AfD und Linke kennen ihre Rolle im Bundestag, es ist dieselbe wie in der vorangegangenen Wahlperiode in der Zeit der Ampel-Koalition: die der Opposition. Beide Fraktion füllen sie aus, wie sie es bislang getan hatten: scharf, provokant, oft rüpelhaft und mit dem Gefühl: Wir gegen den Rest.

Für die Unionsparteien und die Grünen sind die Rollen neu, lediglich die SPD regiert weiter, wenn auch als Juniorpartner. Und die Regierungsbefragung am Mittwoch im Bundestag zeigte, dass die Grünen den Rollenwechsel offenbar am schnellsten verinnerlicht haben, während sich das schwarz-rote Regierungslager damit noch müht.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) wurde während der Befragung zur Migrationspolitik unnachgiebig von der Grünen-Fraktion in die Zange genommen. Die Abgeordneten von AfD und SPD waren dabei eher Zaungäste, die der Linken längst nicht so angriffslustig. Die Wortgefechte zwischen Dobrindt und den Grünen zeigten die alten Beißreflexe zwischen dem CSU-Mann und der grünen Partei – und ungewohnte Positionen auf beiden Seiten. Dobrindt verwies auf Maßnahmen seiner Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD), die ausgebaut würden. Und die Grünen äußerten auf einmal Sorge um einen Bereich, der nicht zu ihren üblichen Kernthemen gehört.

Dass das Zusammenspiel zwischen Union und SPD noch nicht optimal klappt, wurde zum Auftakt der Befragung deutlich. Acht Minuten hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) den an diesem Tag befragten Ministern Dobrindt und seiner Kabinettskollegin, Bauministerin Verena Hubertz (SPD), insgesamt für deren Auftaktstatements eingeräumt.

Dobrindt redete und redete und redete … am Ende blieben für Hubertz noch gut zwei Minuten. „Wir hätten gerne noch mehr von Ihnen gehört, Frau Hubertz. Hoffentlich ist das hier kein Vorbote für die künftige Zusammenarbeit in dieser Koalition“, spottete die Grünen-Abgeordnete Hanna Steinmüller. Und das war erst der Anfang des Schlagabtauschs.

Zuerst verhakelten sich Dobrindt und der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Marcel Emmerich. Dobrindt hatte am 7. Mai Zurückweisungen auch von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen ausdrücklich erlaubt. Inzwischen werden von der Bundespolizei auch Menschen zurückgewiesen, die ein Schutzgesuch äußern. Die Ampel-Koalition hatte ein solches Vorgehen mit Verweis auf das europäische Recht abgelehnt.

Dobrindt will damit die von der Union versprochene „Wende in der Migrationspolitik“, liefern, die illegale Zuwanderung weitgehend stoppen. „Auf welcher gesetzlichen Grundlage eigentlich?“, wollte Emmerich wissen. „Ist das jetzt Rechtsbruch mit oder ohne Rechtsgrundlage?“, stichelte der Grünen-Innenpolitiker. Inzwischen war Dobrindt auf Betriebstemperatur.

Der CSU-Mann müsste sich eigentlich wieder daran gewöhnen, vom Angriffsmodus der Opposition in die Defensivhaltung des Ministers umzuschalten. Nun, von den Grünen gereizt, schaltete Dobrindt aber auf Attacke. „Danke für die erwartbare Frage“, gab er zurück und berief sich auf Artikel 18 Absatz 2 des Asylgesetzes. „Warum haben Sie meine PK (Pressekonferenz, d. Red.) dazu nicht angeschaut, das wäre interessant gewesen?“ Da habe er die Rechtsgrundlage klar genannt. Aber Emmerich könne das mit den Details ja „noch nachholen“. „Die Rechtsgrundlage ist nachvollziehbar, wenn man bereit ist, zuzuhören.“

Doch Emmerich hatte dazu offenbar keine Lust, er hatte weitere Fragen. Warum der Minister die Zurückweisungen auf Basis einer nationalen Notlage vornehme? Und dass das Zugrundlegen einer solchen Notlage wohl eine „Einzelmeinung“ Dobrindts sei, da es von „anderen Kabinettsmitgliedern andere Aussagen“ gebe.

