„Dann wird Europa nicht mehr mit Geld, sondern mit Blut bezahlen“, sagt Selenskyj
Im Ringen um die weitere finanzielle Unterstützung der Ukraine drängt ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj auf eine schnelle Entscheidung. „Die heutige Entscheidung bedeutet, ob uns die Partner verstehen oder nicht“, sagte der Staatschef des von Russland angegriffenen Landes bei einer Pressekonferenz am Rande des Treffens der EU-Spitzen in Brüssel. Spätestens Ende des Jahres müsse Klarheit herrschen.
Wenn man die Ukraine nicht unterstütze, seien die Chancen hoch, dass das Land nicht bestehen könne, so Selenskyj. „Dann wird Europa bereits nicht mehr mit Geld, sondern mit Blut bezahlen.“ Er pflichtete damit Polens Regierungschef Donald Tusk bei, der vor Beginn des Treffens entsprechend gemahnt hatte: „Entweder heute Geld oder morgen Blut.“ Er meine damit nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa.
Für die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine wird in den kommenden zwei Jahren Schätzungen des IWF und der EU-Kommission zufolge voraussichtlich ein dreistelliger Milliardenbetrag benötigt. Der Finanzbedarf belaufe sich im Zeitraum 2026 bis Ende 2027 auf etwas mehr als 137 Milliarden Euro. Europa will davon zwei Drittel abdecken.
Diskutiert wird bei dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel dafür die Verwendung von in der Staatengemeinschaft eingefrorenen russischen Geldern als ein Darlehen für die Ukraine. Das Geld sei notwendig, damit Russland diese Vermögenswerte nicht als Einflusshebel nutze, so Selenskyj weiter. „Wir brauchen eine Entscheidung, damit es nicht Teil der Verhandlungen sein wird.“
Derzeit blockiert die belgische Regierung den Plan, der auch von Bundeskanzler Friedrich Merz vorangetrieben wird, mit Verweis auf rechtliche und finanzielle Risiken. Der Großteil des eingefrorenen russischen Vermögens liegt in Belgien. Der dortige Regierungschef Bart De Wever und Selenskyj kamen am Rande des Gipfels auch zu bilateralen Gesprächen zusammen.
Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte bereits angekündigt, sich grundsätzlich gegen weitere Finanzhilfen für die Ukraine zu stellen. „Geld zu geben, bedeutet Krieg“, sagte der Politiker, der weiter enge Kontakte nach Moskau pflegt. Er wolle keine EU im Krieg sehen.
Orbán glaubt, die Sache sei erledigt, weil es auf Spitzenebene keine ausreichende Unterstützung für den Plan gebe. Die Idee, jemandem das Geld wegzunehmen, sei dumm. Wenn die EU das täte, würde sie zu einer der Kriegsparteien werden, warnte er. „Das ist ein Marschieren in den Krieg.“ Den Verdacht, im Interesse Moskaus zu handeln, wies Orbán zurück. „Ich arbeite nur für den Frieden“, sagte er.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni warnte ebenfalls vor Problemen. Eine rechtlich zulässige Möglichkeit dazu zu finden, sei „alles andere als einfach“, sagte die Regierungschefin. Meloni erklärte, sie unterstütze Bemühungen, Russland die Kosten seines seit fast vier Jahren andauernden Angriffskrieges tragen zu lassen. Sie zeigte sich auch grundsätzlich offen für die Pläne zur Nutzung des russischen Staatsvermögens, aber nur, wenn die rechtliche Lage dafür solide sei. „Wäre die rechtliche Grundlage dieser Initiative nicht solide, würden wir Russland den ersten wirklichen Sieg seit Beginn dieses Konflikts schenken“, sagte sie weiter.
Unterdessen rief Bundeskanzler Friedrich Merz die europäischen Partner noch einmal eindringlich dazu auf, der Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens zuzustimmen. „Aus meiner Sicht ist das in der Tat die einzige Option“, sagte der CDU-Vorsitzende in Brüssel. Er machte deutlich, dass die Aufnahme von Schulden als einzige denkbare Alternative für ihn nicht infrage komme.
Merz äußerte erneut Verständnis für die rechtlichen und politischen Bedenken. „Aber ich hoffe, dass wir sie gemeinsam ausräumen können.“ Die EU müsse ein Zeichen der Stärke und der Entschlossenheit an Russland senden. Zu den Einigungschancen äußerte Merz sich zuversichtlich. „Mein Eindruck ist, dass wir zu einem Ergebnis kommen können.“
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas versuchte derweil, die Kritiker zu beschwichtigen. Sie sehe in der möglichen Nutzung russischen Vermögens kein besonders großes rechtliches Risiko für die Staatengemeinschaft. „Der aktuelle Vorschlag hat eine solide rechtliche Grundlage“, sagte Kallas laut Übersetzerin dem Deutschlandfunk. „Damit können wir auf jeden Fall gut arbeiten.“
In ihrem Heimatland Estland sei man an Drohungen aus Russland gewöhnt, sagte Kallas. „Wir müssen uns mit diesen Dingen ganz nüchtern auseinandersetzen: Vor welches Gericht will Russland denn mit dem Fall ziehen? Und welches Gericht würde dann, angesichts der russischen Zerstörung, die ja auch extrem gut dokumentiert ist, entscheiden, dass Russland gar keine Reparationen würde zahlen müssen?“ Kallas resümierte: „Wenn man das Ganze also pragmatisch angeht, muss man zu dem Schluss kommen, dass das eigentliche Risiko nicht besonders hoch ist.“
Kallas zeigte sich indes äußerst zuversichtlich, dass die Mitgliedstaaten eine Lösung finden werden. „Es ist wirklich wichtig, dass wir uns auf den aktuellen Vorschlag einigen, denn das ist unser Plan A.“
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwartete ebenfalls eine Einigung über die Finanzierung der Ukraine. „Ich werde den Rat nicht ohne eine Lösung für die Finanzierung der Ukraine verlassen“, sagte sie vor Reportern. Zugleich äußerte sie Verständnis für die Position von Ländern wie Belgien. Diese fordern bei der Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte eine Teilung der finanziellen Risiken. „Ich unterstütze Belgien voll und ganz.“
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