Elitenmonitor soll Bewusstsein für Führungsqualitäten Ostdeutscher stärken
Inhalt des Artikels:
- Was wird mit dem Elitenmonitor festgehalten?
- Wie wichtig ist die Sichtbarkeit Ostdeutscher für das gesamte System?
- Warum haben es Ostdeutsche noch heute schwerer in Führungspositionen zu kommen?
- In welchen Bereichen sind Ostdeutsche besonders benachteiligt?
- Ohne eine bewusste Förderung Ostdeutscher wird sich also nichts ändern?
- Wie könnten Ostdeutsche selber mehr Druck machen?
- Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Präsenz Ostdeutscher in Spitzenpositionen und dem Wahlverhalten?
Was wird mit dem Elitenmonitor festgehalten?
Astrid Lorenz: Der Elitenmonitor ist ein Forschungsprojekt, das von der Bundesregierung gefördert wird. Seit 2018 untersuchen wir die personelle Besetzung der absoluten Spitzenpositionen in Wirtschaft, Gesellschaft, Justiz, Politik und verschiedenen anderen Sektoren. Wir erfassen, wo die Menschen geboren sind, die diese Positionen ausfüllen. Wir befragen sie zu ihren Erfahrungen mit dem Aufstieg und zu ihrem Blick auf das Thema. Daneben führen wir auch Interviews mit Personen, die bei der Rekrutierung von Spitzenpersonal einbezogen sind, um noch mehr darüber herauszufinden, wie diese Prozesse laufen.
"Eliten" ist in der Soziologie ein ganz neutraler Begriff. Das sind für uns die Inhaber von den absolut höchsten Positionen, die es im System gibt. Damit ist nicht unbedingt verbunden, dass die Personen die besten oder geeignetsten sind. Das muss man dann immer noch zusätzlich erforschen. Es handelt sich pro Erhebungswelle um ungefähr 3.000 Spitzenpositionen, die näher betrachtet werden.
Wie wichtig ist die Sichtbarkeit Ostdeutscher für das gesamte System?
Die Sichtbarkeit ist in verschiedener Hinsicht wichtig. Zum einen inhaltlich, dass Informationen zu Besonderheiten von Ostdeutschland besser in den politischen Prozess eingebracht werden können, als wenn es keine Ostdeutschen da gäbe. Sie ist auch symbolisch wichtig: dass man sieht, da sind welche von uns, mit denen man sich identifizieren kann. Wo die Repräsentation niedriger ist, haben die Menschen auch weniger Verbindungen zu Machtpositionen. Es fehlt dann, dass man im Familien- oder Freundeskreis Bekannte oder Verwandte in wichtigen Positionen hat und darüber redet. Dadurch ist die Verbindung zum System etwas schwächer ausgeprägt; sie ist nicht so persönlich und emotional. Man hat dann weniger das Gefühl, dass man auch selber Macht ausüben könnte.
Warum haben es Ostdeutsche noch heute schwerer in Führungspositionen zu kommen?
Sehr viele Menschen, die wir befragt haben, glauben, dass das an den Besonderheiten der 1990er-Jahre und der Wendezeit liegt. Das sagen auch Menschen in Spitzenpositionen. Da ist auch viel dran. Damals ist die Wirtschaft zusammengebrochen, die politischen Strukturen haben sich geändert, viele Positionen wurden bewusst neu besetzt. Das war auch von Ostdeutschen gewünscht. Es gab einen Elitentransfer. Führungspersonen sind aus West- nach Ostdeutschland gekommen und haben auch gleich Mitarbeiter mitgebracht, die ihnen geeignet schienen. Davon hat Ostdeutschland sehr profitiert. Aber das hat auch dazu geführt, dass Sprungbrett-Positionen, auf denen man sich für einen weiteren Aufstieg in die Eliten qualifizieren kann, mit Westdeutschen besetzt waren. Das hat sich in den nächsten Generationen fortgesetzt.
