„Wahlrecht nicht an Pass knüpfen“, fordert Linke – für Weidel „versuchter kalter Staatsstreich“
Die Linke will das deutsche Wahlrecht kräftig ausweiten. Parteichef Jan van Aken legte zum 1. Mai einen „Sechs-Punkte-Plan für mehr Demokratie“ vor, über den das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) zuerst berichtete. Darin fordert van Aken etwa bundesweite Volksentscheide, die Hürden für Referenden sollen gesenkt und Unterschriftensammeln erleichtert werden.
Doch van Akens Vorschläge gehen noch weiter. So soll das Wahlalter für sämtliche Wahlen auf 16 Jahre gesenkt werden. Außerdem soll das Wahlrecht auch für Ausländer ermöglicht werden. Jede Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit soll demnach nach fünf Jahren legalem Aufenthalt in der Bundesrepublik das Wahlrecht für sämtliche Wahlen bekommen. Bisher steht dies nur deutschen Staatsangehörigen oder bei Kommunalwahlen auch EU-Bürgerinnen und -Bürgern offen. Das Alter für die Teilnahme an der Europawahl ist 2024 bereits auf 16 Jahre abgesenkt worden.
„Politik darf niemals eine Sache nur der Eliten sein“, sagte van Aken dem RND. „Es geht um die Anliegen aller, die sich jeden Tag krummlegen und die Auswirkungen der Entscheidungen von oben ausbaden müssen. Diese Menschen müssen selbst mitentscheiden können: Wer für die Krisen zahlt, wofür das Geld ausgegeben wird, ob es eine Wehrpflicht geben soll.“ Der Linke-Chef weiter: „Die da oben werden die Mehrheit der Menschen, über die sie entscheiden, erst dann ausreichend ernst nehmen, wenn die Menschen wirksam mitreden können.“
In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD sich auf eine Evaluation der Ampel-Wahlrechtsreform von 2023 geeinigt. In diesem Zuge will man zumindest prüfen, „ob Menschen ab 16 Jahren an der Wahl teilnehmen sollten“.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollte sich auf WELT-Anfrage nicht zu van Akens Forderung äußern. Die Union spricht sich allerdings seit Jahren gegen eine Absenkung des Wahlalters ein. Thorsten Frei (CDU), der designierte Kanzleramtschef, sagte beispielsweise 2023 der „FAZ“: „Das Wahlrecht würde durch eine Absenkung des Wahlalters letztlich entwertet.“ Das Wahlrecht solle mit der Volljährigkeit kommen. Schließlich könne ein 16-Jähriger auch nicht selbstständig einen Mobilfunk-Vertrag abschließen. „Man kann kaum begründen, warum jemand über die Geschicke unseres Landes mitentscheiden soll, den wir in anderen Bereichen nicht für reif genug erachten, seine Angelegenheiten ohne die Zustimmung seiner Eltern zu regeln.“
Auch die SPD-Bundestagsfraktion äußerte sich auf Anfrage nicht. Die Sozialdemokraten hatten in ihrem Bundestagswahlprogramm allerdings eine Senkung des Wahlalters gefordert. Während der Koalitionsverhandlungen setzten sich einige SPD-Migrationspolitiker in einem Positionspapier für ein „Wahlrecht für alle, die langfristig in Deutschland leben, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft“.
Weidel spricht von „verquerem ‚Demokratie‘-Begriff“
Die AfD sieht im Linke-Vorstoß eine Gefahr. „Van Aken holt wieder mal einen alten Hut aus der linken Trickkiste: Er will das Wahlrecht manipulieren, weil er sich davon einen überproportionalen Einfluss seiner Partei erhofft“, sagt Alice Weidel, Bundessprecherin und Fraktionsvorsitzende der AfD. „Dabei schreckt er auch nicht vor einem versuchten kalten Staatsstreich gegen das Staatsvolk als den verfassungsmäßigen Souverän zurück.“ Dem Linke-Chef wirft Weidel einen „verqueren ‚Demokratie‘-Begriff“ und ein „gestörtes Verhältnis zum Grundgesetz“ vor.
Staatsbürgerschaft und Wahlrecht gehörten untrennbar zusammen, so die AfD-Chefin. „Wer diesen Zusammenhang auflöst und das Staatsvolk transformiert, sei es durch ein automatisches Wahlrecht für jeden im Lande Anwesenden nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer oder durch undifferenzierte Masseneinbürgerungen, legt die Axt an die Grundlagen unserer Verfassung.“
Die Grünen äußerten sich auf WELT-Anfrage nicht. In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl setzte sich die Partei für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ein.
Unterstützung erhält van Aken aus seiner Bundestagsfraktion. „Wer alt genug ist, um zu arbeiten, Steuern zu zahlen oder politisch aktiv zu sein, soll auch wählen dürfen“, sagte die Linke-Migrationspolitikerin Clara Bünger. „Gerade junge Menschen sind politisiert, engagiert und unmittelbar betroffen – etwa bei Bildung, Klima oder sozialer Gerechtigkeit. Sie haben ein Recht auf Mitbestimmung.“
Auch das „Wahlrecht für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen“ sei „richtig und längst überfällig“. Dies betreffe rund zehn Millionen Menschen im Land. „Sie arbeiten, zahlen Steuern, ziehen Kinder groß – und dürfen trotzdem nicht wählen. Das ist demokratiepolitisch nicht haltbar. Wer hier lebt, muss auch mitentscheiden können“, sagte Bünger WELT. Demokratie müsse „inklusiv“ sein und müsse die „postmigrantische Realität“ in Deutschland anerkennen. „Wahlrecht darf nicht länger an den Pass geknüpft sein, sondern an das Leben, das Menschen hier führen, Menschen, die sich entschieden haben, ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland zu haben, sie sind genauso Teil unserer Gesellschaft.“
Sahra Wagenknecht forderte mehr direkte Demokratie und Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild. „Dann wäre ein Wahlbetrug wie der von Merz viel schwerer möglich“, sagte die BSW-Vorsitzende WELT. „Über wichtige Fragen wie Rente oder ein Ende der unkontrollierten Migration sollten die Bürger direkt abstimmen können. Das wäre Balsam für die Demokratie.“ Die ehemalige Linke-Politikerin widerspricht ihrem früheren Genossen van Aken: „Die Absenkung des Wahlalters und die Ausweitung des Wahlrechts auch auf Flüchtlinge, unabhängig von ihrer Integration, lehnen wir dagegen ab.“
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über Innenpolitik, insbesondere über die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht.
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