Seit Dienstag hat die israelische Luftwaffe ihre Bombenangriffe auf den Gaza-Streifen verstärkt. Vor allem der Norden der Exklave wurde zum Ziel von Luftschlägen. Am Donnerstag traf es dann auch die Stadt Khan Yunis im Süden. Angaben des israelischen Militärs zufolge wurden insgesamt über 150 „Terrorziele“ angegriffen. Dazu zählten demnach Abschussrampen für Panzerabwehrraketen und Gebäude, die die Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen für Angriffe nutzten.

Palästinensische Medien sprachen von 100 Getöteten und Vermissten. Allein bei den Luftschlägen in Khan Yunis sollen weit über 50 Menschen ums Leben gekommen sein.

Was will Israel mit dieser jüngsten Welle von Luftangriffen erreichen? Zum einen kann sie als Vorbereitung einer schon vor Wochen angekündigten Bodenoffensive interpretiert werden. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hatte neue Operationen bei einem Treffen mit israelischen Reservisten am Dienstag bestätigt.

„In den nächsten Tagen wird sich in Gaza einiges tun“, sagte der Regierungschef während des eineinhalbstündigen Treffens gegenüber Soldaten. Ziel sei „die Zerstörung der Terrororganisation Hamas und die Befreiung all unserer Geiseln. Das geht Hand in Hand.“ Dabei werde er mit „voller Kraft reingehen und nichts von der Hamas stehen lassen“. Weder die Freilassung von Geiseln, noch eine Waffenruhe könnten ihn davon abbringen.

Dazu passt, dass Israel bei den Verhandlungen über die von der Hamas verschleppten Geiseln nur eine Kapitulation der Terrororganisation akzeptiert, bei gleichzeitiger Rückgabe aller 58 lebenden und toten Geiseln. Jerusalem sieht das als Voraussetzung für ein Ende des Kriegs. Die Hamas hatte jüngst einen von den USA unterstützten Vorschlag abgelehnt, der die Freilassung der Hälfte der noch lebenden Geiseln am ersten Tag eines Waffenstillstands und anschließende Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs vorgesehen hatte.

Ungewisse Zukunft des Gaza-Streifens

Angesichts der fortgesetzten Kampfhandlungen stehen weiterhin Fragen über die Zukunft des Gaza-Streifens im Raum. „Unsere Streitkräfte sind bereits vor Ort“, sagte Netanjahu. Der Premierminister rechnet damit, dass mehr als die Hälfte der rund zwei Millionen Palästinenser den Gaza-Streifen verlassen wollen. Noch gäbe es Probleme mit möglichen Aufnahmeländern. Aber man arbeite daran.

Diese Aussagen dürften bei vielen Palästinensern Erinnerungen an Flucht und Vertreibung während des Kriegs nach der Staatsgründung Israels 1948 und des Sechstagekriegs 1967 auslösen. Damals wie heute hatte sich Israel gegen die feindlichen Angriffe arabischer Staaten verteidigt, für Hunderttausende Palästinenser bedeutete es, dauerhaft aus ihrer Heimat vertrieben zu werden.

Netanjahus Plan für die Zukunft des Gaza-Streifens entspricht der Vision von Donald Trump, der ihn in ein Ferien-Eldorado am Mittelmeer verwandeln will. Wie sich der US-Präsident dies vorstellt, hatte ein mithilfe von Künstlicher Intelligenz generiertes Video vor wenigen Monaten unterstrichen.

Seine Absicht, den Gaza-Streifen „einzunehmen“ und in eine „Freiheitszone“ zu verwandeln, bekräftigte Trump erneut bei seiner am Freitag zu Ende gegangen viertägigen Tour durch die Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE). „Ich wäre stolz darauf, wenn die USA [den Gaza-Streifen, d. Red.] bekommen, einnehmen, zu einer Freiheitszone machen“, sagte der US-Präsident in Katar und lobte das Vorgehen als „sehr gutes Konzept“.

Über die Zukunft des Gaza-Streifens sind sich Trump und Netanjahu also einig – in anderen Bereichen scheint es dagegen Unstimmigkeiten zu geben. So dürften die jüngsten Kommentare des US-Präsidenten und seines Außenministers Marco Rubio über die Situation in Gaza in Jerusalem nicht gut angekommen sein. „Eine schreckliche Krise in Gaza, sehr viele Menschen sind am Verhungern“, sagte Trump am Freitag vor Journalisten in Abu Dhabi. „Wir sind beunruhigt über die humanitäre Situation dort“, sagte auch Rubio gegenüber Reportern. Dabei haben israelische Vertreter stets bestritten, die seit dem zweiten März verhängte Blockade würde Hunger verursachen.

