Nur bei der Militärtechnologie kann China noch etwas von Russland lernen
Wenn am Freitag der chinesische Staatschef Xi Jinping am Roten Platz auf der Tribüne steht, wird wohl niemand glücklicher sein als Wladimir Putin. Xi ist der Ehrengast bei der Parade anlässlich des 80. Jahrestags des sowjetischen Sieges gegen Nazideutschland. Putin hat Xi, seinen „lieben Freund“, endlich dazu gebracht, sich wie nie zuvor zu Russland zu bekennen. Xi wird da sein, während die meisten anderen Staatschefs den Anlass meiden – wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Xi hingegen lässt seine Ehrengarde mitmarschieren.
Putin will damit demonstrieren: Zwischen den beiden Ländern herrscht mehr als eine Partnerschaft. Die russische Propaganda feiert den Kremlchef und Xi als „Brüder für immer“. Die chinesische Propaganda legt nach und feiert Russland und China als zwei „Mächte mit Vorbildcharakter“, die alle Schwierigkeiten gemeinsam überwinden. Moskau und Peking seien laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua die „Hüter des wahren Erbes des Weltkriegs“ – und positionieren sich als Gegengewicht zum Westen, das nicht spaltet, sondern „inklusive Globalisierung“ verspricht.
China ist nach der russischen Großinvasion der Ukraine in die Rolle geschlüpft, die Europa zuvor ausfüllte. Das bedeutet: chinesische Automarken statt VW und Mercedes, chinesische statt europäische Industriemaschinen, und die Gaspipeline Power of Siberia statt Nord Stream. Xis Reich ist heute der größte Abnehmer russischer Energieträger und zugleich Russlands wichtigster Technologiepartner.
Damit macht Moskau zwar weniger Kasse als zuvor bei den Europäern. Die Ergebnisse können sich dennoch sehen lassen. Der bilaterale Handel erreichte im vergangenen Jahr den Rekordwert von umgerechnet 245 Milliarden Dollar. Die beiden Länder veranstalten immer mehr gemeinsame Militärübungen, stimmen gemeinsamen bei den vereinten Nationen gegen westliche Initiativen ab. Trotz behaupteter Neutralität verlängert China indirekt den russischen Ukraine-Krieg - nicht zuletzt mit Lieferungen von Dual-Use-Gütern und Hilfe bei der Umgehung von Technologie-Sanktionen.
Dennoch wissen Putin und Xi: Die „Partnerschaft ohne Grenzen“, vor drei Jahren verkündet, erreicht ihren Höhepunkt – und stößt allmählich an das Schutzgeländer von divergierenden Nationalinteressen.
Moskau und Peking sind entgegen den Beteuerungen Putins und Xi keine Partner auf Augenhöhe. Wegen anhaltender Isolation vom Westen braucht Russland China weit mehr umgekehrt. In den letzten zwei Jahren gingen 30 Prozent der russischen Exporte nach China, 40 Prozent der russischen Importe kamen aus China – das zeugt von einer anhaltenden, wachsenden Abhängigkeit, die nicht wechselseitig ist. Dennoch bleibt Russland für China ökonomisch zwar ein wichtiger, aber keineswegs unerlässlicher Partner – anders als Europa und die USA.
Putins Autokratie liefert Xi weder die Chips für KI-Systeme noch stellt sie den wichtigsten Absatzmarkt für Chinas restlos vom Export abhängige Industrie. Nur bei Militärtechnologie kann China noch etwas von Russland lernen. Der Boom im bilateralen Handel ist vorbei. Im Vergleich zum Jahr 2023 wuchs das Volumen der gegenseitigen Im- und Exporte um gerade einmal 1,9 Prozent. In den Vorjahren freuten sich Putin und Xi über mehr als 20 Prozent jährliches Wachstum.
Für mehr Handel könnten nur mehr gegenseitige Investitionen sorgen, doch die stagnieren. Russland steckt das Geld lieber in die eigene Kriegsproduktion. Aus großspurig angekündigten gemeinsamen Projekten wird häufig nichts. China sieht Russland als ökonomisch instabil. Die Russen wiederum haben Angst vor geopolitischem Kontrollverlust und stellen sich quer bei chinesischen Investitionen in Infrastruktur wie Häfen und Flughäfen – anders als die Europäer.
China will seine Energieimporte diversifizieren
In der Außenpolitik ergibt sich eine paradoxe Situation. Die gemeinsame antiamerikanische Haltung hat dazu geführt, dass die Interessen Russlands und Chinas weiter voneinander entfernen, statt sich anzugleichen. Während beide Länder sich auf die Schwächung des Westens im Zuge der Trump-Präsidentschaft pokerten, bedeutet das für China am Ende einen Handelskrieg mit dem wichtigsten Importeur USA – und zugleich eine Gelegenheit, sich als Verfechter des Freihandels und internationaler Absprachen zu inszenieren.
Russland hingegen bleibt trotz Gesprächen mit der Trump-Regierung über Ukraine toxisch, in manchen Bereichen wie dem Bankensektor auch für China. Während China als Gegenentwurf zu Trumps Maga-USA Europa umgarnt, wird Russland nicht müde, gegen die Europäer auszuteilen. Wegen ständiger Sanktionsrisiken und Trumps drohender „Sekundärzölle“ sucht China seine Energieimporte rasch zu diversifizieren - also weg von Russland.
Dazu trägt auch massive Dekarbonisierung bei, mit Investitionen in erneuerbare Energien und Atomkraft. Xis Zögern bei der geplanten Gaspipeline Power of Siberia 2 zeigt zudem, dass Peking sich Spielraum bewahren will – wirtschaftlich wie diplomatisch. Mit Argwohn beobachtet China auch Russlands zunehmende Annäherung an Nordkorea, das zuvor restlos von Peking abhängig war.
Es sind gerade diese Entwicklungen, die Xi dazu motivierten, Putin nun diese Geste des Respekts zu erweisen – und erneut eine Beziehung auf Augenhöhe zu inszenieren. In Wahrheit wäre jedes Lockern der internationalen Isolation Russlands nicht im Sinne Chinas. Jede potenzielle Zuwendung zum Westen würde Pekings Verhandlungsposition gegenüber Moskau verschlechtern.
Xi will, dass Moskau ihm geopolitisch den Rücken freihält. Besonders stark und in jenen Bereichen eigenständig, die Chinas Vormacht infrage stellen, darf Russland nicht werden. Noch fällt es Putin leicht, über die wahren Absichten Xi hinwegzusehen. Wenn China dem Kreml die Rechnung präsentiert, könnte es zu spät sein.
Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.
Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke