Kurz vor Merz’ Anruf bei Trump ändert sich die Stimmung in Washington
Als US-Vizepräsident J.D. Vance am Mittwochmorgen das altehrwürdige Willard Hotel, nur einen Katzensprung vom Weißen Haus entfernt, betrat, war die Nervosität im Raum greifbar. Zur Tagung geladen hatte die Münchner Sicherheitskonferenz, die transatlantische Entscheider in Washington zusammengetrommelt hat. Nach Vance‘ Schock-Rede auf der Konferenz in München im Februar konnte man damit rechnen, dass er seine Kritik an Europa bekräftigt.
Auch Friedrich Merz wird den Auftritt mit Spannung verfolgt haben. Schließlich will der Kanzler am Donnerstag mit Donald Trump telefonieren. Es wird das erste Gespräch der beiden sein, sie kennen sich nicht. Für Merz steht bei diesem Telefonat viel auf dem Spiel: Es ist die einzige Gelegenheit, die Grundlage für eine gute Arbeitsbeziehung zu Trump zu legen – und das in einem bisher angespannten Klima zwischen Europa und den USA.
Noch im Februar hatte der US-Vizepräsident Europa attestiert, dass die Meinungsfreiheit „auf dem Rückzug“ sei und dass es nichts gebe, „was Amerika für euch tun kann“, wenn man Angst vor den eigenen Wählern habe.
Am Mittwoch versuchte er, seine Äußerungen wieder etwas einzufangen, was man vorsichtig als Signal eines Stimmungswandels im Weißen Haus interpretieren kann. „Ich denke sehr wohl, dass die USA und Europa im selben Team sind“. Es sei „komplett lächerlich“, zu denken, dass man beide auseinander dividieren könne, so Vance. Das hieße aber nicht, dass man keine Meinungsverschiedenheiten haben könne.
Fast schon kleinlaut hob Trumps Vize hervor, dass man „ein bisschen mehr Lastenverteilung“ bei der Verteidigung brauche. Außerdem sei man „ein bisschen zu bequem in der Sicherheitsarchitektur der vergangenen 20 Jahre geworden“, so Vance. Das betreffe aber nicht nur Europa, sondern sei ein Phänomen „auf beiden Seiten des Atlantiks“. Das klang weit weniger absolutistisch und kämpferisch als früher. Die Allianz müsse sich weiterentwickeln, erklärte der Vizepräsident. Aber man müsse die großen Fragen „zusammen“ diskutieren.
Wolfgang Ischinger sieht Chancen für neue Beziehung zu Trump
„Ich bin erleichtert“, sagte Wolfgang Ischinger, der Präsident des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz, der das Interview mit Vance führte, im Nachgang. „Der heutige Tag war eine Einladung an Europa, zusammen zu arbeiten“. Das sei vor allem für Merz eine gute Nachricht. Vance‘ Worte „bieten eine atmosphärische Verbesserung für die neue deutsche Regierung“, so der Ex-Diplomat. Der neue Kanzler habe die „großartige Möglichkeit, frei von bisherigen Problemen, eine neue Beziehung zu Donald Trump aufzubauen“, sagte er.
Mit Erleichterung kann Merz auch Vance‘ Äußerung zur Ukraine wahrnehmen. Erstmals kritisierte der Vizepräsident deutlich das Gebaren von Russlands Diktator Wladimir Putin. „Die Russen fordern zu viel“, sagte er mit Blick auf die Friedensverhandlungen.
Damit veränderte sich die Haltung des Weißen Hauses signifikant. Bisher hat Trump viel Zeit damit zugebracht, den Druck auf Kiew zu erhöhen, ohne Vergleichbares gegenüber Moskau zu tun. Stets hieß es in Washington, dass es die Ukraine sei, die nicht genügend Verhandlungsbereitschaft zeige. Vance war die treibende Kraft hinter der rhetorischen Eskalation beim Besuchs Selenskyjs im Weißen Haus Ende Februar.
Die Äußerungen von Trump und Vance deuten darauf hin, dass in Washington die Erkenntnis Einzug hält, dass es in Wahrheit die Russen sind, die nicht verhandeln wollen. „Die Ukraine ist zu einer 30-tägigen Waffenruhe bereit“, sagte Vance. „Wir schätzen das“. Man sehe, dass Russland dazu nicht bereit ist.
Damit bekräftigte er Trumps jüngste Aussagen, die darauf hindeuten, dass Washington die Geduld mit Putin ausgeht. Nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Rom fragte Trump auf Truth Social, ob Putin ihn hinhalte und überhaupt einen Frieden wolle.
Bei den versammelten transatlantischen Funktionsträgern war das kollektive Aufatmen spürbar. „Ich war mit allem, was er sagte, zufrieden“, sagte sogar die ehemalige demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses und ständige Kritikerin der Trump-Regierung, Nancy Pelosi.
Auch Ischinger attestierte der US-Regierung einen vorsichtigen Sinneswandel. „Washington bewegt sich langsam in die Richtung, in der sie den Russen sagt, dass die westliche und amerikanische Geduld endlich ist“, sagte er. Für Friedrich Merz ist das eine willkommene Positionsverschiebung.
Der US-Präsident Donald Trump habe seine „volle Unterstützung“, wenn es darum gehe, „ein Ende des Krieges herbeizuführen und das Töten in der Ukraine zu beenden“, sagte Merz am Mittwoch bei seinem Antrittsbesuch bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Oberste Priorität des Kanzlers wird sein, dass Trump der Ukraine keinen Diktatfrieden aufzwingt – und Europa im Prozess miteinbezieht. Die jüngsten Töne aus Washington sind ein leichter Hoffnungsschimmer, dass beides etwas wahrscheinlicher ist als zuvor.
Gregor Schwung berichtet für WELT seit 2025 als US-Korrespondent aus Washington, D.C. Zuvor war er als Redakteur in der Außenpolitik-Redaktion in Berlin für die Ukraine zuständig.
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