Italien darf einem Asylbewerber nicht sämtliche Leistungen wie Unterkunft, Essen und finanzielle Unterstützung entziehen, nur weil er sich einer Verlegung in ein anderes Aufnahmezentrum widersetzt. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Fall aus Mailand entschieden. Auslöser war das Vorgehen der italienischen Behörden gegen einen sich dort aufhaltenden tunesischen Asylbewerber und seinen minderjährigen Sohn.

Dem Mann waren alle materiellen Aufnahmeleistungen – darunter Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und finanzielle Unterstützung – gestrichen worden, nachdem er sich geweigert hatte, eine zugewiesene Unterkunft zu räumen und in ein anderes Zentrum umzuziehen. Zudem wurde ihm vorgeworfen, den Betrieb und die Sicherheit der ersten Einrichtung beeinträchtigt zu haben.

Ein italienisches Gericht äußerte an dem Vorgehen Zweifel und legte den Fall den Luxemburger Richtern vor, weil es einen solchen kompletten Leistungsentzug für womöglich unvereinbar mit der EU-Aufnahmerichtlinie hielt.

Der EuGH stellte nun klar, dass der vollständige Leistungsentzug in diesem Fall nicht zu rechtfertigen ist. Gleichzeitig werteten die Richter das Verhalten des Tunesiers als schwerwiegenden Verstoß gegen geltende Regeln. Dieser könne grundsätzlich mit Sanktionen belegt werden. Diese müssten jedoch verhältnismäßig sein. Der Entzug sämtlicher materieller Leistungen sei dies nicht. Allerdings hätte Italien das Recht, eine Verlegung durchzusetzen.

Frontex könnte für rechtswidrige Rückführungen zur Kasse gebeten werden

Auch ein weiteres EuGH-Urteil sorgt für Aufsehen: Die europäische Grenzschutzagentur Frontex haftet einem Urteil zufolge für Grundrechtsverletzungen bei Abschiebungen. Frontex sei nach dem EU-Recht verpflichtet, bei sogenannten Rückkehraktionen Grundrechte Asylsuchender zu schützen, so die Richter in Luxemburg. Dazu gehöre auch, zu prüfen, ob für alle Betroffenen solcher Aktionen Rückkehrentscheidungen vorliegen.

Nun muss das Gericht der Europäischen Union – eine Instanz unter dem EuGH – die Schadenersatzklage einer Familie syrischer Kurden noch einmal prüfen. Die Eltern mit ihren vier Kindern waren nur wenige Tage nach ihrer Ankunft auf einer griechischen Insel im Rahmen einer von Frontex koordinierten Rückkehraktion in die Türkei geflogen worden – obwohl sie erklärt hatten, Asyl beantragen zu wollen. Später floh die Familie aus Angst vor einer Abschiebung nach Syrien in den Irak.

Die Betroffenen sahen in der Rückkehraktion eine rechtswidrige Zurückweisung und verlangten Schadenersatz in Höhe von knapp 140.000 Euro von Frontex. Das Gericht der Europäischen Union wies die Klage der Familie im Jahr 2023 ab. Es argumentierte, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen einem möglichen Fehlverhalten von Frontex und dem geltend gemachten Schaden gegeben habe.

Der EuGH ist der Ansicht, dass das Gericht in erster Instanz zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass Frontex den Mitgliedstaaten lediglich technische und operative Unterstützung leiste, ohne prüfen zu müssen, ob eine Rückkehrentscheidung vorliegt. Zudem betonte der Gerichtshof, dass mögliche Grundrechtsverletzungen während eines Rückführungsflugs nicht allein dem beteiligten Mitgliedstaat - hier Griechenland - zugerechnet werden könnten. Auch eine Haftung von Frontex komme in Betracht. Das erste Gericht habe die Rolle der Agentur bei der Rückkehraktion daher nicht richtig bewertet.

Das Gericht der EU muss darüber hinaus eine zweite Schadenersatzklage gegen Frontex erneut prüfen. Der EuGH verwies in einer weiteren Entscheidung den Fall eines Syrers zurück, der behauptet, Opfer eines Pushbacks geworden zu sein. Er fordert 500.000 Euro von der Grenzschutzagentur. Seine Klage wurde zuvor mit der Begründung abgewiesen, er habe den Schaden nicht bewiesen. Der Gerichtshof entschied, dass das erste Gericht in dem Fall aber hätte Maßnahmen treffen müssen, um von Frontex alle relevanten und ihr verfügbaren Informationen zu erhalten.

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