Dass Erdoğan die Kurden fürchtet und verabscheut, ist bekannt. PKK-Auflösung hin oder her. Aber, wieso noch gleich? Und überhaupt: Wer sind die Kurden eigentlich?

Verachtung kostet nicht nur Kraft und Zeit, sie erfordert echte Leidenschaft. An der mangelt es dem türkischen Präsidenten bekanntlich nicht, wenn es um seinen Erzfeind geht. Nun ist dieser allerdings kein Oppositioneller, Medienmogul oder ausländischer Staatschef. Es ist das größte Volk der Welt ohne eigenes Land, das Recep Tayyip Erdoğan keine Ruhe lässt.

Dass sich die kurdische Arbeiterpartei nun auflösen will, nachdem ihr Gründer Abdullah Öcalan sie im Herbst vergangenen Jahres zum Gewaltverzicht aufgerufen hatte, ist eine immense Genugtuung für Erdoğan. 

Warum?

Türkei PKK verkündet Auflösung und Ende des bewaffneten Kampfes

Wer sind die Kurden?

Die Kurden sind ein Volk. Genau wie Deutsche, Franzosen, Briten, Türken. Sie eint eine gemeinsame Herkunft, Kultur und Sprache (mit verschiedenen Dialekten) – aber keine übergreifende Religion, obwohl die Mehrheit der Kurden sunnitische Muslime sind. Die Schätzungen, wie viele Menschen sich als Kurden identifizieren, gehen auseinander, vermutlich sind es weltweit zwischen 25 und 35 Millionen.

Das historische Kurdistan erstreckt sich über mehrere moderne Staatsgrenzen hinaus:

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Einen international anerkannten eigenen Staat hatten die Kurden nie, obwohl sie nach dem Ersten Weltkrieg und dem damit verbundenen Untergang des Osmanischen Reiches nah dran waren. Die westlichen Siegermächte hatten ihnen im Vertrag von Sèvres die Unabhängigkeit in Aussicht gestellt. Am Ende wurden sie stattdessen unter vier Staaten aufgeteilt – und sind bis heute heimatlos geblieben. Je nach Region genießen die Kurden staatlich anerkannte Autonomie (wie im Irak), agieren zumindest teilweise autonom (wie in Syrien) oder werden kulturell und politisch unterdrückt (wie im Iran und in der Türkei). 

Was ist die PKK?

Wer verstehen will, warum die Kurden in der Türkei einen so schweren Stand haben, muss einen Blick zurück tun.

In den 1920er- und 30er-Jahren, die Türkei war gerade erst gegründet, der Traum von Kurdistan damit geplatzt, rebellierten die türkischen Kurden, die allein rund die Hälfte des kurdischen Volkes stellen. Die Konsequenz: Zwangsumsiedlungen, Verbot von kurdischen Namen und traditioneller Kleidung, Einschränkung der kurdischen Sprache. Ankara leugnete sogar, dass es ein kurdisches Volk überhaupt gab, sprach stattdessen von "Bergtürken". Aber damals wie heute ließ sich die Identität von Millionen Menschen nicht einfach wegreden.

1978 gründete Abdullah Öcalan, Sohn einer türkischen Mutter und eines kurdischen Vaters, die Partiya Karkerên Kurdistanê, die Arbeiterpartei Kurdistans. Ziel dieser sozialistisch-militanten PKK (die in Syrien, Irak und Iran Schwesterorganisationen hat) war bis in die 90er-Jahre die Gründung eines kurdischen Staats, später wenigstens politische Autonomie. Und sei es mit Gewalt. Seit den ersten bewaffneten Attacken in den 80ern verloren mehr als 40.000 Menschen im Kampf für, gegen oder durch die PKK ihr Leben. Die Partei wird nicht nur in der Türkei, sondern auch von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft.

Flagge der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK © Lukas Schulze / DPA

2013 schlossen die türkische Regierung und die PKK-Führung einen Waffenstillstand. Der hielt allerdings gerade einmal zwei Jahre. Im Juli 2015 starben 33 Menschen in der mehrheitlich kurdischen Stadt Suruç nahe der syrischen Grenze. Ankara machte den Islamischen Staat verantwortlich, die PKK beschuldigte den relativ frisch als Präsident vereidigten Recep Tayyip Erdoğan, seine Finger im Spiel gehabt zu haben. Der wiederum erklärte der PKK und dem IS "synchronisierten Krieg gegen den Terror" – in dieser Reihenfolge. "Es gibt keine echte nationalistische Wut gegen [den] IS, aber es gibt eine nationalistische Wut gegen die PKK", sagt Politikwissenschaftler Omer Taspinar von der US-Denkfabrik "Brookings Institute" der "Washington Post".

Im vergangenen Herbst dann die Wende. Da gingen Erdoğan und sein rechtsextremer Koalitionspartner MHP (deren Chef den Spitznamen "Kurdenschlächter" trägt) überraschend auf den seit 1999 inhaftierten Öcalan zu. Er käme frei, wenn sich die PKK auflöst. Ende Februar rief er seine Partei dann genau dazu auf. Die kündigte zwei Tage später eine Waffenruhe – und Mitte Mai schließlich ihre Auflösung. 

Erdoğan und die Kurden

Fragt sich nur, ob Erdoğan seinen alten Gegner nicht noch vermissen wird. Schließlich war die als nationales Feindbild bislang sehr nützlich. Wann immer ein politischer Gegner gefährlich wird, suggerierte er eine Verbindung zur PKK, die die Einheit der Türkei bedroht. So erging es einst der linken Partei HDP. 

Seit dem Putschversuch des Militärs 2016 wittert Erdoğan Feinde an jeder Ecke. Er ließ schätzungsweise 50.000 Menschen festnehmen und verstärkte die Angriffe auf kurdische Separatisten – oder solche, die es sein könnten. Solange er die PKK-Ableger im Nahen Osten militärisch in Schach hielt, glaubte Erdogan eine geeinte, länderübergreifende kurdische Revolution im Keim ersticken zu können. 

Nach der Auflösung der PKK könnte Erdoğan nun, zumindest augenscheinlich, auf die Opposition zuzugehen, um die Verfassung zu ändern, damit er über 2028 hinaus regieren kann. Eigentlich ist der Posten des Staatspräsidenten auf zwei Amtszeiten à fünf Jahre beschränkt. Eine Regel, die Erdoğan bereits bei der letzten Wahl 2023 sehr frei ausgelegt hatte, als er die Türken dazu aufrief, "ein letztes Mal" für ihn zu stimmen. Doch selbst wenn er 2028 erneut kandidieren darf, wäre die Wahl kein Selbstläufer. 

Erdoğans Hass auf die Kurden rührt auch daher, dass er sie nicht ignorieren kann, zumindest ihre Macht an den Wahlurnen. Jeder fünfte Türke ist Kurde, daran ändert sich auch mit dem Ende der PKK nichts. Und es werden mehr. Ihre Geburtenrate ist deutlich höher als im Rest des Landes. Und so bleibt es vermutlich dabei: Kurden dürfen in der Türkei dann Kurden sein, wenn sie die türkische Staatsbürgerschaft anerkennen. "Das Problem beginnt, wenn sie eine Identität mit Bindestrich wollen", so Politikwissenschaftler Taspinar. 

Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2024 veröffentlicht und entsprechend aktualisiert.

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