Ungeduscht ins Alpenglück
Was für ein Getöse! In der Partnachklamm bei Garmisch-Partenkirchen lärmt das stetige Wasser um die Ohren, hat in Jahrtausenden diese enge Schlucht gegraben. Eine berühmte Sehenswürdigkeit, durch die sich auf einem gut ausgebauten Weg Besuchermassen schieben. Das wird so nicht bleiben bei dieser einwöchigen Alpenüberquerung – weder so voll noch so bequem.
Garmisch ist der Startpunkt dieser Wanderung, die bis nach Sterzing in Südtirol führt und sich „Grüne Alpenüberquerung“ nennt. Entworfen hat sie Nina Ruhland. Die erfahrene Bergwanderführerin ist Gründerin von Bergbegegnungen, einem Anbieter für nachhaltige Wandertouren.
Der Fokus liegt auf größtmöglicher Umweltschonung: Ruhland hat etwa den Gepäcktransport zugunsten des Klimaschutzes gestrichen, ebenso vermeidbare Transfers. Die unverzichtbaren werden CO₂-kompensiert. Bewusst wählte sie Hütten von Betreibern aus, „die darauf schauen, dass die Natur vor ihrer Haustür erhalten bleibt“. Damit unterscheidet sich diese Tour von den Alpenüberquerungen klassischer Anbieter, die auf dem Weitwanderweg E5 von Oberstdorf nach Meran führen – teils mit hohem Komfort.
Kichererbsen-Dal statt Schweinshaxe
Wie eine Alpenüberquerung auf die grüne Tour aussieht, zeigt sich schon am ersten Abend in der „Reintalangerhütte“ am Fuß der Zugspitze. Statt Schweinshaxe gibt es Kichererbsen-Dal. „Wir kochen nicht rein vegetarisch“, sagen die Hüttenpächter Andy und Julia Kiechle. „Aber Fleisch gibt es nur selten, zumal das viel Kühlraum braucht, im Gegensatz zu Kichererbsen.“ Sie bieten bewusst Mahlzeiten an, „bei deren Herstellung Tierwohl und der Schutz unserer Lebensgrundlagen großgeschrieben werden“.
Die Reintalangerhütte bietet ganz überwiegend Bio-Lebensmittel an. Die Logistik ist in den Bergen eine Herausforderung: Ein Helikopter bringt an vier Tagen pro Saison rund 70 Tonnen Lebensmittel für etwa 10.000 Gäste. Das will gut organisiert sein.
Die Wirtsleute arbeiten mit einem Großhändler zusammen, der Bio-Produkte liefert. Ein Bezug direkt von den Produzenten sei zu kompliziert „und auch ökologisch Quatsch, wenn jeder Bauer einzeln mit seinem Kastenwagen herfährt“.
Die nachhaltige Küche auf der Hütte käme überraschend gut an. „Manche Ehefrauen bedanken sich und sagen: ‚Mein Mann hat vegetarisch gegessen und es hat ihm geschmeckt!‘“
Auch der Strom- und Wasserverbrauch spielt bei einer Alpenüberquerung eine wichtige Rolle. „Wer vier Minuten duscht, verbraucht 60 Liter“, sagen die Wirtsleute der „Reintalangerhütte“. Da sei es absurd, vor dem Wandern zu duschen.
Auch bräuchten die Gäste immer mehr Strom, sei es für die Akkus von E-Bikes oder für Handys – es fehle nur noch, dass jemand einen Föhn aus dem Rucksack heraushole. Die Steckdosen in den Zimmern sind daher stillgelegt: „Uns fehlt der Strom sonst beim Kochen.“
Ungeduscht, dafür mit reinerem Gewissen, geht es am nächsten Morgen Richtung Zugspitze, hinein in den steinigen Talkessel. Nun ist Schluss mit dem leichten Bergwandern. Eine Teilnehmerin erkennt, dass sie sich „grandios überschätzt“ hat und dreht um. Sie wird zu den erreichbaren Unterkünften mit dem Auto fahren. Es braucht gute Kondition, um diese grüne Alpenüberquerung genießen zu können.
Kuchenpause auf der „Knorrhütte“ auf gut 2000 Metern. Von hier kommt man auf die Zugspitze, es ist trubelig mit Menschen in unterschiedlichen Stadien der Erschöpfung. Team Grün aber wandert über die Ausläufer des Zugspitzplatts, einem Meer aus Stein, hinüber nach Österreich.
