstöße vor?
Wagdy: Bei allem Verständnis für die materiellen Schwierigkeiten des Personals widersprechen solche Vorfälle unseren ethischen und professionellen Standards. Sie werden von den zuständigen Stellen untersucht und geahndet. Um solchen Problemen vorzubeugen, wechseln wir regelmäßig das Personal in den Gräbern. Das ist Teil unserer Strategie zur Qualitätssicherung und zur Wahrung der Integrität der Fundstätten.
WELT: Touristen haben in der Vergangenheit in Eigenregie gegraben, sie sind auf die Pyramiden geklettert. Mark Twain beschrieb 1867, wie ein amerikanischer Reisender sich mit Hammer und Meißel am Sphinx zu schaffen machte, um sich ein Souvenir zu sichern.
Wagdy: Noch vor einem Jahr hat ein Mann versucht, eine Keramik aus dem Tempel von Karnak zu schmuggeln. Er kam mit einer Verwarnung davon. Doch generell haben wir keinerlei Probleme mehr mit Touristen. Sie benehmen sich viel besser als zu Mark Twains Zeiten. Auf die Pyramiden zu klettern ist ohnehin viel zu gefährlich und heute natürlich verboten.
WELT: Bleiben die Archäologen von damals: Nofretete wanderte nach Berlin, der Rosetta-Stein nach London, der Tierkreis von Dendera in den Louvre und der zweite Obelisk des Tempels von Luxor auf die Place de la Concorde in Paris – blutet Ihnen als Ägypter da nicht das Herz?
Wagdy: Wichtig ist zunächst, dass wir grundsätzlich nicht mehr erlauben, dass Fundstücke mit in die Heimat der ausländischen Archäologen genommen werden dürfen. Das hat eine Menge verändert. Was den Obelisken betrifft, wäre der Rücktransport nahezu unmöglich. Außerdem erkennen wir an, dass manche Stücke im Ausland eine wichtige Rolle für das globale Bewusstsein hinsichtlich ägyptischer Geschichte spielen. Der Obelisk in Paris ist gewissermaßen ein Botschafter Ägyptens.
WELT: Gilt das nicht auch für Nofretete? Ist sie nicht auch eine Botschafterin, vielleicht sogar die beste, die Ägypten je hatte?
Wagdy: Was Rosetta-Stein, Hemiunu-Statue, den Tierkreis und Nofretete betrifft, bemüht sich Ägypten selbstverständlich um eine Rückgabe. Anders als bei den Obelisken, von denen zahlreiche in Ägypten verblieben sind, handelt es sich hier um einzigartige Kunstschätze. Es wird angenommen, dass die Nofretete-Büste illegal aus unserem Land geschafft wurde. Sie ist keine Botschafterin, sie ist Teil unserer nationalen Identität. Sie sollte in ihr Heimatland zurückkehren, wo sie historisch und kulturell hingehört.
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