In welchen Bereichen sind Ostdeutsche besonders benachteiligt?
Bei Bereichen, die laufbahnbezogen funktionieren, wie Militär, Justiz oder auch Verwaltung, ist es schwieriger für Ostdeutsche, in Spitzenpositionen zu kommen. Sind dort einmal Westdeutsche drin, dann rücken sie in der Laufbahn weiter. Dann müssen Ostdeutsche dahinter, also nach ihnen, anfangen. Das ist in der Politik, bei Gewerkschaften oder gesellschaftlichen Organisationen nicht so stark ausgeprägt. Da ist das System durchlässiger.
Im Bereich Wirtschaft spielt es eine große Rolle, dass viele Großunternehmen ihren Hauptsitz in Westdeutschland haben und dort die Sprungbrett-Positionen sind, um aufzusteigen. Das ist auch bei Bundesbehörden so, die großen sind nicht in Ostdeutschland oder nur schwach vertreten. Ostdeutsche müssen noch immer in vielen Sektoren weggehen, um Stellen zu besetzen, die eine höhere Laufbahn ermöglichen könnten. Ein wichtiger Punkt ist auch der Zugang zu Netzwerken, das heißt, Personen, die einen unterstützen können. In der Wirtschaft spricht man hier auch von "Sponsoren". Das sind Menschen, die den Zugang zu bestimmten Kreisen ermöglichen können.
Warum sind keine Ostdeutschen in der Militär-Elite?
Inhaber von Spitzenpositionen in der NVA wurden in den 1990er-Jahren aussortiert oder im Rang heruntergestuft. Wer heute in Spitzenpositionen im Militär sein könnte, muss danach im Grunde neu angefangen haben. Dabei ist es ein langer Laufbahnweg. Man muss verschiedenste Stationen durchlaufen haben, damit man sich empfiehlt für immer weitere Stufen bis zur Spitzenposition. Hier ist das Potenzial an Personen, die diese Spitzenposition einnehmen könnten, heute noch gar nicht so groß. Die müssten alle in den 1990er-Jahren angefangen haben. Wenn alles gut läuft, sollte sich das demnächst aber ändern.
Wie ist der Zugang Ostdeutscher zu politischen Schlüsselfunktionen?
In der Politik muss man sich vor allen Dingen immer Wahlen stellen, bewähren und Zustimmung von anderen bekommen. Deshalb ist die Dynamik bei Spitzenpositionen hier größer. Da haben dann auch Ostdeutsche eher eine Chance, aufzusteigen. Die Politik ist hier eigentlich ein Vorreiter, zumindest auf Landesebene, was die Integration Ostdeutscher betrifft.
Auf der Bundesebene ist der Anteil der Ostdeutschen noch deutlich unter dem Bevölkerungsanteil. In der neuen Bundesregierung um Friedrich Merz liegt der Anteil Ostdeutscher in den Spitzenpositionen der unionsgeführten Häuser bei 15 Prozent, bei SPD- geführten Häusern bei 13 Prozent. Bei der Union wurde das eher durch Staatssekretärsposten geschafft, diese 15 Prozent zu erreichen. Bei der SPD stiegen Ostdeutsche höher ein, besetzten mehr Ministerposten, haben aber die für Ostdeutschland vielleicht für die breite Öffentlichkeit etwas weniger attraktiven Themen, so Umwelt und internationale Zusammenarbeit, während bei den unionsgeführten Häusern Digitales, Verkehr, Wirtschaft schon Themen sind, die viele direkt betreffen, wo es auch ostdeutsche Besonderheiten gibt. Bei der Besetzung der neuen Bundesregierung habe ich bestätigt gesehen, dass es kein Automatismus ist, dass Ostdeutsche gemäß ihrem Bevölkerungsanteil zum Zuge kommen. Alle versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Letztendlich sind auf Ministeriumsebene Ostdeutsche genauso stark vertreten wie in der alten Bundesregierung, nicht mehr.