Eine froh gelaunte Frauengruppe kommt den Wanderern entgegen, die Aufschrift auf dem T-Shirt „Ich tu’s nur für den Kaiserschmarrn“ spornt an. Gut 1000 Höhenmeter rauf und wieder runter sind es an diesem Tag – das steigert die Lust auf Schlemmen am Abend.
Am dritten Tag geht es per Taxi in das Sellraintal. Passt das zum Konzept? Ruhland erklärt, am besten wäre es natürlich, CO₂-Emissionen durch Autotransfers komplett zu vermeiden. Aber dann würde eine Alpenüberquerung zwei Wochen dauern – „das bucht niemand“. Bei den Taxitransfers würden nicht nur die Emissionen der Fahrten mit den Gästen kompensiert, sondern auch die Anreise mit leerem Wagen.
„Zudem berechnen wir die Kompensation deutlich aufgerundet und nicht nur für das Fahrzeug, sondern pro Person.“ Rund 200 Kilometer fahre jeder Gast; laut Klimarechner bedeute das etwa zwei Euro. Doch bei der grünen Alpenüberquerung werden je 15 Euro kompensiert. Zudem bekommen Gäste, die mit der Bahn anreisen, einen Rabatt aufs Zugticket. Ruhland ist es wichtig, alles genau zu erklären, um nicht in den Verdacht des Greenwashings zu kommen.
Auch Berge und Alpen sind vergänglich
Die langen Wandertage bieten reichlich Gelegenheit, die Landschaft zu genießen, aber es bleibt auch viel Zeit zum Reden. Nina Ruhland räumt ein, sie habe sich gefragt, ob sie den Gästen im Urlaub Problemthemen wie Klimawandel und Gletscherschwund zumuten könne.
Die Antwort ist: ja – „Die Berge, die so ewig ausschauen, sind eben vergänglich.“ Nach der Geburt ihres Sohnes habe sie der Gedanke stark beschäftigt, welche Welt die Menschheit nachfolgenden Generationen hinterlasse. Die grüne Route sei ihr Beitrag zur Debatte.
Aus dem Sellraintal geht es 1300 Höhenmeter hinauf, die Tour ist nichts für Anfänger. Zumal alle alles in ihren Rucksäcken tragen, nicht nur das Tagesgepäck wie bei vielen klassischen Anbietern. Das ist zwar anstrengend, aber so fallen die Emissionen für den Gepäcktransport weg. Und man hat das Gefühl, dass man sich die schönen Bergpanoramen, etwa den Blick auf den bildschönen Salfeinssee, selbst erarbeitet hat.
Und wieder geht’s hinunter, dann hinauf zur Adolf-Pichler-Hütte. Andrea und Karin aus Niederbayern – alle duzen sich – führen das Haus seit 2016. Verlockend stehen auf dem Tresen riesige Gläser mit bräunlicher Flüssigkeit: Da ziehen aufgeschnittene Zirbenzapfen in Alkohol, das könnte der Schnaps für den Abend sein. Aber der Blick auf die Kalkkögel, die am nächsten Tag überquert werden sollen, bremst etwas.
Warum bucht jemand so eine Alpenüberquerung? „Das passt zu mir. Nicht die konventionellen Wege gehen“, sagt Maria aus Bamberg. Krankenschwester Olivia ist Mitte 50 und schon einige Marathons gelaufen, „aber in den Bergen war ich noch nie“.
So wie Postzustellerin Steffi aus Chemnitz. Sie fährt sonst immer mit ihrem Mann nach Kroatien: „Ich habe die Berge immer nur aus dem Auto gesehen, ich wollte endlich mal selbst dorthin. Aber mein Mann wollte nicht mal anhalten – Urlaub ist für ihn nur das Meer.“ In einer Zeitschrift hat sie von der Wanderung gelesen und gedacht: „Das isses!“
Per Du sein mit Hüttenwirt und Ziegenhirtin
Die Kalkkögel wollte er unbedingt in der Route haben, erklärt Christoph Werntgen, der Guide der Partneragentur, die die „Grüne Alpenüberquerung“ mitentwickelt hat. Als Beispiel dafür, dass Seilbahnprojekte nicht mehr so einfach durchsetzbar sind.
