Friedrich Merz schreibt Geschichte – und er hat recht
Friedrich Merz hat in kurzer Zeit einen weiten Weg zurückgelegt. Als Kanzlerkandidat versicherte er Benjamin Netanjahu noch seine uneingeschränkte Solidarität mit dessen Kriegsführung in Gaza. "Wir stützen die israelische Regierung in ihrem Kampf gegen den Terror", sagte der CDU-Chef bei seinem Besuch in Jerusalem im Februar 2024. Kein aber, nichts.
Am Tag nach der Bundestagswahl versprach Merz am Telefon Netanjahu, er würde ihn ungeachtet eines internationalen Haftbefehls in Deutschland empfangen. Am vergangenen Mittwoch dann schimpfte Merz im Kabinett erstmals so über Israels Verantwortung für die humanitäre Lage im Gaza-Streifen, dass es durch die verschlossenen Türen auch nach außen drang. Und an diesem Montag hat Merz deutsch-israelische Geschichte geschrieben.
Friedrich Merz sagt, die zivilen Opfer seien nicht mehr zu rechtfertigen
Nie zuvor hat ein Kanzler öffentlich Israel so deutlich für die Führung eines Krieges zur Selbstverteidigung verurteilt wie Merz auf dem Europaforum des WDR. Auch in die Amtszeiten von Angela Merkel und Olaf Scholz fielen nach Angriffen auf Israel Feldzüge gegen die Hisbollah wie die Hamas mit vielen zivilen Opfern unter den Palästinensern. Merkel und Scholz mahnten Israel stets, die Verhältnismäßigkeit zu wahren – verweigerten aber Festlegungen, ob dies auch geschah.
Friedrich Merz hat sich diese Bewertung jetzt zugetraut. Und er ging dabei sehr weit. Nicht nur bestritt er, dass das Leid der Zivilbevölkerung noch durch den Krieg gegen den Terror zu rechtfertigen sei. Er sprach mindestens mit Blick auf einzelne Aktionen auch öffentlich von einer Verletzung des humanitären Völkerrechts. Das ist eine Zäsur im deutsch-israelischen Verhältnis. Aber ist sie auch richtig?

"Grenzen überschritten" Merz wirft Israel unverhältnismäßige Gewalt vor
Die israelische Armee führt diesen Krieg, weil die Hamas am 7. Oktober 2023 Hunderte Menschen barbarisch überfallen und abgeschlachtet, mehr als 5000 Menschen verletzt sowie mehr als 250 Geiseln verschleppt hat. Viele palästinensische Zivilisten sterben durch israelische Raketen, aber nur weil die Hamas sie als menschliche Schutzschilde missbraucht, weil die Bilder von Tod, Trauer, Not und Elend die Weltöffentlichkeit gegen Israel mobilisieren sollen. Die Hamas könnte diesen Krieg schnell beenden, wenn sie die verbliebenen 58 Geiseln, von denen wohl nur noch etwa 20 am Leben sind, aus ihrer Gewalt freigäbe.
Dem Leid der Palästinenser, das jeden Tag in den Fernsehbildern zu sehen ist, steht das Leid der Geiseln gegenüber, die unsichtbar in irgendwelchen Tunneln vor sich hinvegetieren, misshandelt werden, womöglich sterben; dem Leid der Palästinenser stehen entgegen die Angst und die schlaflosen Nächte der Angehörigen, stehen entgegen die mindestens 400 israelischen Soldaten, die in Gaza gefallen sind.

Meinung Dieses Bild berührt Sie nicht mehr? Dahinter steckt Absicht
Israel hat guten Grund, diesen Krieg gegen den Terror zu führen. Und Friedrich Merz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er zumindest mit seiner Sprache und der Form seiner Kritik weder der Komplexität des Konfliktes, noch der Tragweite seiner Äußerungen wirklich gerecht wird.
So berichtete er von Gesprächen mit Netanjahu, in denen er ihn schon gemahnt haben will: "Übertreibt’s nicht." Übertreibt’s nicht? So lapidar, ja geradezu selbstgefällig von oben herab sollte man weder direkt noch indirekt über einen Krieg und seine schwierigen Abwägungen sprechen, schon gar nicht als Bundeskanzler mit einem israelischen Regierungschef. Und man kann auch fragen, ob ein Podiumsauftritt mit einigen zwar in der Absicht nachvollziehbaren, aber in der Sache nicht sehr präzisen Sätzen aus dem Stegreif der angemessene Ort und die angemessene Form sind für einen so fundamentalen Kurswechsel im deutsch-israelischen Verhältnis.
Zudem muss die Frage erlaubt sein, an wen Merz sich eigentlich richtet: Gilt seine Kritik in erster Linie der israelischen Regierung? Oder fügt sich der Kanzler nur der mutmaßlichen Stimmung in Deutschland, jenem Land, das sechs Millionen Juden ermordet hat und trotzdem seit 80 Jahren in Frieden und seit 60 Jahren in diplomatischen Beziehungen mit Israel leben darf? Kritisiert Merz Netanjahu nur, weil seine eigenen Bürger, die keine Ahnung haben vom israelischen Leben in ständiger Bedrohung, von Existenzangst und Kriegstraumata, vom Leid der Palästinenser in ihrem deutschen Idyll nicht mehr belästigt werden wollen?
Israels Krieg: Die Verhältnismäßigkeit ist nicht mehr gewahrt
Man sieht an all dem, dass wir es uns nicht zu leicht machen sollten mit diesem Konflikt. Und der Kanzler erst recht nicht. Trotzdem bleibt am Ende festzustellen: Merz hat recht mit seiner Kritik. Gerade weil Israel das Selbstverteidigungsrecht in Anspruch nimmt, steht es in der Verpflichtung auch andere internationale Übereinkommen einzuhalten. Gerade weil Terroristen Israel mit einem so brutalen Überfall heimsuchten, sollte das demokratische Israel zeigen, was Respekt vor dem Recht bedeutet.
Der Krieg an sich ist gerechtfertigt, aber Merz hat die entscheidende Frage zurecht gestellt: Wohin soll er eigentlich führen? Der Versuch, die letzten Geiseln zu befreien, ist legitim. Der Versuch, die Hamas zu zerschlagen, ist legitim. Aber die Blockade der Hilfslieferungen und die angekündigte Vertreibung der Zivilbevölkerung stehen in ihrem Ausmaß offenkundig nicht mehr im Einklang mit dem Völkerrecht. Und wenn der Sinn des Krieges nicht mehr vertretbar ist, dann sind es auch seine Mittel nicht. Dann ist die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt.
Was folgt daraus? Donald Trump zeigt wenig Interesse am Konflikt in Gaza, wie immer, wenn etwas nicht so einfach läuft, wie er das will. Die meisten europäischen Staaten haben sich von Israel inzwischen demonstrativ abgewandt. Das wird Deutschland niemals möglich sein, wenn es seine historische Verantwortung ernst nimmt. Es gibt den Satz, dass man zu Israel stehen, die israelische Regierung aber trotzdem kritisieren kann. Merz hat den zweiten Teil ausgereizt wie keiner seiner Vorgänger.
Nun muss er noch den ersten Teil definieren.
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