Ohne eine bewusste Förderung Ostdeutscher wird sich also nichts ändern?
Es braucht eine Änderung des Bewusstseins, dass man sieht, es gibt unterschiedliche Startbedingungen. Bei gleicher Eignung, Leistung und Befähigung ist es schwieriger für Ostdeutsche aufzusteigen. Es gibt die sogenannte gläserne Decke, wo man dann nicht weiterkommt. Das betrifft nicht nur die unterschiedlichen Werdegänge vor 1989 und die Brüche in den 1990er-Jahren, die dazu führen. Es gibt auch für die jüngere Generation unsichtbare Karrierehemmnisse, die vielen nicht so bewusst sind. Ein Beispiel ist, dass viele Universitäten, die besonders angesehen sind, wo es also attraktiv ist, wenn Bewerber dort studiert haben, eben nicht im Osten angesiedelt sind. Auch dass Großunternehmen fehlen, spielt hier eine Rolle. Man kann sich nicht vor Ort in Positionen mit hoher Etat- und Personalverantwortung hocharbeiten. Das muss man einfach immer wieder bekannt machen und dann hoffen, dass sich etwas ändert am Rekrutierungsverhalten.
Ich beobachte schon ein Umdenken, auch einen stärkeren Druck aus Ostdeutschland. In der Gesellschaft und auch in der Politik gibt es immer mehr Stimmen zu diesem Thema, so dass es immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist auch wichtig, dass das Thema nicht nur von oben, also staatlich gesetzt wird, sondern es auch von Menschen in verschiedensten Bereichen immer wieder selbst gesetzt wird. Mehr Menschen wollen sich die schlechtere Vertretung in Spitzenpositionen nicht mehr bieten lassen. Dinge fordern allein reicht aber nicht. Man wird vielleicht stärker dafür sorgen müssen, dass Ostdeutsche auch an Positionen kommen, die Sprungbretter in die eigentliche Elite sein können. Sie müssen vorbereitet werden, solche Positionen einzunehmen.
Es hat mich überrascht, dass nach so langer Zeit der Anteil Ostdeutscher in Spitzenpositionen in so vielen Sektoren noch einstellig oder deutlich unter dem Bevölkerungsanteil ist. Insofern können wir mit dem Elitenmonitor vielleicht dazu beigetragen, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten und auch in den nächsten Jahren noch mehr bewirken.
Wie könnten Ostdeutsche selber mehr Druck machen?
Es könnte hilfreich sein, wenn Ostdeutsche sich mehr organisieren, sich zum Beispiel in Parteien engagieren, um über diese Druck zu machen. In Ostdeutschland ist der Anteil der Parteimitglieder sehr viel geringer als in Westdeutschland. Dann hat man auch auf Parteitagen weniger Masse, um für die eigenen Interessen einzutreten. Das betrifft auch andere Interessenorganisationen. Ostdeutsche sind auch selber weiter gefragt, für ihre Themen einzustehen. Ostdeutsche können auch Jüngere in ihren Karrieren fördern, darauf schauen, dass sie sich um Stipendien bewerben, um in Leistungsnetzwerke zu kommen.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Präsenz Ostdeutscher in Spitzenpositionen und dem Wahlverhalten?
Ein direkter Zusammenhang zum Wahlverhalten lässt sich schwer nachweisen. Aber Befragungen zeigen, dass Menschen, die eine Unterrepräsentation wahrnehmen, auch eher unzufrieden sind mit der Funktionsweise der Demokratie. Dass sie eher den Eindruck haben, dass sie schlechter behandelt werden, also "Bürger zweiter Klasse" sind. Wir wissen auch aus vielen anderen empirischen Untersuchungen, dass genau das Faktoren sind, die dazu führen können, dass man Protest wählt oder vielleicht gar nicht wählt.
MDR (cbr)
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