„Die rote Linie ist ganz sicher die territoriale Integrität der Ukraine“
In Johannesburg in Südafrika trafen sich die G-20 zu Beratungen, allerdings ohne die USA, China, Russland und Saudi-Arabien. Dort stand Bundeskanzler Merz für Fragen bereit.
WELT: Herr Bundeskanzler, eines der Themen hier beim G-20-Gipfel war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die USA und Russland haben einen 28-Punkte-Plan erarbeitet, den die Europäer ablehnen, denn er sieht erhebliche Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland vor. Die Ukraine soll ihre Streitkräfte in erheblicher Weise reduzieren. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Sie Trump noch davon abbringen können? Sie haben ja auch lange mit ihm telefoniert.
Friedrich Merz: Die Ukraine hat auf diesem Gipfel als Thema keine Rolle gespielt. Der Gipfel ist von der südafrikanischen Regierung anders vorgesehen und auch anders durchgeführt worden. Wir haben parallel dazu eine ganze Reihe von Gesprächen geführt. Die Verhandlungen laufen jetzt in Genf. Die Beauftragten von uns sitzen in Genf zusammen, führen schwierige Verhandlungen, deren Ausgang mehr als ungewiss ist.
WELT: Und planen Sie, Präsident Trump zeitnah vielleicht auch persönlich zu treffen, um sich zu beraten?
Merz: Wir haben zunächst einmal am Freitag miteinander länger telefoniert, und wir stehen auch über unsere Teams miteinander in engem Kontakt. Das sind Gespräche, die jetzt wirklich sehr in die Tiefe gehen und deren Ergebnisse wir abwarten müssen.
WELT: Präsident Selenskyj hat zu dem 28-Punkte-Plan gesagt, die Ukraine habe nun die Wahl, entweder ihre Würde zu verlieren oder seinen wichtigsten Schlüsselpartner. Können Sie die Verzweiflung verstehen, die da aus Selenskyj spricht?
Merz: Ich kann die Verzweiflung des ganzen Landes verstehen, weil dieser Krieg jetzt seit fast vier Jahren andauert und deswegen ist doch Präsident Selenskyj so klar in seiner Haltung. Er darf das Land nicht aufgeben und in dieser Haltung unterstützen wir ihn.
WELT: Sie sagen, sie unterstützen ihn. Sie haben ja auch schon gesagt, Sie haben einen eigenen Vorschlag eingebracht. Wo sind denn für Sie persönlich die roten Linien, die die Ukraine auf keinen Fall akzeptieren sollte?
Merz: Es wird jetzt in Genf im Augenblick über Teile dieser 28 Punkte verhandelt. Die rote Linie ist ganz sicher die territoriale Integrität der Ukraine und auch das Existenzrecht dieses Landes. Das steht hier nicht zur Disposition, und insofern unterstützen wir, unterstütze ich persönlich auch die Verhandlungslinie der ukrainischen Regierung.
WELT: Die USA haben diesen 28-Punkte-Plan ganz offensichtlich mit Russland über die Köpfe der Europäer hinweg erarbeitet. Der Vorsitzende der Atlantikbrücke und ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel spricht deshalb von einem Verrat am transatlantischen Verhältnis. Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach der Schaden, der für das transatlantische Verhältnis entstanden ist?
Merz: Ich habe ein hohes Interesse daran, dass die Amerikaner engagiert bleiben, dass die Amerikaner auch ihre Verantwortung innerhalb des Nato-Bündnisses weiter sehen. Dies ist ja nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine. Das ist ein Krieg gegen die gesamte westliche Staatengemeinschaft, gegen die politische Ordnung Europas. Und an deren Fortbestand haben die Amerikaner ein genauso großes Interesse wie wir alle.
WELT: In diesen Verhandlungen wird jetzt auch sehr stark über die möglichen Sicherheitsgarantien gesprochen, die man der Ukraine anbieten kann. Welche Rolle könnte da Europa ganz konkret spielen? Was kann man der Ukraine anbieten?
Merz: Wir haben über mögliche Sicherheitsgarantien schon vor einigen Wochen in Washington gesprochen. Ich bin dankbar, dass die Amerikaner sich erneut bereit erklärt haben, auch an Sicherheitsgarantien teilzunehmen. Das wird ohne die Amerikaner kaum gehen. Deswegen sprechen wir mit den Amerikanern darüber, aber das ist jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt, um über die konkrete Ausgestaltung dieser Sicherheitsgarantien zu spekulieren.
WELT: Die deutsche Öffentlichkeit fragt sich natürlich, was das auch für Deutschland konkret bedeuten könnte. Deswegen die Frage, halten Sie es für denkbar, dass auch deutsche Bodentruppen eine entmilitarisierte Zone absichern könnten?
Merz: Das sind alles Spekulationen, die mit der gegenwärtigen Lage wirklich nichts zu tun haben. Wir sind jetzt darum bemüht, diesen Krieg zu beenden, zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen. Und wenn wir das schaffen, dann haben wir schon viel erreicht und dann wird die Arbeit erst richtig anfangen.
WELT: Sie engagieren sich ja gerade enorm in der Weltpolitik. Wir hören auch, dass Sie zeitnah, vielleicht Anfang Dezember, nach Israel reisen wollen. Stimmt das? Und wenn ja, welche Ziele verbinden Sie mit dieser Reise?
Merz: Ich engagiere mich zurzeit bei den Gipfeltreffen, die es gibt, und ich bin ab Dienstagmorgen wieder in Berlin und werde mich dann vor allem darum kümmern, dass wir einen Bundeshaushalt 2026 verabschieden und dass wir auch innenpolitisch die Aufgaben lösen, die wir haben. Dazu zählt auch eine Lösung der Diskussion um die deutsche Rentenversicherung.
WELT: Weil Sie es gerade selber ansprechen: Halten Sie an dem Vorschlag, der schon durchs Kabinett gegangen ist, so in der Form fest, oder wird sich da noch etwas ändern?
Merz: Der Vorschlag liegt im Bundestag zur Abstimmung und bis dahin werden wir weitere Gespräche führen.
WELT: Wären Sie bereit, das auch möglicherweise mit der Vertrauensfrage zu verbinden?
Merz: Wir führen die Gespräche so, dass wir zu einem guten gemeinsamen Ergebnis kommen.
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