Die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat legte nach, wollte wissen, warum man an den Bundesgrenzen auch sogenannte vulnerable Gruppen, also Menschen mit Behinderung, Opfer von Folter oder Minderjährige, zurückweise. Dobrindt, inzwischen gereizt, erklärte, dass sich niemand auf eine „nationale Notlage“ berufe, sondern auf nationales Recht, und dass die Bundespolizei „in verantwortungsvoller Weise“ ihren Job mache.

„Wir sind dabei, nachzuholen, was Sie versäumt haben“

Und die Sozialdemokraten derweil? Mogelten sich um das Thema Migration in der Befragung weitgehend herum. Zwar hielten sich die SPD-Abgeordneten mit Beifall bei Redebeiträgen des Koalitionspartners sichtbar zurück. Meist applaudierte nur der Erste Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese – wenn überhaupt. Aber den Innenminister in die Mangel zu nehmen, konnten die Sozialdemokraten natürlich aufgrund der Koalitionsdisziplin nicht.

Dabei lehnen viele Mitglieder der Fraktion den Migrationskurs der Union ebenso ab, wie es die Grünen, die Linke oder die AfD tun. Letztere freilich nur, weil sie CDU und CSU des Ideenklaus bezichtigt und ohnehin nahezu jede parlamentarische Maßnahme der Union kritisiert. Die SPD-Abgeordneten verlegten sich also darauf, die Union bei der Befragung weitgehend auszublenden und der Bauministerin aus der eigenen Partei harmlose Fragen zu stellen. Ganz so, als wäre das Bauressort neu im Portfolio der Partei. Die Amtsvorgängerin von Verena Hubertz war Klara Geywitz – eine Sozialdemokratin.

Die Grünen müssen dagegen keine Rücksicht nehmen. Sie hatten auch sichtbar Spaß daran, zu sehen, wie sich der frühere Koalitionspartner SPD beim Thema Migration windet, weil die Partei nun Beschlüsse zu einer Verschärfung mittragen muss, die sie vor nicht allzu langer Zeit abgelehnt hatte. Und die Grünen gingen voll in die Bütt, weil der Konflikt mit der CSU, vor allem mit Dobrindt, lange zurückreicht.

Wie er denn die Cybersicherheit erhöhen wolle, eröffnete der Grünen-Politiker Konstantin von Notz ein neues Konfliktfeld. „Es war die Ampel, die es nicht geschafft hat, das Kritis-Dachgesetz durchzusetzen“, gab Dobrindt statt einer Antwort zurück. Dieses Gesetz soll den Schutz der kritischen Infrastruktur regeln. „Wir sind dabei, nachzuholen, was Sie versäumt haben“, so Dobrindt.

Die Grünen-Abgeordnete Sandra Detzer wollte vom Innenminister wissen, wie er Schaden für die deutsche Wirtschaft durch die Grenzkontrollen abwenden wolle. Seit wann sich denn die Grünen für die Probleme der Wirtschaft interessierten, gab Dobrindt zurück. „Nach drei Jahren Rezession ist Ihnen nichts anderes eingefallen, als die Ampel zum Platzen zu bringen.“

Und die Grenzkontrollen seien von der SPD-Innenministerin Faeser eingeführt worden, so Dobrindt. Von Notz mokierte sich: „Dass Sie nun in dieser Regierungsbefragung sagen, Sie machen bei den Grenzkontrollen nichts anders als Ihre Amtsvorgängerin, ist schon lustig.“

Nikolaus Doll berichtet für WELT seit Jahren über die Unionsparteien.

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