US-Einreiseverbot wegen mutmaßlicher Zensur – Entrüstung in Berlin und Brüssel
Das von den USA verhängte Einreiseverbot gegen fünf Menschen in Europa, die sich gegen Hassrede im Internet einsetzen, stößt in Deutschland, Brüssel und anderen europäischen Ländern auf heftige Kritik. Die Bundesregierung weist die Zensur-Vorwürfe der US-Regierung zurück. „Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden“, erklärte unter anderem Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) in Berlin.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X: „Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die europäische digitale Souveränität zu unterwandern.“ Die Regelungen des Digital Services Act (DSA), mit dem Online-Plattformen in der EU reguliert werden, seien durch einen demokratischen Prozess getroffen worden und dürften nicht von außerhalb Europas bestimmt werden. Es gehe darum, dass auch online illegal sei, was offline illegal ist.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen droht unterdessen Vergeltungsmaßnahmen an. Man verurteile die Entscheidung der USA aufs Schärfste und habe Klarstellungen erbeten, teilte die Behörde in Brüssel mit.
Falls erforderlich, werde man rasch und entschlossen reagieren, um das Recht zu verteidigen, seine eigenen Regeln festzulegen. Wie sie genau auf die Anreiseverbote reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht.
Auch EU-Ratspräsident António Costa bezeichnet die US-Einreiseverbote gegen mehrere Vorkämpfer für Digitalregeln als nicht hinnehmbar. „Solche Maßnahmen sind zwischen Verbündeten, Partnern und Freunden inakzeptabel“, schrieb der frühere portugiesische Regierungschef in sozialen Netzwerken. Die EU werde die Meinungsfreiheit und ihre fairen Digitalregeln ebenso verteidigen wie das Recht, eigene Regeln zu setzen.
Deutschlands Außenminister Johann Wadephul (CDU) schrieb auf X, die verhängten Einreiseverbote seien nicht akzeptabel. Der von der US-Regierung scharf attackierte Digital Services Act stelle sicher, „dass alles, was offline illegal ist, auch online illegal ist“. Er sei von der Europäischen Union für die EU demokratisch beschlossen worden und wirke nicht extraterritorial, betonte Wadephul. „Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken.“
Die US-Regierung hatte die Einreiseverbote gegen die HateAid-Geschäftsführerinnen Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg ebenso wie gegen drei andere Europäer mit angeblicher Zensur von US-Online-Plattformen begründet. Ballon und von Hodenberg sprachen in einer ersten Reaktion von einem „Akt der Repression“.
Vom Einreiseverbot ist auch der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton betroffen, der als einer der Architekten des Digital Services Act gilt. Das Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung – im Fall der Plattform X von US-Außenminister Marco Rubio als „Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen“ bezeichnet – soll verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht.
Rubio droht zudem weiteren europäischen Verantwortlichen mit Aufnahme auf die schwarze Liste. „Ideologen in Europa“ zwängen US-Internetplattformen dazu, missliebige Meinungen abzustrafen, erklärte Rubio. „Die Trump-Regierung wird diese ungeheuerlichen Akte extraterritorialer Zensur nicht länger tolerieren.“
Breton wiederum verglich die US-Sanktionen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. Auf der Plattform X schrieb er: „An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt.“
Die US-Regierung fordert seit längerem Änderungen an den strengen EU-Digitalgesetzen, die zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen über Plattformen wie X verhindern sollen und auch Unternehmen wie Amazon, Apple und Meta (Facebook), Alphabet (Google) und Microsoft betreffen. Die EU-Kommission betont immer wieder, dass diese nur einen fairen Wettbewerb und den Schutz von Kindern und demokratischen Wahlen garantieren sollen.
Das Gesetz über digitale Dienste (DSA) verpflichtet Plattformen beispielsweise dazu, einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.
Ministerium: Förderung von HateAid, aber kein Einfluss
Die deutsche Justizministerin Hubig erklärte in Berlin, HateAid leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte auch im digitalen Raum geschützt würden. „Wer das als Zensur bezeichnet, stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar.“
Hubigs Ministerium fördert nach eigenen Angaben seit 2020 eine Beratung durch HateAid für Betroffene von digitaler Gewalt. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe Organisationen gefördert werden, treffe final der Haushaltsgesetzgeber, also der Bundestag. Das Ministerium habe auf die Geschäftsführung von HateAid keinen Einfluss.
Politiker fordern Einbestellung des US-Geschäftsträgers
Bundestags-Vizepräsident Omid Nouripour fordert unterdessen die Einbestellung des Geschäftsträgers der US-Botschaft in Deutschland, Alan Meltzer. „Hier geht es um den Schutz deutscher Staatsbürger“, sagte der Grünen-Politiker. Die förmliche Einbestellung gilt als scharfes diplomatisches Mittel, mit dem die Regierung des Gastlandes eine deutliche Verstimmung signalisiert.
Auch der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter forderte die Einbestellung des Geschäftsträgers. Unter Präsident Donald Trump hätten die USA sehr deutlich gemacht, „dass sie sich weder für Europa noch für die liberale regelbasierte Ordnung einsetzen oder interessieren“, sagte er dem „Handelsblatt“.
Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und den Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Der Brite lebt der Organisation zufolge in Washington, ihm droht nun die Abschiebung aus den USA. Beide setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet ein. X-Eigentümer Elon Musk hatte das Center for Countering Digital Hate als „kriminelle Organisation“ bezeichnet.
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