Milliarden-Geschäfte im Nahen Osten

Überhaupt sorgte es bei manchen Beobachtern für Verwunderung, dass Trump seine Nahost-Reise – anders als in seiner ersten Amtszeit – nicht mit einer Station in Israel verbunden hat. Wenn man schon in der Nachbarschaft unterwegs ist, kann man schließlich auch einen engen Verbündeten besuchen.

Trumps Entscheidung könnte mit seiner merkantilen Gesinnung zusammenhängen: Der Republikaner hat bei seiner viertägigen Reise Milliardenschwere Verträge in Saudi-Arabien, Katar und den UAE abgeschlossen. Saudi-Arabien sagte Investitionen in den USA in Höhe von 600 Milliarden Dollar zu. Mit Katar einigten sich die USA nach Angaben des Weißen Hauses auf einen „wirtschaftlichen Austausch“ im Wert von mindestens 1,2 Billionen Dollar sowie Wirtschaftsdeals im Wert von mehr als 240 Milliarden Dollar. Trump sprach in Doha unter anderem von einem Deal der Fluggesellschaft Qatar Airways mit dem US-Flugzeugbauer Boeing im Umfang von „mehr als 200 Milliarden Dollar“, das Weiße Haus bezifferte ihn auf 96 Milliarden Dollar.

Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen in den kommenden zehn Jahren 1,4 Billionen Dollar in den USA investieren. Er habe den USA „innerhalb von nur vier oder fünf Tagen 3,5 bis vier Billionen Dollar eingebracht“, so Trump. Und auch persönlich könnte er profitieren: Katar will der US-Regierung eine Maschine vom Typ Boeing 747 schenken, die zur Präsidentenmaschine „Air Force One“ für Trump umgerüstet werden soll. Das Vorhaben löste Empörung aus, Demokraten sprachen etwa von „blanker Korruption“.

Die Kauflaune der Könige und Emire am Golf kommt nicht von ungefähr. Seit Jahren ist die Trump-Familie am Golf geschäftlich tätig. Bereits kurz nach dem Ende von Trumps erster Amtszeit gründete sein Schwiegersohn Jared Kushner eine Private-Equity-Firma und erhielt aus Saudi-Arabien Investitionen in Höhe von zwei Milliarden Dollar. In Djidda soll unter anderem ein Trump Tower und ein Trump Hotel gebaut werden, in Katar ein Luxus-Golf-Resort. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben angekündigt, zwei Milliarden Dollar in den Stablecoin zu investieren, den Trumps Kryptowährung-Firma World Liberty Financial erst im März lanciert hatte.

Inhaltliche Differenzen

Israel kann dabei nicht mithalten. Der jüdische Staat ist geschäftlich bei Weitem nicht so attraktiv. In der Denkweise Trumps kostet Israel nur. Schließlich erhält es von den USA seit Jahrzehnten Militärhilfe. Bis 2028 soll Washington dafür jährlich 3,8 Milliarden Dollar ausgeben. Seit Beginn des durch die Hamas-Massaker vom 7. Oktober ausgelösten Gaza-Kriegs am 7. Oktober 2023 wurde jedoch weit mehr bezahlt: Israel erhielt Schätzungen zufolge Militärhilfen in Höhe von 12,5 bis 17,9 Milliarden Dollar.

Dies dürfte aber nicht in erster Linie der Ursprung der Unstimmigkeiten sein. Diese sind vor allem inhaltlicher Natur. Die Trump-Administration verhandelt derzeit im Alleingang mit dem Iran, den Huthis im Jemen und dem syrischen Präsidenten, oft ohne die israelische Regierung einzubinden und ihre Interessen zu berücksichtigen.

Dabei geht es aus der Sicht Jerusalems um das Überleben des jüdischen Staats. So soll Israel nicht über den zwischen den USA und der Huthi-Miliz vereinbarten Waffenstillstand informiert gewesen sein. Jerusalem war auch gegen die von Trump überraschend in Saudi-Arabien verkündete Aufhebung aller Syrien-Sanktionen. Und am Donnerstag gab Trump bekannt, dass man kurz vor dem Abschluss eines Atomabkommens mit dem Iran stehe. „Wir verhandeln sehr ernsthaft mit dem Iran über einen langfristigen Frieden“, sagte Trump auf einer Reise durch die Golfregion.

Dass der Iran dabei möglicherweise weiter Uran für die zivile Nutzung und mit niedrigen Werten anreichern darf, wird Israel nicht begeistern. Netanjahu würde am liebsten die Atomanlagen Teherans in Schutt und Asche bomben. Es war die Trump-Regierung, die ihn davor bisher abgehalten hat.

Alfred Hackensberger hat seit 2009 aus mehr als einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten im Auftrag von WELT berichtet. Vorwiegend aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, wie Libyen, Syrien, dem Irak und Afghanistan, zuletzt aber auch aus Bergkarabach und der Ukraine.

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