Vor der womöglich entscheidenden Woche im Rentenstreit ruft Unionsfraktionschef Jens Spahn die Kritiker des geplanten Reformpakets in den eigenen Reihen zu Disziplin auf. „Für die Argumente der Jungen Gruppe und der Jungen Union gibt es viel Verständnis und Sympathie. Gleichzeitig haben alle das große Ganze im Blick: Diese Koalition muss regierungsfähig sein, wenn wir etwas erreichen wollen für unser Land“, sagte der CDU-Politiker dem „Münchner Merkur“. Union und SPD wollen den Rentenstreit in der kommenden Woche beilegen.

„Für die SPD sind stabile Renten ein so entscheidendes Thema wie für uns Sicherheit, Begrenzung der irregulären Migration oder Ankurbeln der Wirtschaft. Das abzuwägen, ist klassische Verantwortungsethik in der Politik und gilt genauso für uns wie die SPD“, mahnte Spahn. Er betonte, die Koalition brauche eine eigene Mehrheit und dürfe nicht auf Stimmen anderer Fraktionen angewiesen sein.

Spahn bescheinigte den Kritikern des Pakets zugleich, sie hätten bereits Erfolge erzielt mit ihrem Protest. Mit Blick auf die geplante Rentenkommission sagte er: „Dank ihnen findet eine wirklich breite Rentendebatte statt. Die brauchen wir, denn in den 2030ern gehen die Babyboomer, also die geburtenstarken Jahrgänge, in Rente – und die Rentenversicherung ist darauf nicht gut vorbereitet.“ Es sei ein Erfolg der jungen Abgeordneten, dass die Rentenkommission früher eingesetzt werde – noch im Dezember – und in einem halben Jahr Ergebnisse mit Substanz liefern solle.

Die Kommission soll Vorschläge zur langfristigen Sicherung der Altersversorgung machen. Zum strittigen Rentenpaket, das zum 1. Januar in Kraft treten soll, gehören die sogenannte Haltelinie beim Renten-Sicherungsniveau, die ausgeweitete Mütterrente, die geplante „Frühstartrente“, wonach Kinder ab dem sechsten Lebensjahr pro Monat zehn Euro vom Staat für ein Altersvorsorgedepot bekommen sollen, die Aktivrente mit steuerfreiem Zuverdienst bis zu 2000 Euro im Monat für Rentner, eine Betriebsrentenstärkung und die Reform der Riester-Rente.

Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion stemmt sich wegen möglicher hoher Kosten gegen das Paket – ohne sie hätte die Koalition keine sichere Mehrheit bei einer Parlamentsabstimmung. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte vorgeschlagen, den Bedenken der Nachwuchspolitiker in einem „Begleittext“ oder Entschließungsantrag zum aktuellen Gesetzentwurf Rechnung zu tragen.

Das reicht dem Unionsnachwuchs nicht. Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel (CDU), sagte der „Rheinischen Post“: „Es ist nicht überzeugend, sich unverbindlich zu entschließen, in Zukunft das Gegenteil von dem zu tun, was man im gleichen Atemzug verbindlich beschlossen hat.“ Zur Rentenkommission sagte Winkel: „Es wäre sinnvoll, für die 2030er-Jahre zuerst die Kommission tagen zu lassen und anschließend eventuell anfallende Kosten zu beschließen.“ Die umgekehrte Reihenfolge sei „weder schlüssig noch notwendig“. Der Koalitionspartner SPD fordert jedoch, dass das Rentenpaket, wie bislang geplant, zum Jahresbeginn 2026 in Kraft tritt.

„Koalition verharrt in Tauschgeschäften“

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf der schwarz-roten Koalition vor, immer noch nicht den Ernst der Lage begriffen zu haben. „Statt grundlegende Lösungen für drängende Probleme wie den drohenden Rentenkollaps zu suchen, verharrt die Koalition in klassischen Tauschgeschäften: Für Zugeständnisse der SPD bei der Migrationspolitik macht die Union Zugeständnisse bei der Rente – am Ende wird dadurch aber keines dieser drängenden Probleme wirklich gelöst.“

Die Pläne der Koalition führten in eine Sackgasse: Zu hohen Kosten werde „mit der Fiktion der ‚Haltelinie‘ auf Pump und auf dem Rücken der Steuerzahler ein geschöntes Rentenniveau für ein paar Jahre konserviert“, sagte Weidel WELT. „Das grundlegende Problem wird nicht gelöst, sondern auf die lange Kommissionsbank geschoben und in die Zukunft verlagert.“

Die AfD schlage höhere Freibeträge für die Rente in der Grundsicherung vor, um Altersarmut zu verhindern. Zudem einen zügigen Einstieg in die kapitalgedeckte Ergänzung, eine Entlastung der Rentenversicherung von versicherungsfremden Leistungen sowie Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmannn sprach von „Chaos in der Koalition“. „Von der Regierungsfraktion der Union, die den Kanzler stellt, geht keine Stabilität und Verlässlichkeit aus. Stattdessen sehen wir Führungslosigkeit bei Friedrich Merz und Jens Spahn.“ Die schwarz-rote Koalition habe sich total verhakt, eine Lösung sei nicht in Sicht. „Dass sich Merz auf seinen offenbar überforderten Fraktionschef Jens Spahn und seine Fraktion nicht verlassen kann, dafür gibt es etliche Beispiele, etwa die im ersten Anlauf gescheiterte Kanzlerwahl oder die missglückte Richterinnenwahl von Frauke Brosius-Gersdorf“, sagte Haßelmann WELT. Merz sei jetzt sechs Monate im Amt, er habe genug Einarbeitungszeit gehabt. „Der Herbst der Reformen droht zum Winter der Enttäuschung zu werden.“

Die Grünen schlagen unter anderem vor, „Fehlanreize wie Frühverrentungsprogramme abzubauen und die ‚Rente mit 63‘ ab 2030 gezielt zu einer Absicherung für Menschen umzubauen, die aus gesundheitlichen Gründen früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen“. Außerdem solle die Zahl der Einzahler vergrößert werden – durch mehr Erwerbsarbeit von Frauen, erleichterte Zuwanderung und zusätzliche Gruppen wie nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige, neue Beamte und Abgeordnete. Auch ein staatlich verwalteter Kapitalstock solle geschaffen werden.

Linke-Fraktionschef Sören Pellmann forderte den Kanzler auf, „die mediale Selbstinszenierung seiner Nachwuchsorganisation schleunigst“ in die Schranken zu weisen und die „Haltelinie“ von 48 Prozent durchzubringen – auch wenn diese vorne und hinten nicht ausreiche. „Wird heute die Rente geschwächt, landet die junge Generation zukünftig in Altersarmut.“ Die Linke fordere, das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anzuheben. Eine Mindestrente von 1400 Euro netto solle vor Altersarmut schützen. Wenn auch Abgeordnete, Beamte und Selbstständige einzahlten und die Beitragsbemessungsgrenze deutlich angehoben werde, sei dies auch finanzierbar.

Claudia Kade ist Politik-Chefin bei WELT.

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