„Gesinnungskontrolle“ oder „Haltung zeigen“? Vorstoß für Lehrer-Meldestellen löst Kontroverse aus
Die Bildungsgewerkschaft GEW hat mit ihrer Forderung nach Meldestellen für Lehrer, die sich im Unterricht demokratiefeindlich äußern, eine politische Auseinandersetzung ausgelöst. Grüne und Linke begrüßten den Vorstoß, AfD und FDP hielten dagegen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hatte vor dem Hintergrund der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz klare Handlungsmöglichkeiten für Schulen im Umgang mit demokratiefeindlichen und rassistischen Äußerungen von Lehrkräften gefordert. „Äußerungen sowie Aufrufe zu Gewalt müssen in jedem Fall konsequent geächtet sowie disziplinar- und strafrechtlich verfolgt werden“, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Es müsse „systematische Beschwerde- und Meldeverfahren, Präventions- und Interventionskonzepte mit definierten Handlungsketten, unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen sowie einen stärkeren Diskriminierungsschutz“ geben, forderte sie. „Lehrkräfte schwören einen Eid auf die Verfassung und haben einen demokratischen Bildungsauftrag, festgeschrieben im Grundgesetz und den Landesschulgesetzen“, betonte Finnern. „Sie verstoßen demnach gegen geltendes Recht, wenn sie sich rechtsextrem, menschenverachtend oder demokratiefeindlich verhalten oder äußern.“
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Götz Frömming, reagierte mit Kritik: „Die Forderungen der GEW laufen auf einen neuen Radikalenerlass wie in den 70er-Jahren hinaus“, sagte er WELT. „Die GEW sollte aus ihrer eigenen Geschichte eigentlich gelernt haben, dass eine politisch einseitige Instrumentalisierung staatlicher Einrichtungen und Behörden mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist.“ Selbstverständlich müssten sich alle Lehrer verfassungskonform und politisch neutral verhalten. „Um das durchzusetzen, braucht es aber keine weiteren Überwachungen und Gesinnungskontrollen an unseren Schulen.“
Auch von der FDP kam Ablehnung. Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Dürr sagte WELT, es sei klar, dass demokratiefeindliche, menschenverachtende und rassistische Äußerungen an den Schulen in Deutschland keinen Platz hätten. Bildungseinrichtungen hätten die Aufgabe, jungen Menschen die Werte von Demokratie und Toleranz zu vermitteln und so die liberale Gesellschaft zu stärken. „Was wir aber nicht brauchen, sind neue Melde- und Beschwerdestellen. Sollten sich einzelne Lehrkräfte nicht an die Regeln halten, müssen die zuständigen Schulleitungen und Vorgesetzten konsequent handeln“, so Dürr. „Allerdings müssen wir sehr vorsichtig sein, durch neue Meldestellen den Meinungskorridor an unseren Bildungsanstalten als Orte des offenen Diskurses nicht zu verengen. Jenseits diskriminierender und verfassungsfeindlicher Aussagen darf die freie Rede nicht durch Selbstzensur oder Angst vor Disziplinarmaßnahmen eingeschränkt werden.“
„Ein Punkt, den es zu diskutieren lohnt“
Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Misbah Khan zeigte sich hingegen offen für die Forderung der Bildungsgewerkschaft: „Die GEW spricht mit ihrer Forderung nach klar definierten Handlungsketten einen Punkt an, den es zu diskutieren lohnt. Schulen und Lehrkräfte sind durch ihren demokratischen Bildungsauftrag eine elementare Säule für unser freiheitlich demokratisches Zusammenleben.“ Umso wichtiger sei es, „dass der Staat klare Wege hat, auf die wenigen Fälle zu reagieren, in denen dieser Auftrag bewusst verletzt oder missbraucht wird, etwa durch rassistische und antisemitische Äußerungen oder einer offenen Unterstützung rechtsextremer Positionen.“
Die Innen- und Rechtspolitikerin der Linke-Fraktion, Clara Bünger, unterstützt den Vorstoß für neue Meldestellen: „In der Schule wird viel vermittelt, aber oft nicht das, worauf es wirklich ankommt“, sagte sie WELT. „Wenn Lehrkräfte die Grundrechte missachten oder ihren Schülern Unwerte wie Rassismus vermitteln, darf das nicht folgenlos bleiben. Deshalb begrüße ich den Vorstoß der GEW, die sich Gedanken macht, wie wir Schulen widerstandsfähiger gegen rechte Einflussnahme machen können.“ Die Grundrechte seien erkämpft worden – von Arbeiterinnen und Arbeitern, von Bürgerrechtsbewegungen, von all denen, die sich gegen Ungleichheit gestellt hätten. „Heute stehen diese Rechte wieder unter Druck. Gerade deshalb müssen Schulen Orte sein, die Haltung zeigen und für alle Schülerinnen und Schüler ein Schutzraum bieten.“ Die Forderungen der GEW seien überfällig. „Es braucht politische Bildung, die erklärt, worauf unser Zusammenleben beruht. Und Strukturen, die eingreifen, wenn diese Rechte verletzt werden – auch durch Lehrkräfte.“
Von Union und SPD waren keine Stellungnahmen zu erhalten.
Claudia Kade ist Politik-Chefin bei WELT.
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