Erneut erlebt Syrien nach dem Sturz der Assad-Diktatur im vergangenen Dezember einen historischen Tag. Als US-Präsident Donald Trump am Dienstagabend in Riad verkündet, er wolle die Sanktionen gegen Syrien aufheben, steht vor ihm der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman auf und applaudiert. Zur gleichen Zeit ziehen überall in Syrien jubelnde Menschen über die Straßen. Der Wirtschaftsminister in Damaskus, Mohammad Nidal al-Shaar, begrüßt die US-Entscheidung live im Fernsehen – mit Tränen in den Augen.

Für einen Neustart des kriegszerstörten Landes hatten sich die neuen Machthaber in Damaskus seit Monaten um die Aufhebung der Sanktionen bemüht. Seit den späten 1970er-Jahren unterliegt das Land Sanktionen, sie haben sich in Jahrzehnten aufgeschichtet. Die vor einem halben Jahr gestürzte Diktatur der Assad-Familie unterstützte Terrormilizen wie die Hisbollah im Libanon über Jahrzehnte – zeitweise sogar Al-Qaida im Irak, sie griff ohne Zustimmung der internationalen Gemeinschaft tief im Libanon ein. Im Laufe des Arabischen Frühlings schlug sie Aufstände mit Fassbomben, Folter und Chemiewaffen nieder.

Mit Trumps Ankündigung, die der neuen Regierung unter Machthaber Ahmed al-Scharaa einen großen Vertrauensvorschuss gibt, deutet sich eine historische Zäsur an – vor allem wegen ihrer Signalwirkung.

Zwar hatten in den vergangenen Monaten viele europäische Länder ihre Syrien-Sanktionen bereits teilweise aufgehoben. Dennoch meiden Unternehmen und Finanzinstitute das Land prinzipiell weiterhin – aus Sorge vor US-Sekundärsanktionen. Karam Shaar, Hauptwirtschaftsberater der UN für Syrien sagt, die klare Ansage des US-Präsidenten sei „der beste Weg, um die psychologischen Aspekte der Sanktionen anzugehen“.

Bis die Ankündigung Trumps umgesetzt ist, dürfte es allerdings noch dauern. UN-Berater Shaar zufolge unterliegt Syrien einem umfassenden Sanktionsregime, das sowohl von der Exekutive als auch von der Legislative in den USA beschlossen wurde. Trump könne nun die Sanktionen der Exekutive rückgängig machen und die der Legislative aussetzen, bis der Kongress sie abschafft.

Aufgrund seiner dschihadistischen Vergangenheit steht Scharaa selbst aber weiterhin unter UN-Sanktionen. Nur der Sicherheitsrat kann sie aufheben. Mit Trumps jüngster Ankündigung stünde für Damaskus dennoch der Weg für einen Neustart frei, sagt Shaar – den braucht das Land dringend.

Die Sanktionen waren zwar darauf ausgerichtet, dem Regime in Damaskus zu schaden, doch letztlich musste die Bevölkerung die Folgen mittragen. Während des 14-jährigen Bürgerkriegs in Syrien zerbombte Assads Armee die Infrastruktur und trieb die Wirtschaft in den Ruin. Schließlich setzte er im Inland auf Plünderungen und Beutewirtschaft. Im Ausland auf Drogenexporte und auf Unterstützung aus Iran und Russland.

Laut UN-Zahlen schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt des Landes zwischen 2011 und 2024 auf ein Viertel dessen, was es vor dem Krieg gewesen war. Neun von zehn Syrern rutschen unter die Armutsgrenze. Die Währung büßte 99,7 Prozent an Wert ein. Selbst in der Hauptstadt Damaskus haben Menschen weniger als eine Stunde Strom pro Tag. Investoren, Unternehmen und Universitäten mieden das Land.



Dann setzte die Rebellenallianz um Ahmed al-Scharaa der Assad-Diktatur im vergangenen Dezember ein Ende, Scharaa ließ sich zum Übergangspräsidenten ernennen. Er versprach ein neues Land, das statt Terror und Flüchtlinge regionale Stabilität ausstrahlen sollte. Das neue Syrien solle die Lasten der alten Diktatur nicht tragen, argumentierte er. Der Golfstaat Katar versprach umgehend finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau, doch die US-Sanktionen standen im Wege. Auch Syriens staatlicher Finanzsektor unterliegt Sanktion.

Scharaa startete eine diplomatische Charmeoffensive, um Verbündete im Ausland für seine Vision zu gewinnen. Dabei musste er Interessen Dohas, Ankaras, Riads und Jerusalems in der Waage halten. Eine nahezu unmöglicher Balanceakt – wäre da nicht sein Versprechen von regionaler Stabilität nach dem Kollaps der iranischen Achse im Nahen Osten, an dem alle Akteure in der Region interessiert sind.