Vor rund 15 Jahren sollten die Skigebiete Axamer Lizum und Schlick 2000 mit einer Bahn verbunden werden. Doch der „Brückenschlag“ hätte über die Kalkkögel hinweg führen müssen, ein ausgewiesenes Ruhegebiet zum Schutz der dort noch ursprünglichen Bergwelt. Der Eingriff sei verfassungswidrig, argumentierten Gegner. Die Petition „Rettet die Kalkkögel!“ entstand und war erfolgreich – bald darauf begrub die Tiroler Landesregierung das Projekt.
Eine weitere Fahrt führt ins Gschnitztal zu „Helgas Alm“. Sie liegt in einem der sogenannten Bergsteigerdörfer, einer Initiative für sanften Tourismus in den Alpen. „Das passt perfekt zu uns“, sagt Werntgen.
Hier verbringen die Wanderer einen Tag mit den Ziegen von Helga Hager, ihrer Hirtin. Ein schräger Beruf für eine Frau, die Jahrzehnte im Nobelort Kitzbühel als Sommelière gearbeitet hat. Doch dann kehrte sie auf die heimische Alm zurück. Morgens geht sie mit ihrer Herde auf die oberen Weiden. Es sind 14 Tauernscheckenziegen; diese alte Haustierrasse gilt als hoch gefährdet, nur mit großem Einsatz konnte der Bestand gerettet werden.
Mit der Milch der seltenen Gebirgsziegenrasse fabriziert Helga Käse; ihr Wissen rund um Almen, Ziegen und Käse vermittelt sie Besuchern. Sie habe viel zu tun, aber keine Hektik, sagt sie. Das Landleben habe ihr bewusst gemacht, dass es wenig braucht für echte Glücksgefühle: „Natur, gute Lebensmittel und hin und wieder Wein.“ Ein Rückzug von der Welt sei ihre Zeit auf der Alm allerdings nicht, sie sei „gern mit Leuten zusammen“.
Gespräche wie mit der Ziegenhirtin, aber auch mit den Hüttenwirten, gehören zur Idee der grünen Tour. „So erleben die Gäste die Umwelt ganz anders“, sagt Nina Ruhland. „Uns ist es wichtig, dass die Berge nicht einfach konsumiert, sondern verstanden und gefühlt werden.“
Zwei weitere Tage geht es auf und ab, einmal springen die Forscheren in einen Bergsee, und schließlich kommt ein Grenzstein in Sicht. Es geht hinüber und hinunter nach Italien. Beim Abstieg nach Gossensaß hört man in der Ferne den Verkehrslärm von der Brennerautobahn – die motorisierte Form der Alpenüberquerung.
Die Reise endet in Sterzing in Südtirol, wie viele andere Fußrouten über die Alpen. Der Ort hat sich darauf eingestellt: Die Läden in der Fußgängerzone bieten T-Shirts mit der Aufschrift „Alpenüberquerung“ an. Sterzing liebt die Alpenbezwinger. „Sie haben etwas geleistet, am Ende der Reise gönnen sie sich etwas und packen den Rucksack voll mit Käse und Wein“, freut sich ein Einheimischer.
Team Grün hält sich erst recht nicht zurück: Steffi kauft Johannisbeersirup, Maria eine Bluse, Olivia Bergkäse und Barbara Zirbenhandcreme. Sie haben es sich verdient – ihr Souvenir einer Alpenüberquerung, die mehr fordert als andere – und mehr gibt.
Tipps und Informationen:
Die Tour: Die „Grüne Alpenüberquerung“ von der Zugspitze nach Südtirol dauert acht Tage und ist nur Fortgeschrittenen zu empfehlen.
Anbieter: Die Tour kostet 1699 Euro pro Person und findet sich im Programm der Veranstalter Bergbegegnungen (bergbegegnungen.de) und Wandererlebnis (wandererlebnis.guide).
Alternative: Auch von Oberstdorf nach Meran lassen sich die Alpen überqueren – auf dem Klassiker E5 mit Komforthotels und Gepäcktransport. Trittsicherheit und gute Kondition sind auch hier notwendig. Zum Beispiel bei Wikinger-Reisen (wikinger-reisen.de) kosten acht Tage mit Übernachtung im Doppelzimmer ab 1765 pro Person.
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von den Veranstaltern Bergbegegnungen und Wandererlebnis. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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