Wegen Höcke-Kritik – AfD-Fraktionsvorstand leitet Ordnungsverfahren gegen Abgeordneten ein
Die Fraktionsspitze der AfD-Bundestagsfraktion will den Abgeordneten Rüdiger Lucassen für öffentliche Kritik an Björn Höcke disziplinieren. Der Vorstand um Alice Weidel und Tino Chrupalla hat nach WELT-Informationen in einer Sitzung am Montag die Einleitung eines Ordnungsverfahrens gegen Lucassen beschlossen.
Der Verteidigungspolitiker war Anfang Dezember in einer Bundestagsrede zur Wehrpflicht auf Höcke zu sprechen gekommen. „Der Thüringer Landesvorsitzende meiner eigenen Partei hielt am Mittwoch eine Rede“, sagte er. „In dieser Rede kommt er zu dem Schluss, dass Deutschland es nicht mehr wert sei, dafür zu kämpfen. Was hätten wohl die Männer und Frauen der Befreiungskriege dazu gesagt? Sie wären diesem Befund niemals gefolgt.“
Höcke hatte in der angesprochenen Rede im Thüringer Landtag gesagt: „Was soll der junge Mann mit einer Bundeswehr verteidigen, die keinen Patriotismus und keine Traditionen mehr kennt? Dragqueen-Auftritte in Kindergärten, (…) die Massenzuwanderung, (…) den Schuldstolz? Bevor auch nur ein einziger junger Mensch zwangsweise wieder in Uniform antreten soll, muss dieser Staat endlich wieder ein Staat für die Deutschen werden.“
Laut der WELT vorliegenden Geschäftsordnung der AfD-Bundestagsfraktion können Ordnungsmaßnahmen verhängt werden, „wenn ein Mitglied die Fraktion durch ein Tun oder Unterlassen geschädigt hat“. Eine „Schädigung der Fraktion“ liege vor, wenn ein Fraktionsmitglied „gegen fraktionsinterne Normen oder Beschlüsse der Fraktionsorgane in vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Weise verstößt“.
Der Vorstand sieht für Lucassen eine Rüge vor, die mildeste Ordnungsmaßnahme. Grundsätzlich möglich sind auch Ordnungsgelder, Auftritts- und Redeverbote, Ämtersperren oder gar der Ausschluss aus der Fraktion. Diese schärferen Maßnahmen sind in diesem Fall allerdings nicht vorgesehen.
Der „Verdacht einer Fraktionsschädigung“ beziehe sich nicht auf den Inhalt von Lucassens Position, sondern aus dem Umstand, dass der Abgeordnete „eine aktuell intensiv geführte innerfraktionelle Debatte in einer Plenarrede zur öffentlichen Kritik der auch innerfraktionell vertretenen Gegenposition gemacht und damit absehbar erhebliche negative Presse ausgelöst“ habe, heißt es in einem entsprechenden Schreiben im Auftrag des Vorstands.
Lucassen wird nun bis Freitag die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Vorstand entscheidet dann im Januar offiziell, ob und in welcher Form eine Ordnungsmaßnahme verhängt wird.
Heftige interne Kritik an Lucassens Rede
Lucassen ist ein dezidierter Befürworter der Wehrpflicht. Mehrere Parteitagsbeschlüsse stützen diese Position. Die Forderung wird auch im Grundsatzprogramm der AfD aus dem Jahr 2016 und sämtlichen Wahlprogrammen seit dem Jahr 2017 vertreten. Die Bundestagsfraktion hatte jedoch im Oktober entschieden, die Forderung erst bei einer möglichen Regierungsbeteiligung der AfD erneut zu stellen.
Höcke und die anderen AfD-Fraktionsvorsitzenden der ostdeutschen Landtage hatten zuvor mit einem Social-Media-Posting unter dem Titel „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege“ in die Debatte der Bundestagsfraktion interveniert. Der ARD sagte Höcke damals, Deutschland sei heute ein „Staat, dem ich nicht mehr dienen würde“. Wäre er heute jung, würde er verweigern. Die Nato habe sich zu einem „Bündnis zur Durchsetzung von Macht- und Geldinteressen“ verändert.
23 AfD-Bundestagsabgeordnete um den Thüringer Co-Landeschef Stefan Möller forderten damals in einem internen Schreiben an die Bundestagsfraktion ebenfalls ein „Aufsetzungsmoratorium für Anträge zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht“.
Lesen Sie hier den gesamten Beschlussantrag aus der AfD-Bundestagsfraktion.
Nach der Bundestagsrede in der vorvergangenen Woche war Lucassen aus dem Höcke-Lager und anderen Teilen der AfD scharf kritisiert worden. „Höcke statt Lucassen, sonst war’s das mit einer echten Alternative!“, postete etwa Sachsen-Anhalts Vize-Landeschef Hans-Thomas Tillschneider.
Lucassens Fraktionskollege Matthias Moosdorf schrieb: „Die Rede lässt uns einfach nur tief blicken, in die Köpfe von Obristen ohne Kompass nämlich!“ Der Thüringer Bundestagsabgeordnete Torben Braga nannte die Rede „stillos“ und „unkameradschaftlich“, sie dürfe „nicht ohne Folgen bleiben“.
Eine von Bundestagsabgeordneten aus Brandenburg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen angesetzte „Aussprache zu Angriffen von Fraktionskollegen auf Parteikollegen in der Öffentlichkeit“ wurde in der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag jedoch nicht behandelt. Weidel verwies auf eine „interne Klärung“ und damit das Ordnungsverfahren, sprach sich gegen eine Debatte in der Sitzung aus und bat darum, den Debattenbeitrag zurückzuziehen. Höckes Vertrauter Torben Braga drang dennoch auf eine Nachbesprechung, wurde aber von der Fraktion mit großer Mehrheit überstimmt.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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