Dafür setzt Syriens Übergangspräsident vor allem auf ein arabisches Land, das Assad nur vier Wochen vor seinem Sturz besucht hatte. Ein Land, in dem Scharaa selbst geboren wurde, wo er seine ersten Lebensjahre verbrachte: Saudi-Arabien. Der dortige Machthaber, Kronprinz Mohammed bin Salman, hat beste Beziehungen zum US-Präsidenten und haben untereinander Milliarden-Deals für Investitionen vereinbart. „Alles, was ich für den Prinzen tue“, so kommentierte Trump seine Entscheidung in Riad.

Die iranische Achse überwinden

Diese strategische Möglichkeit hatte Syriens neuer Machthaber offenbar lange vorbereitet. Bereits wenige Wochen nach dem Sturz Assads gab er einem saudischen Sender sein erstes Interview und redete über seine Kindheit. „Ich verspüre eine Sehnsucht nach Saudi-Arabien“, sagte er dabei. Seine erste Auslandsreise als Interimspräsident unternahm er im Februar nach Riad und traf dort den saudischen Kornprinzen. Seitdem kursieren Gerüchte über ein mögliches Treffen zwischen Trump und Scharaa auf der Nahostreise des US-Präsidenten. Die drei Männer eint der Wunsch, die iranische Achse im Nahen Osten zu überwinden.

So reibungslos wie die Außenpolitik Scharaas läuft es im eigenen Land allerdings nicht. Seit seiner Machtübernahme kam es zu Gewaltausbrüchen in Syrien. Scharaas Truppen stehen unter dem Verdacht, selbst an Massakern gegen die alawitische Minderheit beteiligt gewesen zu sein. Israel fürchtet einen zunehmenden Einfluss von Sharaa und der mit ihm verbündeten Türkei im Land und rückte mit Truppen in Syrien vor.

Seit dem Sturz Assads flog die israelische Armee hunderte Einsätze im Land. Als Warnung schlug einmal eine Rakete direkt neben Scharaas Palast ein, den der israelische Außenminister noch im März als „Dschihadisten im Anzug“ bezeichnete. Wie die Nachrichtenagentur AP nun meldete, hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu bei einem Besuch in Washington vor einem Monat noch versucht, den US-Präsidenten von einem Ende der Sanktionen abzubringen.

Doch der frühere Dschihadist setzte weiterhin auf Diplomatie, reiste in die arabischen Hauptstädte und nach Paris und versicherte, dass Syrien seine Chemiewaffendepots zerstören wolle und keine Anschläge von syrischem Boden aus dulden werde. Um den brüchigen Frieden im eigenen Land zu wahren, verzögerte Scharaa den Aufbau demokratischer Strukturen sowie die Bestrafung festgenommener ehemaliger Mitglieder des Assad-Regimes.

Außenpolitisch signalisierte Syriens Präsident auch Israel Friedensbereitschaft und machte den USA wirtschaftliche Angebote. Dabei geht es nicht nur um Wiederaufbau und das Angebot an US-Firmen, Öl und Gas in Syrien zu fördern, sondern Medienberichten zufolge auch um einen Trump Tower in Damaskus. Am Ende trug seine Strategie Früchte: An diesem Mittwoch kam es zu einem Vierer-Treffen der Staatschefs der USA, Syriens, Saudi-Arabiens und der Türkei in Riad, Präsident Erdogan wurde per Video zugeschaltet.

US-Regierungssprecherin Karoline Leavitt zufolge stellte Trump im Treffen die Erwartung, dass der syrische Übergangspräsident die Rückkehr des Islamischen Staates (IS) in Syrien verhindert und die derzeit unter kurdischer Verantwortung inhaftierten Mitglieder der Terrororganisation unter seine Kontrolle bringt. Tatsächlich bekämpft Scharaa den IS bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Sharaa selbst war allerdings früher Chef eines syrischen Ablegers von Al-Qaida. Dass die USA auf ihn im Kampf gegen den Terror setzen, ist historisch einmalig.

Darüber hinaus forderte Trump Scharaa auf, die diplomatischen Beziehungen mit Israel zu normalisieren und die Abraham-Abkommen zu unterzeichnen. Nun wird Scharaa die hohen Erwartungen erfüllen müssen. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte Sky News Arabia, eine weitere Öffnung Washingtons gegenüber Damaskus werde vom Verhalten der neuen Regierung abhängen. Syriens Präsident wollte sich am Mittwochabend in einer Rede an seine Bevölkerung wenden. In ihr könnte er eine Zeitenwende im Nahen Osten ausrufen.

Amin Al Magrebi ist Volontär bei WELT. Seine Stammredaktion ist Business Insider.

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