Der Perrier-Skandal
Mit deutlichen Worten fasst der Untersuchungsausschuss des französischen Senats seine Anhörung zum Skandal um das Mineralwasser Perrier zusammen: „Verschleierung durch den Staat“ und „Fehlurteil auf höchster Ebene“. Der Bericht könnte nicht nur das Ende der Mineralwassersparte Nestlé Waters des Schweizer Lebensmittelriesen einläuten, sondern als Staatsskandal der Macron-Ära in die Annalen eingehen.
Offensichtlich hat der Konzern seine Verbindung zum Elysée-Palast genutzt, um Druck auf die französische Regierung auszuüben, damit er sein Label „Natürliches Mineralwasser“ behält. Das geht aus den vollständigen Unterlagen der Anhörungen des Ausschusses hervor. Danach ist der Elysée-Palast seit mindestens 2022 darüber im Bild gewesen, dass Nestlé in der Produktionsstätte im südfranzösischen Vergèze, wo Perrier sein Quellwasser abfüllt, „seit Jahren trickste“.
Nestlé hatte selbst zugegeben, mit Bakterien, Viren oder Pestiziden verunreinigtes Mineralwasser mit Verfahren zu reinigen, die bei natürlichem Mineralwasser nicht angewendet werden dürfen. Der Skandal begann schon Jahre zuvor, und betroffen sein soll nicht nur Perrier. Ein Whistleblower hatte bereits 2021 behauptet, dass auch die französische Firma Sources Alma ungeeignete Verfahren bei kontaminiertem Mineralwasser einsetze.
Drei Jahre später, Anfang 2024, hatten gemeinsame Recherchen des öffentlichen Radiosenders „France Info“ und der Abendzeitung „Le Monde“ ans Licht gebracht, dass auch Perrier seit mehr als 15 Jahren Verfahren verwendet, die der Gesetzgeber für das kommerziell wichtige Label „Natürliches Mineralwasser“ verbietet. UV- oder Aktivkohlefilter kommen zwar auch bei der Desinfektion von Leitungswasser zum Einsatz, doch das wird nicht für einen 100- bis 400-fach höheren Preis in Flaschen abgefüllt und mit dem Label „natürlich“ verkauft.
Die Regierung war offensichtlich im Bild, sah das aber nicht so streng. Bei Perrier schien sie regelrecht kriminelle Energie zu entwickeln. Aus einem Bericht einer regionalen Gesundheitsbehörde wurden alle mit Namen benannten Verunreinigungen durch Bakterien und Pestizide gestrichen. Auch die Auflistung des gefährlichen Fäkalbakteriums Escherichia coli verschwand.
Am Ende stand im Bericht nur noch, dass 97 Prozent des Quellwassers den Vorschriften entspreche. Was sich hinter den restlichen drei Prozent verbirgt, blieb unklar. Im April 2024 mussten beispielsweise drei Millionen Flaschen Perrier wegen Verseuchung mit dem Kolibakterium entsorgt werden.
Aus Mails zwischen dem Gesundheitsministerium, dem Chef der regionalen Gesundheitsbehörde und dem Präfekten geht hervor, dass die Zensur des Berichts auf Betreiben des Schweizer Konzerns geschehen ist. Als „gefährliche Liebschaften zwischen dem Staat und Nestlé“, bezeichnet der sozialisitische Ausschussvorsitzende Alexandre Ouizille die Einmischung des Élysée-Palasts.
Obwohl fest in Schweizer Hand, wird die Marke Perrier seit ihrer Gründung durch den britischen Unternehmer William Albert St. John Harmsworth mit französischem Lebensstil in Verbindung gebracht. Dem war es 1863 gelungen, das Image des Heilwassers durch das eines alkoholfreien, prickelnden Wasser-Champagners zu ersetzen.
Mit seiner dunkelgrünen, bauchigen Flasche, die bewusst an die des Champagners erinnern sollte, und dank legendärer Werbekampagnen, vom amerikanischen Pop-Künstler Andy Warhol bis zum französischen Stardesigner Philippe Starck, steht Perrier für französische Lebensart und Luxus. Seit 1978 ist die Marke Sponsor des renommierten Pariser Tennisturniers Roland Garros.
Aber vielleicht war es gar nicht die Angst vor einem Imageverlust für Frankreich, die zu den Machenschaften im Élysée führte, sondern jene „gefährlichen Liebschaften“ zwischen Staat und Wirtschaft, von denen der sozialistische Senator Ouizille spricht. Sie begannen 2012, als ein junger Banker von Rothschild für Nestlé einen Milliarden-Deal einfädelte. Sein Name: Emmanuel Macron. Er machte damals den Ankauf des Babynahrungsgeschäfts von Pfizer Nutrition für knapp zwölf Milliarden Dollar und damit die strategische Expansion in ein lukratives Segment für den Schweizer Konzern möglich.
Fünf Jahre zuvor hatte der nicht einmal 30 Jahre alte Finanzbeamte Macron in der „Attali-Kommission“ für Wirtschaftswachstum den Vorstandsvorsitzenden von Nestlé kennengelernt. Der Österreicher Peter Brabeck-Letmathe wurde zwar 2008 abgelöst, war aber bis 2017 Verwaltungsratspräsident des Schweizer Konzerns. Kurz nach dem erfolgreichen Deal wurde Macron Generalsekretär von Präsident François Hollande im Élysée-Palast.
Politischer und Umweltskandal
Dieselbe Rolle hatte bis April dieses Jahres Alexis Kohler inne, der gern als „Macrons zweites Gehirn“ bezeichnet wird. Kohler, der zweimal mit dem Vorstandsvorsitzenden von Nestlé sprach, verweigerte zum Ärger des Senatspräsidenten die Aussage im Untersuchungsausschuss. Der hatte über Monate insgesamt 73 Zeugen befragt, darunter Firmenchefs, Minister und Wissenschaftler. Inzwischen ist Kohler stellvertretender Generalsekretär der Bank Société Générale.
Hinter dem politischen Skandal steht auch ein Umweltskandal. Durch intensive Landwirtschaft und den Klimawandel, der häufiger als zuvor Trockenheit und Starkregen verursacht, entspricht die Qualität des französischen Grundwassers immer seltener den Normen.
In seinen Werken im südfranzösischen Departement Gard (Perrier) und in den Vogesen (Vittel, Contrex, Hépar) hat Nestlé Waters die Genehmigung erhalten, die verbotenen Behandlungen mit UV- und Aktivkohlefilter durch eine Mikrofiltration von 0,2 Mikrometern zu ersetzen, wofür 150 Millionen Euro investiert worden sein sollen. Doch die Präfekten beider Regionen haben diese Form der Desinfektion gerade verboten und den Werken zwei Monate Zeit gegeben, das Verfahren einzustellen.
Wie französische Medien berichten, hat der Ausschuss Anzeige wegen Meineids gegen den Industriedirektor von Nestlé Waters erstattet. Angesichts des Ärgers mit Perrier will sich Nestlé offensichtlich seiner Mineralwassermarken entledigen, obwohl die Gewinnspanne in Frankreich bei knapp 50 Prozent liegen soll, was die Konkurrenz neidisch macht. Anfang Mai meldete die Nachrichtenagentur Reuters, dass ein Verkauf noch in diesem Jahr über die Bühne gehen könne. Es ist die Bank Rothschild, die mit dem Deal beauftragt wurde.
Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.
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