Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird die AfD bis zum Abschluss eines von der Partei angestrengten Gerichtsverfahrens nur als rechtsextremen „Verdachtsfall“ und nicht als „gesichert rechtsextremistische“ Partei behandeln und bezeichnen. Das geht aus einer sogenannten Stillhaltezusage hervor, die der Verfassungsschutz in einem vor dem Verwaltungsgericht Köln von der AfD angestrengten Eilverfahren am Donnerstag abgegeben hat. Die Entscheidung bedeutet nicht, dass der Verfassungsschutz seine interne Einschätzung über die AfD revidiert hat.

Die AfD begrüßte den Schritt: „Das ist ein erster wichtiger Schritt hin zu unserer eigentlichen Entlastung und damit dem Vorwurf des Rechtsextremismus zu begegnen“, erklärten die AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel. „Wir wehren uns mit allen juristischen Mitteln gegen die Hochstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.“

Volker Boehme-Neßler, Staatsrechtler an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, sagt WELT: „Aus meiner Sicht ist das ein juristischer Erfolg für die AfD, allerdings nur ein vorläufiger. Es kommt juristisch am Ende auf das Urteil im Hauptsacheverfahren an. Bis zum Urteil kann es erfahrungsgemäß noch lange dauern – erfahrungsgemäß weit länger als ein Jahr.“

Weil es bis zu einem Urteil lange dauere, sei es wichtig, wie es in der Übergangszeit weitergeht. Boehme-Neßler skizziert, wie das laufen könnte: „Der Verfassungsschutz setzt die Hochstufung auf ,gesichert rechtsextremistisch‘ so lange aus, bis das Gericht eine vorläufige Entscheidung getroffen hat. Die vorläufige Entscheidung könnte lauten: Bis zum Urteil in der Hauptsache muss der Verfassungsschutz die Hochstufung aussetzen. Sie könnte aber auch lauten: Bis zur Hauptsache kann der Verfassungsschutz die Hochstufung weiter umsetzen.“

Der Staatsrechtler sagt weiter: „Politisch ist es aber ein Erfolg für die AfD. Denn bis zur vorläufigen Entscheidung ist die Hochstufung vom Tisch.“ Weil selbst die vorläufige Entscheidung des Gerichts frühestens in mehreren Monaten kommen werde, „hat die AfD viel Zeit gewonnen. Das ist sicher ein politischer Erfolg mit rechtlichen Mitteln.“

Union: „Ganz normales Prozedere“

Alexander Throm (CDU), innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, sieht in der „Stillhaltezusage“ des Bundesamts für Verfassungsschutz keinen Erfolg der AfD. „Das ist ein ganz normales Prozedere. Das Gericht bekommt auf diese Weise mehr Zeit, um den Sachverhalt angemessen rechtlich zu prüfen“, sagte Throm WELT. „Und eine intensive Prüfung ist bei einer solchen Frage wichtig. In der Sache selbst ergibt sich daraus keinerlei Veränderung, weder in die eine noch in die andere Richtung.“

Throm richtete einen Vorwurf an die Rechtsaußenpartei: „Das verfrühte Siegesgeheul der AfD zeigt einmal mehr, dass diese Partei auch ganz normale rechtsstaatliche Vorgänge für ihre Zwecke zu missbrauchen versucht.“

Die rechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, sieht in der Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) zu einer „Stillhaltezusage“ keinen Erfolg für die AfD. „Die heutige Eilmeldung zur sogenannten Stillhaltezusage des Verfassungsschutzes klingt dramatischer, als sie tatsächlich ist. Juristisch handelt es sich um ein bekanntes Verfahren: Die AfD hat – wie schon bei früheren Hochstufungen – einen Eilantrag gestellt, um zu verhindern, dass sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache öffentlich als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ bezeichnet wird“, sagte Bünger WELT. „Um ein vorläufiges Gerichtsurteil darüber zu vermeiden, hat das Bundesamt freiwillig zugesagt, auf diese öffentliche Bezeichnung vorerst zu verzichten. Das ist kein Teilerfolg der AfD, sondern eine übliche rechtliche Zwischenregelung.“

Bünger verwies darauf, dass es schon 2021 eine ähnliche Zusage gegeben habe – „und am Ende unterlag die AfD in allen Instanzen. Auch diesmal sagt das Verhalten des BfV nichts über die Rechtmäßigkeit oder den Bestand der Einstufung aus. Die Verfahren dauern nur lange.“

Die Linke-Politikerin sagte weiter: „Wichtig ist: Die AfD ist nicht deshalb weniger gefährlich, weil der Verfassungsschutz sie vorübergehend nicht öffentlich so nennen darf. Sie bleibt eine Partei, die systematisch gegen Menschenrechte, Demokratie und die Würde des Menschen im Grundgesetz arbeitet und deshalb eine Gefahr für viele Menschen in diesem Land darstellt. Und das bleibt wahr – ganz egal, ob der Geheimdienst es heute sagen darf oder nicht. Umso wichtiger ist es, dass es endlich Einsicht in das Gutachten gibt. Denn für uns ist klar, wir müssen die AfD neben einem Verbotsverfahren auf politischer Ebene bekämpfen.“

Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.

Johannes Wiedemann ist Leitender Redakteur im Ressort Politik Deutschland.

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