Der Krieg, für den sich niemand zuständig fühlt
Die Entscheidung fiel mit deutlicher Mehrheit: Mit 14 zu zwei Richterstimmen lehnte der Internationale Gerichtshof (IGH) am Montag in Den Haag den Antrag der sudanesischen Militärregierung ab, einstweilige Maßnahmen gegen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu verhängen. Der Vorwurf lautete: Komplizenschaft mit der Miliz Rapid Support Forces (RSF) im mutmaßlichen Völkermord an ethnischen Gruppen im Sudan.
Eine Entlastung von den Vorwürfen konnten die Emirate damit nicht vermelden – sie gelten als entschiedene Unterstützer der RSF, finanziell und militärisch. Abu Dhabi nutzt sogar andere afrikanische Staaten, um einen kontinuierlichen Nachschub an Waffen für die RSF zu garantieren. Der Miliz wiederum werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Dass Den Haag dennoch nicht juristisch gegen die Emirate vorging, hatte einen ernüchternden Grund: Das Gericht erklärte sich schlicht für nicht zuständig. Denn die VAE hatten einst bei der Ratifizierung der Völkermordkonvention Vorbehalt gegen Artikel IX eingelegt.
Der erlaubt es einem Vertragsstaat, einen anderen Vertragsstaat vor dem IGH zu verklagen, wenn er meint, dass dieser gegen die Konvention verstoßen hat. Aber eben nur, wenn beide Staaten die Zuständigkeit des IGH bei derartigen Streitigkeiten akzeptiert haben – was die VAE nicht getan haben. Aus formaljuristischen Gründen also.
Das ist der entscheidende Unterschied zu der zugelassenen Klage gegen Israel vor dem gleichen Gericht. Südafrika beschuldigte das Land, im Gaza-Streifen Völkermord zu begehen. Die Klage wurde zugelassen, weil beide bei der Ratifizierung keinen Vorbehalt gegen die Klausel eingelegt hatten.
Während die Richter in Den Haag Paragrafen wälzten und die Ineffektivität internationaler Gerichtsbarkeit bei der Eindämmung des verheerenden Krieges im Sudan belegten, brennen am Roten Meer die Treibstofflager. Die paramilitärische RSF attackierte am Sonntag erstmals Port Sudan – die provisorische Hauptstadt des Militärs am Roten Meer.
Auch am Montag gab es Angriffe auf strategische Infrastruktur. Ein Armeesprecher teilte mit, dass zudem „zivile Einrichtungen“ getroffen worden seien. Zur Zahl der Verletzten und Toten gab es zunächst keine Angaben.
Die einst sichere Hafenstadt, Rückzugsort für Diplomaten und Hilfsorganisationen, ist nun selbst Frontlinie. Damit trifft die RSF Sudans Armee, ihren Kriegsgegner, empfindlich. Sie hatte erst vor wenigen Wochen die Rückeroberung der eigentlichen Hauptstadt Khartum vermeldet, propagierte dabei neben der Rückkehr von Binnenflüchtlingen auch Investitionen in den Wiederaufbau.
So mancher Analyst vermutete den Rückzug der RSF in ihr Machtzentrum im strukturschwachen Darfur ganz im Westen des Landes, wo die Armee in den vergangenen Tagen Luftangriffe auf eine von den Emiraten unterstützte RSF-Basis in der Stadt Nyala flog. Stattdessen schlägt die Miliz nun auch am anderen Ende zu, ganz im Nordosten.
Lieferung von Drohnen und Luftabwehrsystemen
Zwar verurteilte das VAE-Außenministerium den RSF-Angriff auf Port Sudan „aufs Schärfste“ und erinnerte „alle Konfliktparteien, die weiterhin das immense Leid der sudanesischen Bevölkerung missachten“, an ihre Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts. Doch möglich war der Angriff, so Sudans Armee, einzig wegen des Nachschubs durch die Emirate, die weiterhin moderne Waffen liefern – von Drohnen bis hin zu Luftabwehrsystemen.
Die Unterstützung der RSF durch die Emirate stößt auf wachsenden Widerstand von Verbündeten der sudanesischen Armee, allen voran Ägypten, Iran und Russland. Gleichzeitig bauen die VAE ihren Einfluss in Afrika gezielt aus – ein Ziel, das inzwischen untrennbar mit der Positionierung im Sudan-Krieg verbunden ist, der die weltweit größte humanitäre Krise mit bis zu 150.000 Toten und knapp 13 Millionen Vertriebenen ausgelöst hat.
Das zeigte sich vor einigen Tagen bei der Verkündigung von VAE-Infrastrukturprojekten in Kenia, Uganda, Südsudan, Kamerun und Tschad. Mit Ausnahme von Kamerun handelt es sich um Länder, die immer wieder im Kontext des Waffenschmuggels Richtung RSF genannt werden. Besonders Tschad und der Südsudan gelten als logistische Hauptadern, heißt es in UN-Expertenberichten.
Die Emirate dementieren derartige Vorwürfe kategorisch. Doch die Beweislast ist auch ohne richterliche Beschlüsse erdrückend. So berichtete die „New York Times“ bereits im Jahr 2023, dass über einen Flughafen im benachbarten Tschad regelmäßig Frachtmaschinen mit angeblich humanitären Gütern landen – laut Insidern enthalten sie aber Rüstungsgüter für die RSF. Auch Human Rights Watch hat dokumentiert, dass so moderne Waffensysteme in die Hände der Miliz gelangten.
Die mutmaßliche Unterstützung erfolgt nicht nur materiell, sondern auch finanziell: Die RSF kontrolliert zahlreiche Goldminen in Darfur und verkauft das Edelmetall in großen Mengen nach Dubai. Der daraus resultierende Geldfluss gilt als eine der wichtigsten Finanzierungsquellen der Miliz. Die Emirate haben viele Milliarden Dollar in den Sudan investiert, vor allem in die Landwirtschaft und den Energiesektor.
Die abgewiesene Klage vor dem IGH passt dabei ins Bild: Der Krieg bedeutet für die VAE bislang wenig mehr als ein wenig schlechte Presse. Die USA haben Sanktionen gegen einige mittelgroße Unternehmen erlassen. Sie haben aber wenig Einfluss auf die Wirtschaft des Landes, das als Verbündeter des Westens im Nahen Osten so wichtig ist. Die Regierung in Dubai selbst oder große Konzerne sind nicht betroffen.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
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